Samstagskolumne Peter J. König 18.06.2016

 Peter J. König
Ruhemodus in der Politik?

Man möchte nicht glauben, dass es während der Fußball-EM nicht zu wichtigen politischen Entscheidungen in Berlin kommt, nur weil der Focus des Interesses jetzt maßgeblich auf die Spiele in Frankreich gerichtet ist. Erfahrungsgemäß sind es gerade diese Zeiten, in denen die Verantwortlichen in den Regierungsämtern versuchen, unliebsame, gar umstrittene Projekte und Gesetzesvorhaben ohne großes Aufsehen durchzudrücken, ohne dass es zu großen Widerständen kommt, da die Bevölkerung überwiegend am Abschneiden der deutschen Mannschaft interessiert ist. Dies gilt übrigens auch für andere sportliche Großereignisse, wie etwa Olympische Spiele oder Leichtathletik-Weltmeisterschaften. 

Sowohl die Regierenden im Bund als auch in den Ländern nutzen diese Phase der Ablenkung gerne, um mehr oder weniger umstrittene politische Vorhaben ohne große Resonanz zu manifestieren. Dies wird auch bei der jetzt stattfindenden EM so sein. Insgesamt ist festzustellen, dass wir aktuell politisch dahindämmern. Es gibt keine Reformvorhaben, die auf der Agenda stehen, keinerlei kritische Diskussionen finden zurzeit in unserem Land statt. Selbst die rechten Hardliner der AfD haben in den Ruhemodus umgeschaltet, keinerlei medienträchtige Spaziergänge von Pegida in Dresden. 

Es ist zu vermuten, dass das "Volk" vor der Glotze hängt, um täglich mehrere Stunden Fußball zu konsumieren, um die restliche Zeit am Stammtisch oder bei der gemeinsamen Bier-Runde eine erfolgssichere Mannschaftsaufstellung zu verkünden, die eins absolut gewährleistet, einen Sieg nach dem anderen, den Titel eingeschlossen. In solchen Zeiten ist der Platz des "Volkes" am Fernseher und nicht auf der Straße. 

Die Dresdener werden es zu schätzen wissen, ebenso die Touristen, die gekommen sind, um diese wunderbare Stadt kennenzulernen. Derweil demontieren sich die "Afdler" selbst, in der Parteispitze mit medienwirksamen Anfechtungen zwischen der Vorsitzenden Petry und dem Fraktionsvorsitzenden im württembergischen Landtag und AfD-Spitzenmann Meuthen, dem einzigen verbliebenden Professor der Gründergeneration, gleichzeitig in den Landtagen mit Konkurrenzgerangel um die führenden Plätze. 

Es wird spannend sein, diese Entwicklung weiter zu beobachten und dies speziell im Hinblick auf die Bundestagswahl im Oktober 2017. Dabei ist es durchaus möglich, dass der Stern dieser stark rechtslastigen Partei schon wieder verglüht, zumindest aber im fortlaufenden Sinkflug sich befindet. Ähnlich wie im Sommer 2015, bevor die Flüchtlingsströme einsetzten und die AfD massiv an Zustimmung verlor, ist es jetzt möglich, dass durch die kaum noch nennenswerten Flüchtlingszahlen, das große Thema der "Retter der deutschen Kultur" abhandenkommt. 

Deshalb auch hat Beatrix von Storch, das verwirrt erscheinende Vorstandsmitglied der AfD, schon vor Wochen in einem internen Papier darauf hingewiesen, dass im Falle von weniger Flüchtlingen, das neue Reizthema die Muslime werden müssten, die sich anschicken, den Untergang der westlich-abendländischen Kultur zu erzwingen. Moscheen, soweit das Auge reicht, verschleierte Frauen zuhause eingesperrt, die Scharia anstatt des Grundgesetzes und ein strenges hierarchisches muslimisches Herrschaftsprinzip anstatt demokratischer Werte, dieses Schreckensszenario soll das "Volk" wieder für die AfD einnehmen. 

Dies scheint aber nicht so recht funktionieren zu wollen, und da der "IS" auch noch immer mehr an Boden verliert in Syrien und dem Irak schwindet ein weiteres Feindbild, zumal auch der Zulauf durch junge Salafisten aus Deutschland von staatlicher Seite besser unterbunden wird. Die Balkan-Route ist dicht, hier sind mutmaßlich keine Flüchtlinge zu erwarten. 

Weitaus problematischer ist der Zulauf über das Mittelmeer von Libyen und Tunesien aus, wo etwa 1,5 Millionen Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten darauf warten mit den allerletzten Seelenverkäufern an Bootsschrott die gefährliche Überfahrt nach Italien zu wagen. Zwar haben die Europäer mit verstärktem Einsatz ihrer Marine-Einheiten, Deutschland ist mit einigen Schiffen und mit vierhundert Mann an dem Unternehmen beteiligt, ihre Präsenz in diesem Gebiet erheblich verstärkt, aber dies hat nicht etwa die Menschen abgehalten über das Mittelmeer zu kommen. 

Genau das Gegenteil ist der Fall, sie glauben jetzt sofort gerettet zu werden, wenn ihr Boot kentert, oder der Kahn einfach absäuft. Wie groß das Risiko tatsächlich ist, zeigt die Zahl der Ertrunkenen, die bereits in diesem Jahr mehr als Zweitausend sein soll, wobei man davon ausgeht, dass diese Annahme viel zu gering ist. Offiziell wird seitens der EU mit etwa 300.000 Personen gerechnet, die versuchen werden,  über das gefährliche Wasser nach Italien zu gelangen. Dabei stellen sich zwei wesentliche Fragen: 

Wie glaubt man im Voraus eine solche Zahl auch nur annähernd prognostizieren zu können? und viel entscheidender: Warum ist es nicht möglich,  mit Hilfe modernster Aufklärung aus der Luft durch Flugzeuge und per Satellit sofort festzustellen, wenn Schlepper größere Menschengruppen auf Boote oder gar Schiffe verbringen, um dann sofort einzugreifen mit Hilfe speziell ausgebildeter Kommandos?

Die Satellitenüberwachung, sei sie militärisch oder zivil, ist heutzutage jederzeit in der Lage jeden Winkel auf diesem Globus zu scannen. Warum also nicht ein paar Hundert Kilometer an der Nordafrikanischen Küste? Die Antwort ist eigentlich ganz einfach, man hat kein Interesse, das Leben der verzweifelten Menschen ist es nicht wert, zumal man auch nicht weiß, was mit diesen Flüchtlingen geschehen soll, welche Perspektive man ihnen geben kann und welche Folgen eine solche "Völkerwanderung" vom afrikanischen Kontinent nach Europa haben wird. 

Dagegen ist die Problematik im Nahen Osten eher sekundär. Die Region wird sich stabilisieren und die Menschen,  die geflohen sind werden überwiegend in ihre angestammte Heimat zurückkehren. Der Problem-Kontinent Afrika hingegen wird in der Zukunft extrem viel schwieriger zu managen sein. Die moderne Kommunikation hat speziell den jungen Afrikanern gezeigt, welche unterschiedlichen Lebens-und Arbeitsbedingungen zwischen den einzelnen Kontinenten bestehen, wo selbst verarmte Regionen in Süd-und Mittelamerika, Asien und auf dem indischen Subkontinent mittlerweile Entwicklungsperspektiven bieten, die eine echte Chance für das Überleben in petto halten. 

In den meisten afrikanischen Ländern ist dem nicht so. Hier herrscht blanker Hunger, Perspektivlosigkeit und oftmals mörderische Willkür durch Warlords, die sich mit brachialer Gewalt alles nehmen, was zu holen ist, Bodenschätze, landwirtschaftliche Güter und Menschen, die sie im Falle von Frauen und Mädchen versklaven oder zu Mordbuben machen. Die Bevölkerungen werden tyrannisiert und bis auf das Letzte ausgepresst, das Leben selbst ist keinen Cent wert. Da ist es doch mehr als verständlich, dass sich gerade die Jungen auf den Weg machen, wenn sie im Internet sehen, wie gut es den Menschen in anderen Regionen auf dieser Welt geht, besonders in Europa, das auch noch quasi zu Fuß zu erreichen ist. 

Man möchte sich nicht vorstellen, was passiert, wenn anstatt 1,5 Millionen sich 50 oder gar hundert Millionen auf den Weg machen, ihr Heil außerhalb Afrikas, speziell in Europa zu suchen. Hier gibt es nur eine Lösung und die heißt, der Kontinent muss stabilisiert werden durch massive Unterstützung der gemäßigten politischen Kräfte, einhergehend mit größten Anstrengungen in den Bereichen Technik, Landwirtschaft, Infrastruktur, Gesundheit und vor allem Bildung. Und das wird Geld kosten, unendlich viel Geld, was aber bestens angelegt ist, denn zunächst werden die Menschen in ihren Ländern bleiben, wenn sie hier Überlebens- und Entwicklungschancen spüren. Und die dann wachsenden Volkswirtschaften bieten auch neue Absatzmärkte für westliches Knowhow und lohnende Investitionen an. 

Die westlichen Gesellschaften werden nicht umhinkommen, umdenken zu müssen. Sie müssen lernen global zu denken, nicht allein weil wir es wollen, sondern weil wir es müssen. Die moderne Technik, einhergehend mit der entsprechenden Kommunikation lässt uns keine andere Wahl. Wehe, wenn wir diesen Wandel verpassen oder allzu sehr hinterher hinken. Schon jetzt gibt es ein Gefälle innerhalb Europas bei den schnellen Internet-Zugängen. Während in den baltischen Staaten nahezu jeder Einwohner einen Internet-Zugang besitzt, gibt es in Deutschland noch ganze Landstriche, die nicht am Mobilfunk-Netz angeschlossen sind, geschweige denn Internet haben, so wie etwa in der Eifel oder in Niederbayern. 

Für manche mag dies ja idyllisch sein, wirtschaftlich gesehen ist das ein Desaster, das schnellstens beendet werden muss, sollen die Regionen nicht abgehängt werden. Auch in der Bundesrepublik hat es nach der Wiedervereinigung eine millionenfache Wanderbewegung von Ost nach West gegeben, als sich die Menschen, speziell die jungen Menschen auf den Weg gemacht haben, in den alten Bundesländern Arbeit und neue Möglichkeiten zu suchen. Mittlerweile ist dieser Trend gestoppt, zum ersten Mal gibt es eine gegenläufige Tendenz, es sind mehr Menschen von West nach Ost gezogen, als umgekehrt. 

Und dies ist ein sehr positives Zeichen, zunächst überwiegend für die großen Städte wie Berlin, Leipzig, Dresden und auch Erfurt, das wird sich aber auch auf die ländlichen Gebiete ausdehnen, mit einer entsprechenden Sogwirkung. Für die Mentalität der Menschen insgesamt kann dies nur von Vorteil sein, wird doch so die Angst vor allem Fremden überwunden, wenn man feststellt, dass die eigentlich gar nicht übel sind, nichts Böses im Schilde führen und auch noch Prosperität mitbringen, was auch der Region zugutekommt. Vielleicht klappt es dann auch eher mit der liberalen Grundeinstellung allem Neuen und Fremden gegenüber. 

Afrika braucht eine ähnliche Chance, soll der Kontinent zur Ruhe kommen und seine Menschen ernähren können. Es wird ein langer und sehr beschwerlicher Weg werden, bis die Bedingungen so sind, dass die Menschen sich nicht mehr auf machen, um in Europa ihr Heil zu suchen. Ob er gelingen wird, ist eh höchst bedenklich, aber dieser Weg ist, wie oben bereits erwähnt, alternativlos. Kommen wir zum Schluss zur aktuellen innenpolitischen Lage zurück. Immer deutlicher zeigt sich jetzt schon die lähmende Wirkung der Großen Koalition. Hat sich in der akuten Flüchtlingsfrage noch der Profilierungswille von Seehofer und seiner CSU gezeigt, so ist dieser mit dem rapiden Rückgang der Zahlen nahezu erlahmt. 

Die SPD hat ein Problem mit schwindenden Zustimmungszahlen, teilweise unter 20% im Bund und im Osten teilweise weniger als die AfD um die 10%. Der Vorsitzende Gabriel scheint jetzt bereits ein Auslaufmodell zu sein, sein Stand innerhalb der Partei ist alles andere als unumstritten. Wenn im Herbst, ein Jahr vor der Bundestagswahl die Regierungsarbeit zum Stillstand kommt und die Koalitionäre anfangen ihr "Profil zu schärfen", sprich sich gegenseitig madig zu machen, dann wird die SPD zeigen, wer zukünftig der starke Mann sein wird. 

Gleichzeitig wird ein neuer Bundespräsident gesucht, auch hier werden schon erste Weichen gestellt für die zukünftige Regierung, zeigt sich doch bei den Kandidaten, welche große Linie sich abzeichnen könnte. Angela Merkel sieht es gelassen. Ihr Stand in Europa hat sich durch die geringen Flüchtlingszahlen verbessert. Jetzt wartet sie den Verlauf der EM ab. Sollte die deutsche Mannschaft das Endspiel erreichen, gar Europameister werden, sind in der Zwischenzeit nicht nur klammheimlich umstrittene Gesetzesvorhaben unter Dach und Fach gebracht worden, wir sehen auch die Kanzlerin auf ihrem absoluten PR.-Höhepunkt, nämlich in der Kabine, umringt von ihren Jungs, die ihr so viel Sympathie entgegenbringen und diese auf das ganze Land ausstrahlt. Wer zweifelt da noch daran, wie die nächste Bundeskanzlerin heißt. 

Peter J. König