Samstagskolumne Peter J. König 02.12.2017

Wie weit muss CSU-Minister Schmidt neben der Spur gestanden haben, als er die SPD zu dem jetzigen Zeitpunkt so vor den Kopf schlug? 

Verantwortung, das Grundgesetz und das Einhalten von Koalitionsverträgen scheint in Berlin bei führenden Ministern und Politikern keine Rolle mehr zu spielen. Jüngstes Beispiel ist der Alleingang von Agrarminister Christian Schmidt von der CSU, der bei der Abstimmung über die Verlängerung der Zulassung des Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat in Brüssel jegliche Einwände ignorierte und selbstherrlich die Zustimmung erteilte, die das Unkrautgift für weitere 5 Jahre innerhalb der EU zulässt. Vorausgegangen war ein monatelanges Tauziehen zwischen den einzelnen EU-Staaten, wobei quasi eine Hälfte für das Verbot von Glyphosat stimmte, während die andere Hälfte das Vernichtungsmittel weiterhin in der Natur akzeptieren wollte.

Bisher hatte die Bundesrepublik Deutschland ihre Entscheidung auf Eis gelegt, denn die wissenschaftliche Einschätzung ob dieses Unkrautgift krebserregend ist, gestaltete sich völlig kontrovers. Naturschützer, Umweltverbände, Ministerien und Industrielobby und natürlich auch der Hersteller des Giftes der Konzern Monsanto, der mit der Bayer AG, Leverkusen im Jahr 2016 fusioniert hat, sie alle haben Gutachten erstellen lassen. 

Bayer-Monsanto ist als neues Unternehmen mittlerweile der mit Abstand größte Hersteller von Unkrautvernichtungsmittel, wozu an der Spitze Glyphosat steht, von dem nicht eindeutig erwiesen ist, dass es nicht krebsschädigend über die Nahrungskette auf den Mensch wirkt. Interessanterweise haben gerade diese Gutachten, die von der Industrie vorgelegt wurden, eine mögliche Krebskrankheit kategorisch ausgeschlossen, während andere wissenschaftliche Arbeiten die von neutraler, nicht lobbyverdächtiger Seite bemüht wurden, eine solche Krebsgefahr sehr wohl nachgewiesen haben. 

Soweit die völlig gegensätzlichen Einschätzungen der Fachleute, die doch gewisse Zweifel aufkommen lassen, ob die Abwägung von Gutachten überhaupt zur richtigen Problemlösung beiträgt, wenn auf der einen Seite milliardenschwere Unternehmen stehen, die ihre Umsätze und Gewinne dahinschwinden sehen, während auf der anderen Seite die Gesundheit von Menschen in der ganzen Welt in Frage gestellt wird, deren Lobby quasi gleich null ist und die einen Schutz allein von der Politik erwarten kann. Abgesehen davon, dass dieser Schutz geradezu ein wachsweicher ist, Schmiergeld-Affären hat es immer wieder bis in die höchsten Kreise, sprich Bundesministerien gegeben, die Rüstungsindustrie lässt grüßen, hat die Causa Glyphosat neben der mehr als bedenklichen unterschiedlichen gesundheitlichen Einschätzung, durch die Entscheidung von Minister Schmidt ein erhebliches politisches Erbeben ausgelöst.

Schmidt hat gegen die Weisungsbefugnis der Kanzlerin, gegen das Veto seiner Kabinettskollegin Hendricks und gegen die Warnung von Kanzleramtschef Peter Altmeier im Alleingang gehandelt und für Deutschland dem weiteren Einsatz von Glyphosat in der EU zugestimmt. Dies ist in jeder Hinsicht ein ungeheuerlicher Vorgang und abgesehen von dem gesundheitlichen Risiko ist der politische Schaden zu bewerten, und natürlich die Frage: Wie weit ist es einem geschäftsführenden Minister erlaubt, eigenmächtige Entscheidungen für das Land zu treffen, die in der Vorgehensweise gegen die Vereinbarung im Koalitionsvertrag stehen und die Weisungsbefugnis der Kanzlerin, die im Grundgesetz klar definiert ist, einfach zu übergehen?

Der Koalitionsvertrag weist ausdrücklich darauf hin, dass bei unterschiedlichen Entscheidungen von CDU und SPD in allen Fragen, die konsensual in der Regierung entschieden werden müssen, man sich auf Enthaltung geeinigt hat, wenn es nicht doch noch zu einem Einvernehmen kommt. Und dies war hier eindeutig der Fall. Umweltministerin Barbara Hendricks von der SPD hat unmissverständlich in mehreren Gesprächen mit Agrarminister Christian Schmidt(CSU) deutlich gemacht, dass sie ein weitere Zustimmung für Glyphosat ablehnt, da sie den unbedenklichen Gutachten der Industrie-Lobby nicht traue und das Gefährdungspotential einfach als zu großes Risiko sehe. 

Minister Schmidt hat dies anders gedeutet, warum auch immer, ihm scheint mehr das Wohl von Bayer& Monsanto am Herzen gelegen zu haben, als die Gesundheit von vielen Millionen Menschen. 

Ungeachtet dieser inhaltlichen Einschätzung hat er mit seiner eigenmächtigen Entscheidung nicht nur gegen den Koalitionsvertag verstoßen, er hat auch die Weisungsbefugnis der Kanzlerin ignoriert, die durch ihren Kanzleramtsminister noch wenige Stunden, bevor Schmidt seine Entscheidung nach Brüssel weiterleiten ließ, per Telefonat auf eine Enthaltung in Sachen Glyphosat drängte, so wie es die vereinbarte tägliche Praxis vorsieht. 

All dieses hat Minister Schmidt nicht an seinem Vorhaben gehindert, auch die Tatsache nicht, dass bei der äußerst schwierigen Bildung einer neuen Koalitionsregierung mit der SPD, diese geradezu umgepflügt würde. Als politischer Beobachter steht man nur kopfschüttelnd da und fragt sich, was ist in Berlin los, wieviel Verantwortung tragen diese gewählten Volksvertreter eigentlich noch für dieses Land, und welche Glaubwürdigkeit geht von den Ministern und Abgeordneten noch aus? 

Diese politische Affäre hat eindeutigen Schaden hinterlassen, von dem wir bisher noch gar nicht wissen, wie groß er sein wird. Doch dazu etwas später. Zunächst muss noch einmal hinterfragt werden, wieso Schmidt diesen Alleingang überhaupt gewagt und welche Konsequenz er daraus gezogen hat? Die Gründe des Handelns hat der Minister dargelegt, er hat auf das alleinige Entscheidungsrecht seines Ministeriums verwiesen. Da war selbst die Kanzlerin anderer Meinung, was natürlich auf ein deutliches Auseinandertriften der Regierung hinweist. Wenn ein Minister gegen den ausdrücklichen Willen der Kanzlerin eigene Entscheidungen trifft, dann muss die Frage erlaubt sein, in welchem maroden Zustand der Machtapparat im Kanzleramt eigentlich ist? 

Unterstrichen wird dies noch durch die Tatsache, dass es keinerlei Konsequenzen seitens der Regierungschefin gab, außer ein paar zurückhaltenden Unmutsäußerungen, die eher als Beschwichtigungsformeln daherkamen. Normalerweise hätte Schmidt von selbst seinen Hut nehmen müssen, wenn er den nötigen Anstand besessen hätte, ansonsten von einer selbstbewussten Kanzlerin entlassen, die Führungsfähigkeit damit signalisiert. Aber die Zeiten sind nicht normal und doch wäre es angebracht gewesen, Umweltministerin Hendricks und damit die ganze SPD nicht zu düpieren, hauptsächlich dann nicht wenn die CDU gewillt ist, von der CSU darf dies ebenso angenommen werden, mit den Sozialdemokraten eine neue Koalition einzugehen. 

Hier hat Merkel Schwäche gezeigt, eine Schwäche die sie noch sehr beschädigen wird, zumal der Versuch Jamaika auf den Weg zu bringen, ebenfalls kläglich gescheitert ist. Wer weiß, ob nicht gerade diese Aktion von CSU-Schmidt genau dazu gedient hat, diese Schwäche von Angela Merkel auszuloten, gerade da Seehofer in die Affäre eingeweiht war. Der bayrische Querulant kämpft gerade um sein politisches Überleben, da ist ihm jede Schandtat recht, die ihm Ansehen bei den Seinen bringt. Tatsache ist jedenfalls, dass die Handlungsfähigkeit dieser Regierung nur noch mühsam aufrechterhalten werden kann und dieses gibt wirklich zu denken. 

Es wird allerhöchste Zeit, dass eine neue stabile Regierung ans Ruder kommt. Doch wie soll das geschehen? 

Eine geschwächte Angela Merkel und eine verärgerte SPD, deren Basis sich äußerst schwer tut, noch einmal in eine große Koalition zu gehen, zumal sie gerade einen Vertrags- und Vertrauensbruch erlebt hat. Da ist noch überhaupt keine Koalition abzusehen. Und was den großen politischen Schaden für unser Land anbetrifft, da wird sich in den nächsten Tagen zeigen, welche Lawine ein Minister aus Bayern losgetreten hat, ob bewusst, genötigt oder unbewusst. Nichts ist sicher, keine Koalition mit der SPD, keine Minderheitsregierung toleriert durch die SPD, was letztendlich grober Unfug wäre, bei einer Gemengelage wie soeben gerade erlebt. 

Und ob die Grünen zusammen mit der FDP eine schwarze Minderheitsregierung in den entscheidenden Fragen stützen würden, gleicht eher einem Lotto-Spiel als einer handlungsfähigen Regierung. Blieben also nur noch Neuwahlen. Und da wird es noch unsicherer. Zum einen zeigen die aktuellen Umfragen, dass das Wahlergebnis sich momentan nicht gravierend verändern würde, die Parteien stünden praktisch vor dem gleichen Dilemma eine Regierung zu finden. Allerdings gibt es noch eine weitere Variante einer Neuwahl, die im Ergebnis einen weiteren Rechtsruck bei den Wählern sieht und der AfD 20% und mehr beschert. Und wo kommen die Stimmen her? 

Überwiegend von CDU und SPD, es ist sogar zu erwarten, dass selbst die kleinen Parteien, also Grüne, FDP und Linke dann auch noch mehr Stimmen bekommen, gespeist durch das Abschmelzen der beiden Volksparteien. Was passiert eigentlich wenn Rechtsaußen die zweitstärkste Kraft im Bundestag wird, und dies durch Neuwahlen weil ein Minister Schmidt die Parteibasis der SPD derart gegen eine große Koalition aufgebracht hat, dass sie selbst durch ihre Parteiführung und den Bundespräsident, der ja bekanntlich seine SPD-Zugehörigkeit solange er im Amt ist ruhen lässt, dass also die Genossinnen und Genossen im Land, die ja letztendlich über die Koalition entscheiden sollen, einfach nein sagen? Wie sieht unser Parlament aber auch unser Land dann nach Neuwahlen aus? 

Aus einem schleichenden Rechtsradikalismus wird offener Nationalismus. Ohne wieder einmal das Ende der Weimarer Republik übermäßig zu bemühen, die Anzeichen wären ziemlich ähnlich, so das Erstarken der Nazis, wobei dann eine AfD durch Höcke und Konsorten keinerlei Skrupel mehr haben würden, Hitler und den Seinen nachzueifern. Große Volksparteien gibt es dann nicht mehr, diese Geschrumpften können froh sein, wenn sie alle gemeinsam mit den anderen Kleinen irgendwie noch eine absolute Mehrheit zu einer Regierungsbildung zusammen bekommen. Und die Rechten würden versuchen selbst eine Mehrheit für eine Regierung zu erreichen, indem sie allerlei Verlockungen unter die kleinen Parteien streuen. Dies sind wahrlich keine rosigen Aussichten, Demokratie ade.

Und sagen Sie nicht, dass dies reine Utopie ist. Es gibt keinerlei Gewähr, dass es in Deutschland oder in jedem anderen Land auf der Erde nicht zu Diktaturen kommen kann. Diese Gefahr besteht immer, sie ist nur dort geringer wo stabile demokratische Strukturen vorhanden sind, die frühzeitig sich gegen solche Entwicklungen wehren. Und dies sollten wir uns zu Herzen nehmen. Eine stabile demokratische Regierung ist immer in der Lage den labilen, rechtslastigen Teil einer Bevölkerung aufzufangen, sei es durch eine vernünftige Sozialgesetzgebung, gepaart mit der Absage an jede neoliberale Entfesselung, durch Abbau alles erstickender Bürokratie und einem fairen Ausgleich zwischen Arm und Reich, wobei die Nicht-Privilegierten durchaus das Gefühl haben sollen in einem Land zu leben, das ihnen eine Lebensperspektive bietet und sie nicht glauben, den Rattenfängern von rechts nachlaufen zu  müssen. Gerade jetzt, wo es dem Land wirtschaftlich im Allgemeinen gut geht, ist es wichtig, genau für die soeben beschriebenen Perspektiven für alle die Weichen zu stellen. 

Damit dies stattfinden kann, müssen die demokratischen Parteien einander respektieren, vertrauen und aufeinander zugehen. Partei-Profil ja, Partei-Neurose nein. Dann klappt dies auch mit einer "anständigen" Regierung. Ein Minister Schmidt ist dann nicht mehr vonnöten, der eignet sich ja auch viel besser für einen Posten als Landrat in einem bayrischen Landkreis, wo das einsame Entscheiden eines autoritären Mannes noch hohes Ansehen genießt. 

Peter J. König