Samstagskolumne Peter J. König 18.11.2017

Wenn es nicht anders geht, sollte man sich von der verantwortungslosen Schwester trennen.  

Allmählich muss man sich mit der Frage auseinandersetzen: Sind unsere gewählten Volksvertreter noch in der Lage, dringend notwendige politische Probleme zu lösen, oder ergehen sie sich in Scheingefechte, um in der veränderten politischen Situation ihren Kopf zu retten?

Was in Berlin zurzeit abläuft, grenzt eher an ein hilfloses Trauerspiel, als an eine durchdachte problemorientierte Lösung in Hinblick auf ein demokratisches Ziel, nach der Bundestagswahl vor fast 2 Monaten mit dem Wahlergebnis eine stabile Regierung zu bilden. Und eine stabile Regierung, getragen von den 4 Parteien CDU, CSU, FDP und Grüne, die sich vor mehr als 4 Wochen zusammen gesetzt haben, um auszuloten, ob eine sogenannte Jamaika-Koalition möglich ist, wäre in diesen Zeiten mehr als wichtig. Die Probleme häufen sich, sowohl im In- als auch im Ausland.

Die Rechtsradikalen drohen unser Land systematisch in den Griff zu bekommen, betrachtet man alleine die Zahlen der Bundestagswahlen im September. Macron wartet dringend auf eine handlungsfähige deutsche Regierung, damit er gemeinsam mit Deutschland die Fülle von Problemen anpacken kann, die innerhalb der EU die Gemeinschaft zu sprengen drohen, aber auch als erstarktes, einiges Europa weit mehr Gewicht in die Weltpolitik zu bringen. Und was treiben die Politiker in Berlin, sie ergehen sich in parteipolitischem Gezänk, immer darauf achtend, dass sie ja nicht zu weit von ihren politischen Parolen abkommen, mit denen sie die Bundestagswahlen bestritten haben? Jeder vernünftig denkende Wähler weiß, dass eine Koalition nur dann zustande kommt, wenn die Koalitionswilligen auch bereit sind, Kompromisse einzugehen. Dies gilt übrigens auch allgemein für das ganze Leben, in der Familie, in der Ehe, bei Verträgen zwischen Firmen und zuvorderst in der Politik. Dass dies nicht immer leicht ist, versteht sich von selbst, aber damit Politik funktioniert, ist dies unumgänglich. 

Da kann doch die eine oder andere Partei nicht glauben, dass sie ihre Maximalforderungen zu 100% in das Koalitionspapier geschrieben bekommt. Und doch hat es den Anschein, dass der eine oder andere Parteivertreter dies so durchsetzen will, auf Biegen und Brechen, komme da was es wolle. Das funktioniert nicht, und der grüne Ministerpräsident Kretschmann hat zurecht verärgert vermutet, dass es auf Seiten der CSU keinen wirklichen Willen gibt, die Jamaika-Koalition mitzutragen, wenn ihre Forderungen nicht eins zu eins umgesetzt werden

Die CSU ist die einzige Partei der vieren, die ein enormes Problem hat, wirklich sachgerecht zu verhandeln. Alle anderen Parteien haben gezeigt, dass sie durchaus bereit sind, um eine stabile Regierung zu bilden, jeweils auf die anderen zuzugehen. Geradezu vorbildlich haben dies die Grünen praktiziert, die trotz Hardliner Trittin, im Sinne von Problemlösungen in Sachen Klimawandel und der Modernisierung und einer gerechteren Gesellschaft in unserem Land, keine Angst vor ihren dogmatischen Basisgruppierungen haben. Sie vertrauen darauf, dass es sinnvoller ist, zunächst mit einem würdigen Kompromiss in eine Jamaika-Regierung zu gehen, um dann verantwortungsvoll und weitblickend die Fülle von anstehenden Problemen pragmatisch durch Regierungshandeln zu lösen. 

Die FDP sieht dies ähnlich, so durch eine akzeptierte nur schrittweise Abschaffung des Solidarzuschlages, und selbst Angela Merkel hat signalisiert, dass sie durchaus bereit ist, sich in dem einen oder anderen Punkt zu bewegen, etwa bei der Frage des Familien-Nachzugs von bestimmten Flüchtlingsgruppen.

Allein die CSU bleibt hartleibig und nicht nur etwa aus Prinzip, wie man bei dem Sturkopf Seehofer vermuten könnte, die Gründe sind ganz fundamentale. Die nächsten Landtagswahlen in Bayern finden im Herbst 2018 statt, ein genauer Termin ist noch nicht festgelegt worden. Nachdem die CSU bei den Bundestagswahlen am 24.September 2017 nur ein äußerst mageres Ergebnis von 38,8% erzielt hat, im Gegensatz zu den Vorwahlen von 2013, wo die Partei einen Stimmenanteil von 49,3% erreichte, läuten nicht nur bei Seehofer die Alarmglocken, praktisch die gesamte CSU ist sehr dünnhäutig geworden. 

Dies zeigt sich ganz deutlich an den parteiinternen Machtkämpfen, die bereits seit der vergangenen Bundestagswahl ausgebrochen sind und die Seehofer vom Sockel holen sollen. Aber es ist nicht der übliche Diadochenkampf, etwa mit Söder, Ilse Aigner oder sonstigen selbsternannten Thronfolgern, dies hat es bei den Bayern schon immer gegeben und auch Stoiber hat es so das Amt gekostet. Dieses Mal ist es wirklich bedrohlich für die CSU, denn es gibt eine neue Partei mit der AfD, die auf Anhieb etwa 12% erhalten hat, relativ knapp hinter der SPD mit etwa 15%. Dabei haben die Rechtaußen in 16 Bundestagswahlkreisen die SPD vom zweiten Platz verdrängt. Und dies ist selbst für die selbstsicheren Granden der CSU zu viel. Ihr großer früherer Vorsitzende Strauss hat es ihnen eins in ihr Parteistammbuch geschrieben, dass es keine demokratische Partei in Bayern geben darf, rechts von der CSU. Und der alte polternde Fuchs wusste genau warum. Ganz allein um nicht die Übermacht einzubüßen, immerhin hatte die CSU von 1962 bis 1998 die absolute Mehrheit im Landtag, dank Strauss, die sie aber nach dessen Ableben verlor. 

Erst 2013 konnte sie durch Seehofer zurück erlangt werden. Franz Josef Strauss hat den Seinen klar gemacht, dass alle wesentlich rechten, ja rechtsradikalen Strömungen von der CSU eingefangen werden müssten, auch um sie so besser unter Kontrolle zu haben. Dies ist auch weitestgehend gelungen, denn weder die NPD noch die Republikaner haben nennenswerte Erfolge in Bayern oder auch in ganz Deutschland erreicht. Dass hierzulande ein nicht zu unterschätzendes rechtsradikales Milieu vorhanden ist, war gerade Strauss aber ebenso Helmut Kohl klar. Deshalb hat ihr Augenmerk auch immer darauf gelegen, diese Wählerschichten innerhalb der CSU und CDU zu binden. Dafür waren rechte Landsmannschaften und rechte Heimatverbände zuständig, die aber immer auch Teil der genannten Parteien waren. Es ist kein Zufall, dass die Rechte Erika Steinbach ihre neue politische Heimat bei der AfD gesucht hat, obwohl sie seit Jahrzehnten Bundestagsabgeordnete der CDU war. 

Es fällt auf, dass viele frühere, führende CDU-Politiker heute bei den Führungskader der AfD mitmischen, allen voran Alexander Gauland. Der Grund ist wesentlich bei Angela Merkel zu suchen. Sie hat die CDU von Mitte rechts nach Mitte links ausgerichtet und damit den Platz rechtsaußen freigegeben. Dieses Vakuum hat die AfD ausgefüllt mit sichtbarem Erfolg und zwar auf Anhieb. Im Zuge dieser Entwicklung haben auch die Bayern die äußerst rechte Seite vernachlässigt, ganz entgegen dem Vermächtnis ihres Übervaters Franz Josef Strauss. Mit dem Aufkommen der AfD und deren Abtriften ins rechtsradikale Milieu ergaben sich für diese Partei besonders in den neuen Bundesländern aber auch ganz speziell in Bayern neue erfolgsversprechende Möglichkeiten. Ihre eindeutigen einfachen und rechtsradikalen Parolen verfingen sich in weiten Kreisen der bayrischen Wähler, die bisher sich von der CSU vertreten fühlten, aber seit dem Abtriften von Frau Merkel über die Mitte nach links auch entsprechendes bei Seehofer und der Partei mutmaßten. Sie fühlten sich mit ihren rechtskonservativen Ideen von der CSU nicht mehr richtig vertreten und gaben deshalb der AfD ihre Stimme. 

Nicht umsonst schwelt schon seit vielen Monaten ein nicht zu übersehender Konflikt zwischen Seehofer und Merkel, der zum Teil in offene Feindschaft ausartete. Und genau hier liegen die Gründe zwischen den mittlerweile so ungleichen Schwestern. Zur Bundestagswahl wurde notdürftig noch einmal Einheit demonstriert, und in der so unterschiedlichen Flüchtlingsfrage ein mehr als fragwürdiger Kompromiss zusammen gezimmert, mit einer "atmenden Obergrenze", von der so keiner recht weiß, was dies eigentlich bedeuten soll, geschweige denn, wie dieses Konstrukt zu praktizieren ist. Viele der Rechtslastigen unter den Bayern haben diesem Verwirrspiel nicht geglaubt und sind entsprechend zum völkischen Original übergewechselt. Und dieses Damoklesschwert schwebt nun über der CSU. 

Sie wissen, wenn sie jetzt bei den Jamaika-Verhandlungen nicht eindeutig ihre Positionen in der Flüchtlingsfrage strikt durchsetzen, dann wird die Bayernwahl für sie ein Desaster, scharenweise werden weitere Wähler zur AfD hinüberwechseln. Und ob sie dann bei der nächsten bayrischen Regierung überhaupt noch eine Rolle spielen werden, ist dann auch noch nicht ausgemacht. Wie Seehofer sich auch dreht und wendet, ihm bleibt nur die Wahl zwischen Pest und Cholera, oder besser, zwischen Pest und noch größerer Pest, denn bewegt er sich zu einer Jamaika-Lösung hin, laufen ihm die rechten Wähler fort, lässt er aber die Koalition platzen und es kommt zu Neuwahlen, dann wird es nicht anders aussehen, nur mit der Vermutung, dass die AfD in ganz Deutschland einen erheblichen Stimmenzuwachs verbuchen kann. 

Das Risiko besteht vermutlich für alle Parteien in Deutschland, einschließlich der Linken. Dies ist das Dilemma in dem die Verhandlungen in Berlin sich festgefahren haben, Ende zu diesem Zeitpunkt völlig ungewiss. Und doch haben Seehofer und die CSU für ganz Deutschland eine Verantwortung, der sie unbedingt gerecht werden müssen. Ansonsten wäre es wünschenswert, dass die CDU sich von ihrer verantwortungslosen Schwester trennt und auch in Bayern zukünftig zur Wahl antritt. 

Überlegungen dieser Art hat es bei Auseinandersetzungen früher schon zwischen Kohl und Strauss gegeben und der gerissene Bayuware war schlau genug zu erkennen, dass es dann mit einer federführenden Regierung in Bayern für alle Zeit vorbei ist. Bei der gegenwärtigen Gemengelage ist es für Seehofer nur ratsam das Wohl ganz Deutschlands im Auge zu haben und auf eine Jamaika-Koalition unter Führung Angela Merkels zu vertrauen. 

Das Risiko in Bayern abgewatscht zu werden, muss er in Kauf nehmen und selbst wenn es ihn das Amt kostet. Diese Verantwortung hat der Ingolstädter, schon allein seines Rufes wegen ein aufrechter, aber nicht immer pflegeleichter Demokrat zu sein. 

Die CSU hat dann unter neuer Führung noch ein ganzes Jahr Zeit auch die gemäßigten, rechtslastigen Bürger zu überzeugen, dass eine demokratische, auch in Berlin aktive Partei allemal besser für sie ist, als hinter hohlen Parolen herzulaufen, von denen keiner weiß, ob sie außer ideologischen, nationalistischen Zwängen überhaupt noch etwas anderes zu bieten haben. 

Die Chance der CSU liegt darin, dass sie sich jetzt kompromissbereit zeigt, um dann durch innovative Lösungen mit den anderen Koalitionären, Kompetenz und gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen, ganz im Sinne ihres christlichen Werte-Kanons. Denn eins darf man nicht vergessen, geht es Deutschland gut, geht es den Bayern besser und wenn dann dabei auch an die einfachen Menschen und ihre sozialen Probleme gedacht wird, dann wird jedes christliche Herz weich. Sollte die angestrebte Koalition aus welchen Gründen auch immer scheitern, dann werden sich die Gesichter der drei Parteien CDU, CSU und Grüne bezüglich ihrer Spitzenpolitiker abrupt ändern. Außer Lindner werden alle Vorsitzenden sehr bald aus den Führungspositionen verschwinden. Merkel wird hinwerfen, einen erneuten Wahlkampf wird sie sich nicht noch einmal zumuten, Seehofer wird wahrscheinlich sowieso demnächst ausgetauscht und Göring-Eckhart und Özdemir werden auch ihren Platz räumen müssen, dafür sorgt dann schon die fundamentale Basis.

Und ob das, was dann kommt, wirklich besser für unser Land sein wird, ist doch mehr als zweifelhaft. Die Chance eine neue, innovative, zeitgemäße und humane Politik zu betreiben, war noch nie so groß wie in diesen Stunden, wo jeweils die besten Ideen der unterschiedlichen Parteien zu einem tragenden Konsens zusammengeführt werden könnten, der dann das Land und die Menschen nach vorne bringt. Sollte diese Chance allerdings verpasst werden, dann wird es in der Politik mit Hauen und Stechen weitergehen, an die Zeit von 1929 bis 1933 soll erst gar nicht erinnert werden, zu furchtbar wäre das Schicksal. 

 Peter J. König

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