Samstagskolumne Peter J. König 03.10.2016

Wissen muss man: Es geht den Ultra-Rechten ausschließlich um die Macht, zunächst in den Ländern und dann im Bund. 

Heute am 3. Oktober, dem Nationalfeiertag aller Deutschen wird in erschreckender Weise deutlich, dass es mit der Einheit doch noch sehr zu wünschen übrig bleibt. Dies bezieht sich nicht nur auf die unsäglichen Pöbeleien, die am Rande der Feierlichkeiten in Dresden stattgefunden haben, von einer zahlenmäßig verschwindend kleinen Minderheit, der es aber gelungen ist, sich nicht nur medial sondern auch sehr konkret in den Mittelpunkt zu stellen. 

Pegida und die rechtsradikale Szene in Deutschland haben es geschafft, auf der Straße das Heft des Handelns an sich zu reißen und die gesamte deutsche Polit-Prominenz nicht nur alt aussehen zu lassen, die Rechtsradikalen haben die ersten Vertreter unseres Staates geradezu gedemütigt. Welches unwürdige Schauspiel, welche Ohnmacht, aber auch welcher verheerende Eindruck in der Weltpresse und welches schlimme Signal für die Neo-Nazi-Szene in Europa.? Doch davon später mehr. 

Zunächst soll hinterfragt werden, wie es um die deutsche Einheit steht, wenn zum 25. Mal der Jahrestag der Einheit gefeiert wird. Vielleicht liegt ja gerade hier einer der Gründe, warum dieser Feiertag solche entwürdigenden Begleit-Erscheinungen mit sich gebracht hat. Fakt ist, dass es noch immer ein merkliches wirtschaftliches Gefälle zwischen West und Ost gibt, bei den Einkommen, bei den Renten, ebenso bei der Chance zu einem regulären Arbeitsplatz. Im Bereich der Ballungsgebiete zeigt sich die Einheit nahezu deckungsgleich, wenn man die großen Städte betrachtet, im Westen etwa Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart oder München, im Osten Leipzig, Dresden, Erfurt oder Jena. Berlin, die Bundeshauptstadt hat diesbezüglich einen Sonderstatus, die wirtschaftliche Angleichung schreitet weit schneller voran, dies zeigen die Mieten mit am Deutlichsten. 

Wirkliche Ungleichheit findet in den abgelegenen ländlichen Gebieten statt. Hier wird pseudo-wissenschaftlich immer von den Folgen der Transformation gesprochen, hört sich irgendwie volkswirtschaftlich cool an, ist aber die Folge eines gesteuerten gigantischen Ausblutens einer Industrie-Landschaft, die aufgrund der erfolglosen Wirtschaftsordnung der ehemaligen DDR nicht den Hauch einer Chance hatte, aus eigener Kraft sowohl am Binnen- als auch am Weltmarkt zu überleben. 

Es begann das Ausschlachten der Industrie, wobei sich mit Hilfe der Treuhand, eine vom Westen installierte Abwicklungsgesellschaft mancher potente, aber auch viele nicht potente Käufer die Filetstücke herausgerissen haben, der Rest wurde über Bord geworfen. Die Folge, Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und ein allgemeiner Niedergang der oftmals in Frust, Wut und Desinteresse endete. 

Viele sind nach Westen abgewandert, hauptsächlich die jungen Leute, um dort sich eine neue Chance zu suchen. Zurück auf dem Land blieben die Alten, die Abgehängten und Planlosen. Wenn wir uns heute über die Wahlerfolge der AfD wundern, so hat dies genau mit dieser Entwicklung zu tun, die natürlich einhergeht mit der mangelnden politischen Bildung, einem nicht verinnerlichten Demokratie-Verständnis und den bitteren Erlebnissen, die die deutsche Einheit für diese Zurück-Gelassenen bereit gehalten hat. Viel zu spät erkennt man jetzt, dass allein eine kleine Rente oder ein geringes Arbeitslosengeld nicht dazu beigetragen hat, die Bürger in den östlichen Bundesländern für die schöne neue Freiheit zu begeistern. 

Hier hätte es mehr bedurft, mehr an Hilfe und mehr an Zuwendung, damit diese Menschen sich nicht ausgestoßen fühlen. Wer hat wirklich geglaubt, dass die Demokratisierung von alleine stattfindet, in einer Bevölkerung, die aus dem Kaiserreich, kurzfristig die von der herrschenden Schicht ungeliebten demokratischen Spielregeln der Weimarer Republik kaum erleben durfte, um dann durch die Diktatur der Nazis und die Diktatur in der DDR fremd bestimmt und unterdrückt zu werden. In solchen Systemen erlernt man keine Skepsis, keinen Widerspruch und hauptsächlich nicht zu hinterfragen, was Parolen politischer Scharlatane wirklich bezwecken sollen. 

Alles dieses hat die Westdeutschen, ob als Regierung oder Bevölkerung wenig gekümmert, ganz im Gegenteil, sie alle haben sich berauscht an der neuen Größe des Landes in Europa und seiner wachsenden Bedeutung in der Welt. Die Wirtschaft hat einen wunderbaren erweiterten Absatzmarkt gefunden, wobei man sich wenig Gedanken darüber gemacht hat, woher das Geld eigentlich kommen soll, damit alle neuen Mitbürger im Osten ebenso im Konsum baden können, wie man es im Westen seit Jahrzehnten gewohnt ist. 

Was nützt der schönste Supermarkt, wenn man zwar sich den Mund wässrig machen lassen kann, um danach frustriert festzustellen, wunderbar für die Anderen, ich aber gehe leer aus. In einer solchen Situation fällt auch die beste politische Fortbildung auf unfruchtbaren Boden. Es ist nicht zu leugnen, es hätte nach der Wende sofort viel mehr in den Neuen Bundesländern investiert werden müssen und zwar weniger in prestigeträchtige Infrastruktur, überdimensionierte Kläranlagen und sinnlosen Straßenbau in den brachliegenden Gewerbegebieten, möglichst alle 50 Meter mit einem Rondell, um das kaum ein Lkw herumkommt, wenn er sich mal in die Wildnis verirrt hat. Man hätte konsequent in ortsansässiges Gewerbe investieren müssen, mit dem Schwerpunkt bevorzugt die Menschen aus dem Osten sowohl unternehmerisch zu unterstützen, als auch weitaus mehr Personen erneut in Lohn und Brot zu bringen. 

Hier hat die Wirtschaftspolitik kläglich versagt, nachträglich ein bitteres Versäumnis, was sich in der Zukunft noch rächen wird. Deutliche Anzeichen gibt es genug, dass die Menschen speziell in den östlichen Bundesländern mit den aktuell rasant stattfindenden Veränderungen nicht mehr zurechtkommen. Man denke nur an Europäisierung, Globalisierung, Digitalisierung und noch tausend andere –isierungen, da ist eine Überforderung schnell perfekt mit der Folge großer Angst in die Zukunft. 

Dazu noch die Flüchtlingswelle, die weitere Ängste auslöst, dieses Mal sehr konkrete, zumal diese von den Rechtspopulisten noch massiv geschürt werden. Daraus folgte, dass Politik und Presse, aber auch die Volksvertreter insgesamt grundsätzlich als Feinde und Verräter angeprangert werden. Was sich dadurch entwickeln kann, war in Dresden bei den Einheitsfeierlichkeiten zu erleben. Eine solche Konfrontation ist ja nicht neu, Angela Merkel bekam es ja hautnah in Heidenau beim Besuch der angezündeten Flüchtlingsunterkunft zu spüren. Daraus hätte man lernen müssen, als in der Frauenkirche und in der Semperoper die Vereinigungsfeier geplant wurde. 

Es hätte unsere Demokratie bestimmt nicht in ihren Grundfesten erschüttert, wenn man ein Demonstrationsverbot in unmittelbarer Nähe der beiden Dresdener Versammlungsorte ausgesprochen hätte, zumal nicht sicher sein konnte zu welchen gewaltsamen Ausschreitungen es möglicherweise gekommen wäre. 

Und welcher Eindruck muss eigentlich entstehen wenn man sieht, wie unmittelbar konfrontiert die Festgäste auf dem Weg zur Semperoper mit den widerlichen Beleidigungen und Verunglimpfungen der pöbelnden Demonstranten von Pegida und AfD waren?

Gäste aus aller Welt, die zur Einheitsfeier geladen waren, sahen sich gezwungen dieses abscheuliche Schauspiel über sich ergehen zu lassen. Dies war bestimmt kein Ruhmesblatt, weder von den Veranstaltern, noch von den Mitläufern des rechtsradikalen Mobs. Da stehen uns noch große Schwierigkeiten ins Haus, wenn wir weiterhin der radikalen rechten Szene eine solche Plattform zur Verfügung stellen, ohne in großer Zahl dagegen aufzustehen. 

Wie Norbert Lammert, der Bundestagpräsident, nebenbei gesagt ein hervorragender Kandidat als zukünftiger Bundespräsident, Norbert Lammert hat nach seiner beachtenswerten Festrede in der Semper Oper nachträglich in einem Interview darauf hingewiesen, dass 450.000 friedliche Besucher in Dresden nicht annähernd die politische Wirkung erzielt haben, wie die etwa 4000 grölenden Störer, die nichts anderes im Sinn hatten als herumzupöbeln, in der Gewissheit eine möglichst große Wirkung auf die Festgäste auszuüben und in den Medien präsent zu sein. 

Seit vielen Jahren gibt es wissenschaftliche Untersuchungen die eindeutig belegen, dass etwa 25 bis 30% der Bevölkerung rechtsradikalen Tendenzen nachgehen. In der Vergangenheit wurde dies nicht offenkundig, da die überwiegende Mehrheit sich damit nicht öffentlich gezeigt hat. Dies wurde durch die Wiedervereinigung anders. 

Während im Westen noch immer sich die Wenigsten zumindest bis heute nicht eindeutig bei Wahlen geoutet haben, nur etwa 10% zeigt offen ihre rechtsradikale Gesinnung, belegen die Wahlen im Osten auf welchen fruchtbaren Nährboden die Kampagnen von Afd und Pegida gefallen sind. 24% der Wähler in Sachsen-Anhalt haben für die AfD gestimmt und sind damit auf die völkischen Phrasen und die idiotische Deutschtümelei hereingefallen, in der Hoffnung, dass diese sich ihrer Probleme annehmen. Dabei ist ihnen nicht klar, welchem Unsinn sie aufgesessen sind, ist doch die AfD gar nicht gewillt und nicht in der Lage mit ihrem Wahlprogramm den sogenannten kleinen Leuten irgendeine Verbesserung zu bescheren. Ganz im Gegenteil, es werden jede Menge soziale Kürzungen propagiert, die besser Verdienenden werden eindeutig bevorzugt. 

Es geht den Ultra-Rechten ausschließlich um die Macht, zunächst in den Ländern und dann im Bund. Und dies nicht nur in Deutschland. In vielen Ländern in Europa sind ähnlich besorgniserregende Entwicklungen festzustellen, etwa in Frankreich mit Marine Le Pen und dem Front National, in Holland mit Geert Wilders und seiner Partij voor de Vrijheid, der FPÖ in Österreich und, und, und. Da braut sich nichts Gutes zusammen, denn gerade die Rechten, die heute gemeinsam an die Macht wollen in den Staaten Europas werden morgen um die Vormacht kämpfen, 
jeder einzeln und jeder gegen jeden. 

Dann ade, du gemeinsames Europa, das Europa, das glaubte Konfrontation und Krieg überwunden zu haben ist nur noch eine Illusion der Vergangenheit. Die Realität des 19. und 20. Jahrhundert hat uns wieder eingeholt, mit all seinen Kriegen, Verwüstungen, Völkermorden und Unterdrückungen. 

Dies kann und darf nicht sein, hier müssen wir alle gemeinsam dagegensteuern, jeder für sich im Alltag und gemeinsam auf großer Bühne in der Öffentlichkeit bei Demonstrationen für Freiheit und Demokratie und bei den bevorstehenden Wahlen. Natürlich gehört auch eine möglichst große Wahlbeteiligung der aufrechten Demokraten dazu, damit aus einer schleichenden rechtradikalen Minderheit über Nacht keine Mehrheit wird, die wir alle nicht gewollt haben. Rechtradikalismus wird am wirksamsten an der Wahlurne bekämpft. Dies war auch in der Vergangenheit so, als NPD oder Republikaner versucht haben, die politische Landschaft rechtradikal zu unterwandern. Als sie doch in das eine oder andere Parlament eingezogen sind, haben sie sich selbst entlarvt und zerbröselt durch interne Machtkämpfe. Zurzeit sieht dies noch nicht so aus. Zwar haben die AfDler sich im Württembergischen Landtag zunächst gespalten, die Tendenz geht allerdings wieder auf eine Einigung hin. 

Im nächsten Jahr stehen noch drei Landtagswahlen an, bevor es Ende September zur Bundestagswahl kommt und zwar im Saarland, in Schleswig-Holstein und im bevölkerungsreichsten Bundesland in Nordrhein-Westfalen. Bei diesen Wahlen wird sich zeigen, wie sich der Trend der AfD weiter entwickelt. Sollten in den drei westlichen Bundesländern ähnliche Ergebnisse wie etwa in Sachsen –Anhalt erreicht werden, dann können wir uns bei den Bundestagswahlen auf einen Erdrutsch gefasst machen, der seinesgleichen sucht, denn ohne die AfD geht dann im Bund nichts mehr. Möge dies doch nur eine zu schwarze Analyse bleiben, denn es kann ja nicht sein, dass ein regionales Phänomen im Osten letztendlich einen derartigen Flächenbrand auslöst, der dann kaum noch zu löschen ist. 


 Peter J. König