Samstagskolumne Peter J. König 17.03.2018

Aufbruch oder "Weiter so!"?

Na endlich, am letzten Mittwoch war es schließlich soweit. Nachdem am Dienstag dieser Woche der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD unterzeichnet worden war, kam es ein Tag später zu der Vereidigung der alten und neuen Kanzlerin Angela Merkel und ihrem gesamten Kabinett im Bundestag, damit sie anschließend im Schloss Bellevue dem Amtssitz des Bundespräsidenten von Frank-Walter Steinmeier die Ernennungsurkunden in Empfang nehmen konnten. Merkel selbst hatte bereits zuvor von Steinmeier ihre Akkreditierung erhalten um anschließend gemeinsam mit ihren Kabinettsmitgliedern von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble vereidigt zu werden. So verlangt es die Verfassung, und dieser staatstragende Akt soll die angemessene Würde der neuen Regierung präsentieren. 

Die einzelnen Ministerposten hatten die nun regierenden Koalitionäre bereits einige Tage zuvor öffentlich gemacht, wobei die SPD sich noch geziert hat, wollten sie doch zunächst das Votum der Parteimitglieder abwarten, damit nicht schon wieder ein Schuss ins Leere abgegeben worden wäre, wenn die Befragten mit "Nein" zur Groko gestimmt hätten. Dies war ja bekanntermaßen nicht der Fall, und überraschenderweise haben doch 66% sich für eine erneute Große Koalition entschieden. Da fiel nicht nur der SPD-Spitze tonnenschwere Last vom Herzen, auch CDU und CSU haben mit gebibbert, dass nun endlich eine neue Regierung gebildet werden konnte. 

In der Bevölkerung und auch bei den politischen Journalisten und nicht zuletzt bei den Politikwissenschaftlern war deutlicher Unmut zu spüren, dass die gewählten Volksvertreter so lange gebraucht haben, um sich auf eine neue Regierung zu einigen. Fast 6 Monate hat es gedauert, dass unter holprigsten Bedingungen, erwähnt sei neben dem Versuch von Jamaika auch der desaströse Auftritt von Schulz und der gesamten Führungsriege der SPD, nun endlich am 14. März eine bestätigte Regierung ihre Arbeit aufnehmen konnte. Dieses langwierige Procedere war beileibe kein Ruhmesblatt für die gesamte Elite der deutschen Politik. 

Abgesehen davon, dass dringend notwendige Entscheidungen in der Europapolitik, der Wirtschaftspolitik, ja selbst für den weiteren Einsatz der Bundeswehr in Mali erst einmal auf die lange Bank geschoben werden mussten, dass Mandat wurde zunächst nur provisorisch für 3 Monate verlängert, bis dann eine neue Bundesregierung erneut einen Antrag im Parlament für den Mali-Einsatz einbringen würde, unabhängig davon ist die längste Phase einer versuchten Regierungsbildung ein eindeutiges Alarmsignal für ein Schwächeln der demokratischen Parteien im Bundestag. Hier hat sich ganz deutlich gezeigt, dass die Parteien in erster Linie ihr Wohl, ihre angestrebte Macht und ihren Überlebenskampf im Bundestag im Auge hatten. Sowohl CDU, CSU, SPD und FDP hatten primär ihre Interessen im Visier, allein die Grünen haben Stärke und Selbstbewusstsein gezeigt und sind für das neue Projekt Jamaika auch über ihren Schatten gesprungen. Dies ist eindeutig bemerkenswert und um es frei herauszusagen, diese Jamaika-Koalition hätte der Beginn einer neuen politischen Zeit werden können. 

Lindner von der FDP hat allerdings verweigert, zu groß war seine Angst im Zuge dieser Koalition so weit verschlissen zu werden, dass es nach vier Jahren noch nicht einmal mehr reicht, erneut in den Bundestag gewählt zu werden. Und vermutlich hatte er mit dieser Befürchtung recht, denn bei seinem blassen Personal-Tableau, außer ihm und Kubicki ist weder jemand inhaltlich als auch mit einer wieder erkennbaren Persönlichkeit aufgetreten, sodass schließlich die Wähler sie nicht einmal mehr erneut über die Fünf-Prozent-Hürde gebracht hätten. 

Lindner spielt jetzt den Fraktionsvorsitzenden ohne Verantwortung, aber immer präsent und besserwisserisch. Dies ist kommod und im Grunde kann er dabei nicht viel falsch machen. Dass jetzt aber die Rechtsradikalen der AfD die größte Oppositionspartei sind, im Bundestag immer die ersten Redner nach den Regierungsparteien stellen, auch wenn die Kanzlerin bei der Aussprache im Plenum gesprochen hat, ist nicht nur für unsere Demokratie ein Armutszeugnis, sondern ist auch mit der Konsequenz verbunden, dass diese Nationalisten ein noch größeres Podium erhalten haben. 

Schon jetzt ist in den öffentlichen Medien, bei Talk-Shows etwa eine klare Veränderung zu erkennen. Ob bei Maischberger, Illner, Plasberg oder Will eine ständige Präsenz von AfD-Führern ist neuerdings zu bemerken. Dass die weich gespülten Neo-Nazis damit hoffähig gemacht werden, ist unzweifelhaft. Mit ihrem gesteigerten Auftreten im Parlament, das schon jetzt eine eindeutig rechtslastige Debattenform aufweist, lässt sich gleichzeitig prima davon ablenken, was draußen im Land von der AfD veranstaltet wird, ein bewusster Kampf gegen die Demokratie, eine gezielte Verunsicherung der Bevölkerung mit der Absicht in Deutschland die Regierung zu übernehmen mit all den schrecklichen Folgen, die wir aus der Vergangenheit kennen

Mit Jamaika wäre eine solche parlamentarische Aufwertung nicht möglich gewesen, da ja die SPD die stärkste Oppositions-Faktion gebildet hätte, was Schulz zunächst auch vorhatte. Mit Lindners Regierungsverweigerung hat er unmittelbar der AfD in den Sattel geholfen, nun lautstark und von jedermann beachtet, ihr rechtes Gedankengut im Bundestag zu verbreiten

Dagegen spricht auch der Einwand eventueller Neuwahlen nicht, denn diese hätten garantiert die AfD noch weitaus stärker gemacht. Wie bereits erwähnt, ist auch für CDU und CSU die erneute Groko ein letzter Kraftakt der Machterhaltung. Angela Merkel hat es nur so geschafft, noch einmal Bundeskanzlerin zu werden. Bereits in ihren letzten Amtszeiten hat sie es bewusst verabsäumt, ebenbürtige Mitbewerber in der CDU als spätere Nachfolger aufzubauen, ganz im Gegenteil, sie hat starke Konkurrenten immer weggemobbt, ob Roland Koch oder auch Friedrich Merz. 

Für die CDU gab es praktisch bei der letzten Bundestagswahl keine personelle Alternative zu Angela Merkel und dass sie dieses Mal Federn lassen würde, daran bestand überhaupt keinen Zweifel nach dem Chaos der Flüchtlingskrise. Die Frage war nur, wie hoch der Stimmenverlust werden würde und würde es erneut zur stärksten Kraft im Lande reichen? 

Schulz und die SPD hatte sich dies ganz anders vorgestellt, zumal die Umfragen nahezu wöchentlich für die Sozies anzogen. Dass am Ende sowohl CDU, CSU und SPD massiv gerupft worden sind und die AfD als drittstärkste Partei in den Bundestag eingezogen ist, dies hatte keiner der Altetablierten auf der Rechnung. 

Auch die CSU in Bayern hat ein desaströses Ergebnis bei den Bundestagswahlen eingefahren, in einigen Landkreisen, früher immer sicherer Rückhalt mit absoluter Mehrheit, hat die AfD bis zu 29% Stimmenanteil erhalten. Nicht umsonst ist es zum Führungswechsel an der Spitze des Landes gekommen, wo seit Freitag nicht mehr Horst Seehofer Ministerpräsident ist, sondern seinem innerparteilichen Rivalen Markus Söder das prestigeträchtige Amt überlassen musste, damit die CSU bei den Landtagswahlen mit Söder als Spitzenkandidat im Herbst wieder die Chance einer absoluten Mehrheit hat. Seehofer ist derweil als Innen- und Heimat-Minister ins neue Kabinett Merkel eingetreten, wo er als Law- and- Order-Mann mit markigen Sprüchen und strikten Erlassen in Bezug auf Flüchtlinge, Muslime und straffällig gewordene Migranten der AfD die Stimmen wieder abjagen will, sowohl im Bund, aber ganz besonders in Bayern hinsichtlich der Landtagswahlen.

Und so wie Seehofer seinen erwünschten Part in der neuen Regierung bekommen hat, so hat auch die SPD mit ihrem noch kommissarischen Vorsitzenden Olaf Scholz, einen Wiederbelebungsakt erhalten, mit alten und neuen Gesichtern in Ministerverantwortung. Scholz wurde Finanzminister und Vize-Kanzler, und mit Franziska Giffey, der Talkshow-erprobten Bezirksbürgermeistern von Berlin- Neukölln ist ein neues, engagiertes Gesicht ins Familien-Ministerium eingezogen, das auch wieder mehr Wähler für die SPD anziehen soll. 

Zur passenden Gelegenheit hat Andrea Nahles, die Fraktionsvorsitzende und designierte Parteivorsitzende sich des beliebtesten Politikers der SPD in der Bevölkerung, Siegmar Gabriel, entledigt, sein Posten als Außenminister hat der ehemalige Justizminister Heiko Maas bekommen. Damit hat Andrea Nahles auch einen ernst zu nehmenden Mitkonkurrenten als Kanzlerkandidat entsorgt, denn es steht außer Zweifel, dass sie in 3 1/2 Jahren bei der nächsten Bundestagswahl diese Führungsrolle übernehmen wird. 

Dies ist zwischen Scholz und Nahles quasi ausgemachte Sache, zumal Nahles sich nach dem endgültigen Abgang dann von Merkel beste Chancen ausrechnet, die erste weibliche Bundeskanzlerin für die SPD zu werden. Was gibt es sonst noch Bemerkenswertes über die neue Ministerriege im Kabinett zu sagen? Es sind mehr Frauen in Amt und Würden gekommen, zumindest bei CDU und SPD, in Bayern allerdings braucht dies noch die eine oder andere Legislatur. Den drei Ministern der CSU, Seehofer (Innen), Scheuer (Verkehr) und Schmidt (Entwicklung) steht allein Dorothee Bär als Kanzleramtsministerin für Digitales im Rang einer Staatssekretärin gegenüber. 

Führungs-Politik ist in Bayern halt noch Männersache. Merkel hat ihrerseits mit Julia Klöckner (Landwirtschaft) und Jens Spahn (Gesundheit) jüngere Kräfte der CDU berücksichtigt, wobei sie der vasallentreuen Klöckner ihre unbedingte Loyalität gedankt hat, während der aufmüpfige Spahn in die Kabinettsdisziplin eingebunden wurde. Da keiner die marode Bundeswehr übernehmen wollte, hat Merkel Ursula von der Leyen, ihre Allzweckwaffe, erneut in die Pflicht genommen, hier die Missstände weiterhin zu verwalten. 

Mit Svenja Schulze (Naturschutz, Umwelt und nukleare Sicherheit) SPD und Anja Karliczek (Bildung und Forschung) CDU sind zwei nahezu unbekannte Ministerinnen ins Kabinett geholt worden, ist dies doch offensichtlich dem Länderproporz geschuldet. Um die Ministerriege zu vervollständigen, gilt es noch einige bekannte Gesichter zu nennen mit Peter Altmeier (Wirtschaft) CDU, Katarina Barley (Justiz) SPD, Hubertus Heil(Arbeit und Soziales) SPD, und schließlich Helge Braun(Kanzleramtsminister) CDU und engster Mitarbeiter von Angela Merkel im Kanzleramt und ihr Koordinator. Wenn man sich die Personen anschaut, ist von dem versprochenen Neuanfang und Aufbruch nicht viel Bemerkenswertes zu sehen, stammen doch alle Minister - bis auf Familienministerin Giffey- aus dem langjährigen Dunstkreis von Angela Merkel und der bereits in früheren Großen Koalitionen agierenden Minister und Ministerinnen. 

Auch der Koalitionsvertrag, der hauptsächliche Leitfaden und das Bindeglied in der Koalition zeigt wenig Spektakuläres, was auf eine Neuausrichtung der Bundesrepublik Deutschland hinweist. Es ist eher eine Aneinanderreihung der Versäumnisse der letzten Legislatur-Perioden, die besonders bei den Wahlveranstaltungen vor der letzten Bundestagswahl sichtbar wurden. Damit sind jetzt eher Reparaturarbeiten vereinbart worden, nicht aber zukunftsweisende große Würfe, die unser Land für die Zukunft fit machen. Und doch hat die neue Regierung zunächst einmal Vertrauen verdient, damit sie zeigen kann, wie ernst sie es mit der Erneuerung und dem sozialen Aufbruch nimmt. 

Wie üblich in der Politik sollte sie eine Schonfrist in den ersten hundert Tagen haben, dann aber muss genau hingesehen werden, ob es nur ein "Weiter so!" gibt, oder ob es Merkel in ihrer dritten Groko tatsächlich gelingt doch noch notwendige neue Wege zu gehen. 

 Peter J. König  

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