Samstagskolumne Peter J. König 30.09.2017

Wenn in Sachsen 27% der Menschen die AfD gewählt haben, noch vor der CDU mit 26,9% dann ist dies kein Ausrutscher mehr, das ist eine demokratische Krise größten Ausmaßes, die tatsächlich den Wahlen 1932 nahekommt. 

Die Bundestagswahl ist gelaufen, Überraschungen besonderer Art gab es eigentlich keine, zumindest für den Verfasser dieser Zeilen nicht. Das Einzige, was nicht so ganz auf dem Bildschirm war, ist das doch recht schlechte Abschneiden der beiden großen Volksparteien CDU und SPD. Sie sind die eigentlichen Verlierer dieser Wahl und natürlich nicht zu vergessen, das Demokratieverständnis von nahezu 13, exakt gesagt 12,6% der Wähler, die ihr Kreuz bei der AfD gemacht haben. Mag der Prozentsatz nummerisch auch relativ klein sein, die Auswirkungen sind enorm. 

Nicht nur, dass 94 Abgeordnete dieser rechtsradikalen Partei ins Plenum einziehen, wobei Frauke Petry, die bis vor ein paar Tagen noch Vorsitzende war, jetzt aus der Fraktion ausgetreten ist, und bald auch die Partei verlassen wird, es vorzieht als fraktionsloses, vielleicht bald auch parteiloses Mitglied des Bundestages den Einzelkämpfer zu geben. Diese "Neuen" im Bundestag stellen eine Zäsur im parlamentarischen Ablauf der Bundesrepublik Deutschland dar. Noch nie seit Gründung der BRD mit der ersten Regierung unter Konrad Adenauer als Bundeskanzler und Theodor Heuss als erster Bundespräsident im September 1949 hat es eine Partei im Parlament gegeben, die von rechtsradikalem, ja nationalistischem Gedankengut getragen wird. Wohl gab es immer wieder solche neonazistische Extreme, wie NPD oder Republikaner etwa, die in verschiedene Landesparlamente eingezogen sind, der Bundestag blieb bisher davon verschont. Dies hat sich nun mit der Wahl 2017 geändert und es ist zu befürchten, dass dabei nichts Gutes herauskommt. Hier etwa einen Vergleich mit der Zeit vor dem Ende der Weimarer Republik und dem rasanten Aufstieg der Nazis mit Hitler zu sehen ist durchaus zulässig. 

Dabei gilt es doch einige gravierende Unterschiede zu beachten, wobei der wesentlichste Unterschied die Festigung der Demokratie darstellt. Dazu schnell eine kleine geschichtliche Auffrischung: Am Ende der Weimarer Republik, also in dem Zeitraum von 1928 bis 1933 war der Reichstag quasi handlungsunfähig durch die vielen Splitterparteien, denn es gab bis zu 17 Parteien während der Weimarer Republik, da keine Sperrklausel existierte. Die kleinen Parteien haben sich gegenseitig blockiert, ebenso die großen Blöcke wie SPD und Zentrum. Die linken Parteien hatten die Republik im Auge, während die rechten Gruppierungen diese eigentlich wieder abschaffen wollten. Der Adel, der noch sehr viel Einfluss besaß, wünschte sich die absolute Herrschaft zurück und bekämpfte mit allen Mitteln den republikanischen Staat. Die wirtschaftlichen Auswirkungen durch die Weltwirtschaftskrise von 1929 (New Yorker Börsencrash) bis 1932 und darüber hinaus taten ihr Übriges. Die Auseinandersetzungen im Reichstag verlagerten sich dann auch auf die Straße, es gab blutige Kämpfe zwischen Kommunisten und den aufkommenden Nazis, die durch ihre Rollkommandos die Oberhand im öffentlichen Raum gewannen. Um die Blockade im Reichstag aufzulösen, wurden immer wieder Neuwahlen angesetzt. Dabei hat die NSDAP 1928 nur 2,6% erreicht, 1930 bereits 18,3%, 1932 im Juli 37,4%, im November 1932 33,1% und im März 1933 43,9%, worauf Hitler dann zum Reichskanzler ernannt wurde. 

Warum nun dieser Ausflug in die deutsche Geschichte? Der Grund liegt einfach darin, dass man sich der Gefahr bewusst werden soll, was es bedeuten kann, wenn eine nationalistische Partei ins Parlament einzieht und welche Folgen daraus entstehen können. Sie werden jetzt entgegenhalten, dass die Zeiten nicht vergleichbar sind. Damals die große wirtschaftliche Depression, heute bei uns wirtschaftliches Wachstum, damals ein überbordender Nationalismus in fast allen Staaten Europas, heute der Versuch ein gemeinsames Europa zu schaffen. Aber da beginnt das Gegenüber schon zu bröckeln. Mittlerweile gibt es in den meisten Staaten der europäischen Gemeinschaft erstarkte Rechtsparteien, und nicht nur mit Front National in Frankreich, den Freiheitlichen in Holland oder Ukib in Großbritannien, nicht zu vergessen, die starken nationalistischen Strömungen in Polen, Ungarn und Tschechien, ebenso in den skandinavischen Staaten, die eher für ihre liberalen Haltungen bekannt sind, überall ist ein starker Rechtsruck festzustellen. In Deutschland hat mit dem Einzug der AfD in den Bundestag eine Zeitenwende begonnen, eine Rolle rückwärts, wenn Sie so wollen. Der Vergleich mit dem Ende der Weimarer Republik scheint zumindest oberflächlich nicht ganz hinzuhauen, wenn man sich aber ansieht, wie diese Rechtsradikalen so viel Zulauf bekommen haben, trotz der vermeintlich völlig unterschiedlichen Bedingungen zu Weimar, so gibt es doch im Ansatz viele Parallelen. Da ist die soziale Frage, mit Arbeitslosigkeit und Hartz 4 in Verbindung mit überteuertem Wohnraum, was letztendlich zu Suppenküchen und Armenspeisung führt, trotz nie dagewesener Steuereinnahmen

Weiter sind da die Ängste und Sorgen bezüglich der Zukunft durch Immigration und ungesteuerter Zuwanderung, was es in den Zeiten zu Weimar ebenfalls gab. Des Weiteren sind da die Vorstellungen dieser Menschen, auch damals, einfach abgehängt zu sein, verraten von den elitären Eliten, die sich unendlich bereichern und sich nur noch um sich selbst kümmern. Damals Adel und Großindustrie, sind es heute die akademischen Führungsschichten, die mittels Geld und Beziehungen, die Schere immer weiter öffnen und die Durchlässigkeit in der Gesellschaft blockieren, so die Befürchtungen. 

Wenn in Sachsen 27% der Menschen die AfD gewählt haben, noch vor der CDU mit 26,9% dann ist dies kein Ausrutscher mehr, das ist eine demokratische Krise größten Ausmaßes, die tatsächlich den Wahlen 1932 nahekommt. 

Aber auch in Bayern, dem Bundesland mit den höchsten Einkommen, haben die Nationalisten 12,4% erreicht, ohne irgendein nennenswertes politisches Konzept, da muss doch einiges im Argen liegen. An den teueren Mieten in München allein kann es ja nicht liegen. Hier gibt es fundamentale Probleme, eine demokratische Krise, weil bereits ein noch relativ geringer Teil der Menschen diesem demokratischen System nicht mehr trauen und sich der radikalen Rechten zuwenden. Und damit sind wir exakt in Weimar. 

Wenn diese Tendenz anhält, ist dieser Prozess ein schleichender, wenn es allerdings zu schlechteren wirtschaftlichen Bedingungen in unserem Land kommt, sei es etwa durch die Globalisierung, der Verlust von Arbeitsplätzen durch das Versäumnis von flächendeckender Digitalisierung und der Ausbildung der Menschen mit diesem Phänomen nicht richtig umgehen zu können, dann wird ein Sturm der Radikalität durch unser Land gehen, der in einer Geschwindigkeit stattfindet, wie er in den 1930er Jahren gar nicht möglich war. Dann Demokratie ade, der stärkste aller Männer wird dann wieder gefragt sein, mit all seinen Folgen wie wir sie gerade in der Türkei erleben. Und glauben Sie nicht, dass die Deutschen dafür nicht mehr empfänglich sind. 

Wir sollten nicht die Probe aufs Exempel machen. Aber noch ist es nicht soweit, noch gibt es eine klare Chance, der parlamentarischen Demokratie zum Erfolg zu verhelfen. Gerade mit diesem Wahlergebnis lässt sich zeigen, dass die Parteien Verantwortung tragen können und nicht in selbstverliebte Machspielchen verfallen. Dabei ist die Tatsache, dass die SPD mit Martin Schulz, einem der großen Verlierer der Wahl, sofort jegliche Koalitionsabsichten mit Merkel verneint hat, zwar ein demokratischer Fauxpas, zumal dies ohne jegliche Sondierung geschehen ist, unmittelbar nach Bekanntwerden der Prognose wenige Minuten nach Wahlschluss, aber pragmatisch gesehen, ist der Gang der SPD in die Opposition für die parlamentarische Demokratie im Bundestag durchaus wünschenswert. 

Wie verheerend wäre doch die Botschaft ins In- und Ausland, wenn zukünftig "Rechtaußen" die Opposition anführen würde und hier im erbitterten Kampf mit der Linken und den Grünen. Der Reichstag um 1930 lässt grüßen, demokratische Opposition mit der AfD Fehlanzeige. CDU, CSU, FDP und Grüne müssen nun zeigen, dass sie regierungswillig und -fähig sind. Da mag es ja vorher harte Koalitonsgespräche geben, wo jeder versucht möglichst viel von seinem Programm unterzubringen, aber am Ende erwartet die überwiegende Mehrheit der Deutschen, dass es zu einer gemeinsamen Regierungsbildung kommt, mag es Seehofer auch noch so schmerzen, wenn er seinen Lieblingsbegriff der Obergrenze durch Vereinbarungen ersetzt bekommt, die das gleiche meinen, aber explizit nicht so genannt werden. Ansonsten sollte die demokratische Mitte mit durchaus neuen Schwerpunkten beim Klima, bei der Rente, bei der Digitalisierung und steuerlichen Erleichterungen und einiger anderer sozialpolitischer Erneuerungen gemeinsam an den Regierungs-Start gehen. Darin liegt auch wirklich eine Chance den Ultra-Rechten das Wasser abzugraben und viele Wähler, die sich für die AfD entschieden haben zurück zu holen. Die Nazis in unserem Land werden nicht dabei sein, sie bleiben der nationalistischen Gesinnung dieser Partei treu, aber es werden weitaus weniger sein. 

Zudem wird es spannend zuzusehen, wieweit die Extremrechten sich selbst im Bundestag zerlegen werden. Dies wird anders sein als im Weimarer Reichstag, wo die NSDAP nach Hitlers Pfeife tanzte. Schon jetzt fürchten Gauland und Weidel, dass sie ihren Haufen nicht im Zaum halten können, man erinnere sich nur an den Landtag in Baden-Württemberg oder an andere Landesparlamente. Ein weiteres Novum wird sein, dass sich die Leitung des Bundestages mit der Aufhebung der Immunität einiger Abgeordneter der AfD befassen muss, ein Umstand der bisher äußerst selten stattgefunden hat. Hier hätte Wolfgang Schäuble als Parlamentspräsident, neben den zu erwartenden Tumulten, die die Redner der AfD durch verbale nationalistische Entgleisungen auslösen werden, die Möglichkeit seine ganze Erfahrung, seine Autorität und seine Beharrlichkeit in den Plenarsaal zu bringen, damit den Menschen draußen klar wird, womit sie es wirklich mit einer solchen Partei zu tun haben, die keine Lösungen aber Macht sich auf die Fahnen geschrieben hat, ganz so wie einst zu Weimarer Zeiten. 

Sollten sich die vier in Frage kommenden Parteien allerdings nicht auf eine gemeinsame Regierung einigen und dadurch vielleicht Neuwahlen entstehen, dann wäre die Katastrophe perfekt. Der Rechtsruck im Land wird unausweichlich sein, die beiden Volksparteien werden weiter beträchtlich Federn lassen und wer garantiert, dass die AfD nicht stärkste Kraft im Bund wird oder keiner mehr an ihr vorbeikommt. Vielleicht ist ja gerade dieses Szenario der Garant dafür, dass die genannten Vier sich letztendlich zusammenraufen. 

Sollte Schäuble tatsächlich dann auch Bundestagspräsident sein, würde er ganz gewiss auch Andrea Nahles, die zukünftige Fraktionsführerin der SPD im Bundestag rügen, wenn sie sich zu einer ähnlichen Entgleisung hinreißen lassen würde, wie just geschehen, als sie auf die Frage, wie sie sich nach dem Ausscheiden aus der Regierung unter Angela Merkel fühle, antwortete: "Ein bisschen wehmütig. Und ab morgen kriegen sie in die Fresse".

Und da wundert sich noch jemand, warum die sprachliche Verrohung im Netz ständig fortschreitet. 

Peter J. König

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