Samstagskolumne Peter J. König 13.02.2016

Säbelgerassel wie einst vor dem Ersten Weltkrieg. 

Die Zeiten sind instabil, ja geradezu gefährlich. Mit Beginn der Annektierung der Krim hat Putin eine Zeitenwende eingeleitet, deren Ausgang höchst unsicher ist. Gleichzeitig hat er alles unternommen, um den Diktator Assad in Syrien vor der Vertreibung zu retten. Grund war einzig die Möglichkeit nur so seinen Einfluss in Syrien, aber auch seine Machtposition im Nahen Osten zu sichern und auszubauen. Wie weit der Überfall auf die Krim mit Putins Engagement in Syrien zusammenhängt, darin streiten sich noch die Experten und politischen Analysten. Eins ist aber unbestritten, alle Aktivitäten sollten nur einem Ziel dienen, Russland, und damit Putin, denn Putin sieht sich in der Tradition machtvoller, russischer Herrscher und Herrscherinnen, wieder die Weltmachtstellung zu ermöglichen, wie sie zur Zeit der Sowjet-Union faktisch gegeben war, und mit dem Sieg Stalins gemeinsam mit den anderen Siegermächten des Zweiten Weltkrieges untermauert wurde. 

Stellt sich doch die Frage, warum gerade zu diesem Zeitpunkt? Und warum war es möglich mit massiven Völkerrechtsverletzungen einen solchen Machtzuwachs zu erreichen, wie es ihn seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat? 

Seit Ronald Reagans Zeiten als Präsident fing die Sowjet-Union an, sich aufzulösen. Nato-Doppelbeschluss und andere westliche militärische Aufrüstungen haben bewirkt, dass Moskau nicht mehr in der Lage war das militärische Gleichgewicht zu halten. Grund war der wirtschaftliche Verfall. Planwirtschaft hatte über Jahrzehnte die Wirtschaft in der Sowjet-Union und den anderen kommunistischen Ländern quasi ruiniert, mit der Folge dass Rüstungsanstrengungen wie sie seitens des Westens unternommen wurden, nicht mehr pariert werden konnten. 

Gorbatschow hat dann diesem Wahnsinn ein Ende bereitet, indem er die Perestroika und Glasnost durchgesetzt hat, um so Russland, seine mittlerweile selbständigen ehemaligen Sowjet-Republiken und seine Vasallenstaaten mit einer neuen Freiheit auch wirtschaftlich wieder zu beleben. Der Weltmacht-Status war allerdings erst einmal dahin. Kapitalistische Strukturen hielten Einzug in Russland, völlig ungezügelt und unkontrolliert. 

Die Oligarchen haben das Land ausgeplündert, die Bodenschätze an westliche Konsortien verscherbelt und was bis dahin nicht marode war, ging jetzt endgültig zu Bruch. Einige Wenige haben sich unendlich bereichert, das Volk hat gehungert und selbst die intellektuellen Eliten aus Wissenschaft, Kunst und Kultur waren am Ende. Ballerinen der Moskauer Oper mussten sich in glitzernden Nobel-Diskotheken der "Neuen Reichen" nackt zur Schau stellen, wenn nicht gar prostituieren, wollten sie nicht verhungern. 

Die veraltete Schwerindustrie, die Bergwerke, die Öl- und Gasförderung alles war kollabiert, oder, wenn sie noch zu gebrauchen waren, dem Zugriff einiger Groß-Betrüger anheimgefallen, die jeweils Milliarden in ihre eigenen Taschen scheffelten und dies mit tatkräftiger Hilfe aus dem Westen. Die Arbeiter und die gesamte sonstige Bevölkerung gerieten in einen erbärmlichen Zustand, sie alle wünschten sich verständlicherweise die Sowjet-Union zurück. Bekommen haben sie nach einem Jahrzehnt unendlicher Wirren und katastrophalen Bedingungen in Staat und Gesellschaft einen starken Mann namens Putin, der mit Hilfe seiner alten Geheimdienst-Seilschaften nicht nur die Oligarchen dominierte, sondern auch die zunächst demokratischen Institutionen wie Parlamente und Gerichte unterwanderte. 

Heute scheint er der unumschränkte Herrscher in Russland zu sein, wobei nicht klar ist, wer ihn wirklich stützt, die Oligarchen, der Geheimdienst oder die alten Seilschaften aus alten Petersburger Zeiten, die durch ihn in machtvolle Ämter gehievt worden sind, gerade um so Putin zu stützen. Doch das ist ihm nicht genug, er möchte auch wieder Weltmacht-Führer werden, wie es nur Obama zurzeit ist, auf Augenhöhe mit den USA. Anzeichen für seine Machtansprüche gibt es eigentlich schon vor der Krim-Besetzung, wenn in Georgien, Tschetschenien und anderen ehemaligen Sowjet-Republiken die russische Armee eingefallen ist, um angeblich dort lebende Russen zu schützen und demokratisch gewählte Regierungen aus dem Amt gejagt wurden. Putins Pläne von einer Eurasischen Wirtschaftsunion sind in erster Linie nur der Versuch eines erweiterten Machtanspruches. 

Es geht um geo-strategische Einfluss-Sphären, ein Mittel mit dem alle Groß- oder Regionalmächte stets operieren, um möglichst weltweiten Einfluss zu haben. Syrien ist geradezu ein Paradebeispiel, wie so etwas funktioniert. Assad hat für Russlands Hilfe diesen einen Kriegshafen und einen Luftwaffenstützpunkt zur Verfügung gestellt. Vom syrischen Flottenstützpunkt operieren die russischen See-Streitkräfte im gesamten Mittelmeer-Raum, aber auch im ganzen Südatlantik. Die russischen Jets sind im gesamten Nahen Osten unterwegs zwecks Aufklärung und Überwachung. Stationiert sind sie auf der Basis in der Nähe von Damaskus, von hier werden auch die Angriffe gegen die syrische Opposition und Rebellen geflogen, manchmal auch gegen den "IS". In erster Linie geht es aber darum das Regime Assad am Leben zu halten und es wieder uneingeschränkt in Syrien an die Macht zu bringen. Letztendlich geht es um den entscheidenden Einfluss im Nahen Osten, da ist Syrien für die Russen eine ideale Basis, zumal sich die Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien aufgrund ihrer unterschiedlichen islamischen Glaubenszugehörigkeit als Todfeinde betrachten, und versuchen sich gegenseitig zu schwächen. 

Der schiitische Iran versucht dem sunnitischen Herrscherhaus in Riad die Vormachtstellung zu entreißen und es zu stürzen. Da die USA bereits seit einiger Zeit ihre globalen Strategien verlagert haben, auch dank minderem Interesse am Öl aus der Region, die Amerikaner "fracken" ihren enormen Ölbedarf mittlerweile fast ausschließlich im eigenen Land, hat Putin die Chance des entstandenen Vakuums genutzt, um hier mit Hilfe der Syrer internationales Macht-Terrain zu gewinnen. 

Die Amerikaner haben durch den Irak-Krieg und die von ihnen herbeigeführten verheerenden politischen Folgen ein völlig destabilisiertes Land hinterlassen, voll von Waffen und einer ehemaligen Armee von Sadam Hussein, die keinerlei Verwendung mehr im Irak bekam. Folglich haben sie sich dem "IS" angeschlossen, denn hier sehen sie neue Möglichkeiten erneut mit an Macht zu kommen. Waffen- und ausbildungsmäßig sind sie der neuen Irakischen Armee haushoch überlegen, daher auch der rasante Vormarsch durch die irakischen Provinzen, hin zu den lukrativen Ölquellen im Norden des Irak. Vom Irak aus ist die Welle des "IS" hinüber nach Syrien geschwabbt, zu einem Zeitpunkt, als der Bürgerkrieg noch überwiegend von einer militanten Opposition gegen Assad geführt worden ist. 

Erst mit dem Auftreten von "IS" und anderen radikalen Milizen aus der Region schien das Schicksal von Assad besiegelt. Doch mit welcher Folge? Syrien würde wie Afghanistan einst durch die Taliban jetzt von einer Mörderbande namens "Islamischer Staat" beherrscht werden, die von archaischen Glaubensstrukturen beeinflusst, ein Groß-Kalifat errichten wollten, das angetreten war die ganze Welt zu erobern. 

Dass dieses nicht passieren dürfte, darüber war man sich quasi weltweit einig. Schon bei der Vorstellung wie dies zu verhindern sei, ist Schluss mit jeglicher Gemeinsamkeit. Die Türkei hat bis vor wenigen Wochen den "IS" unterstützt, durch den Kauf erbeuteten Öls, durch Versorgungstransporte auch von Waffen und die Möglichkeit, junge "IS-Kämpfer" aus den westlichen Staaten ungehindert durch türkisches Gebiet nach Syrien zu lassen. Dies wurde erst kürzlich unterbunden, als der "IS" in größerem Maß Strukturen in der Türkei aufgebaut hat und durch Terroraktionen versuchte, das Land zu destabilisieren. Dazu gehört auch der Bombenanschlag auf das touristische Zentrum in Istanbul, dem großen Platz zwischen der Blauen Moschee und der Hagia Sofia. 

Aktuell ist die türkische Armee bereits dabei,  von türkischem Gebiet aus Kurden-Stellungen jenseits der Grenze in Syrien zu beschießen, ein Angriff mit Bodentruppen seitens Ankara scheint unmittelbar bevor zu stehen. Dabei geht es auch darum die Kurden zurück zu drängen, denn diese greifen den "IS" aus dem Irak mit großen Geländegewinnen an, um ihrerseits an der syrisch-türkischen Grenze auf syrischem Gebiet einen eigenen Kurdenstaat zu etablieren, dem sich später die türkischen Kurden anschließen sollen, nachdem sie sich von der Türkei getrennt haben. 

Doch Putins Strategie geht mittlerweile weit über den Konflikt in Syrien und dem Irak hinaus, wenn er mit massiven Luftschlägen in erster Linie die militante Opposition von Assad vernichten will und nicht den "IS" wie ursprünglich einmal international vereinbart. Putin hat das Entscheidungs-Vakuum unterlaufen, weil im Westen man davon ausgegangen ist, nicht direkt militärisch einzugreifen, und weil auch den Aufständischen gegen Assad kaum westliche Hilfe, sowohl finanziell, als auch waffenmäßig geleistet worden ist. Dies hat den "IS" in Syrien erst erstarken lassen, mit Hilfe großer finanzieller Unterstützung saudi-arabischer reicher Geschäftsleute und sunnitischer Mullahs, die ebenfalls wie der "IS" die Scharia als oberste Heils- und Gesetzeslehre anerkennen. 

Mit Putins Entscheidung militärisch in den Bürgerkrieg auf Seiten Assads einzugreifen, hat er das Gesetz des Handelns an sich gerissen, um unumkehrbare Fakten zu schaffen. Zugleich bewirkt er eine extreme Zunahme des Flüchtlingsstroms, der ungebrochenen sich nach West-Europa auf den Weg macht. Dies führt in einem erschreckenden Maß zu einer Destabilisierung der EU, was im schlimmsten Fall zum Zusammenbruch der Europäischen Gemeinschaft führen kann. 

Dies wiederum wird die Sanktionen der EU gegen Russland durch die Krim-Krise zumindest aufweichen, einige ost-europäische Staaten werden sie ganz einstellen, denn sie sind eigentlich am Handel mit Russland interessiert, als diesen zu boykottieren. Zwangsläufig stärkt dies auch Russlands Einfluss, die Idee vom Eurasischen Wirtschaftsverbund kann neu aufleben. Wie vergiftet die internationalen Beziehungen zwischen Russland und dem Westen sind, war deutlich am letzten Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz zu spüren. Der russische Ministerpräsident Medwedew sprach laut und unverhohlen von einem neuen "Kalten Krieg" der mittlerweile wieder zwischen Ost und West herrsche und Putin selbst nannte den Einsatz von Atomwaffen als eine mögliche Option. Dies ist Säbelgerassel wie einst vor dem Ersten Weltkrieg. 

Gleichzeitig macht sich in den europäischen Staaten der Nationalismus breit, angefacht durch den Flüchtlingsstrom. Jetzt kommt das eigentliche rechtsradikale Potential in unserem Land aus den Löchern, was in den letzten Jahrzehnten zumeist passiv latent vorgeherrscht hat. Erfahrungsgemäß ist dies auch nicht besonders beruhigend, eher das Gegenteil, wie uns die Geschichte lehrt. Aber dies ist noch nicht alles in dieser gefährlichen Gemengelage. Vor wenigen Monaten hat die Türkei einen russischen Kampfjet an der syrisch-türkischen Grenze abgeschossen, weil dieser angeblich türkisches Territorium verletzt hat. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind seitdem nicht nur beendet, keinerlei Warenaustausch, keine russischen Touristen an den Stränden der Türkei, die Eskalation wird durch ständige gegenseitige aggressive Attacken angeheizt, sodass im Fall einer türkischen Bodenoffensive bei einem Beschuss der Truppen durch russische Militärjets ein Krieg zwischen der Türkei und Russland nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Damit wäre die Katastrophe nahezu perfekt, denn was würde dies für uns in Europa bedeuten?

Die Türkei gehört wie fast alle europäischen Staaten und die USA dem Nato-Bündnis an. Deren Statuten besagen: Wird ein Mitgliedsstaat angegriffen, wird die Nato in ihrer Gesamtheit angegriffen, es besteht der Bündnis-Fall mit all seinen Konsequenzen, alle Nato-Staaten sind involviert auch und gerade die Bundesrepublik. Bei dieser Kenntnis wird auch klar, was die Äußerungen sowohl von Medwedew als auch von Putin bezwecken sollen. Sie dienen der prophylaktischen Abschreckung, denn die Androhung von Atomwaffen soll das Eingreifen der Nato im Falle eines Krieges zwischen der Türkei und Russland möglichst ausschließen. Und schon wieder hat Putin das Heft des Handelns in die Hände genommen, denn als despotischer Machtmensch hat er weitaus weniger Skrupel, als westlich demokratisch gewählte Politiker. 

Letztendlich wird seine Strategie aufgehen, so wie auf der Krim und in der Ostukraine. Der Westen wird das Risiko eines Atomkrieges nicht eingehen. So gewinnt Putin einen enormen geo-strategischen Machtzuwachs, auf der Weltbühne kommt keiner mehr an ihm vorbei. Vorüber sind die Zeiten als Obama Russland nur noch als eine Regionalmacht bezeichnete. Im eigenen Land wird der Herrscher im Kreml gefeiert und wenn es ihm gelingt Europa tatsächlich zu spalten, wird er auch bald wieder nach den ehemaligen Sowjet-Republiken greifen, damit seine uneingeschränkten Großmachts-Träume in Erfüllung gehen. 

Dies kann uns nicht beruhigen. Beruhigen kann uns auch nicht die Tatsache, dass der Ölpreis-Verfall die russischen Staatsfinanzen momentan ruiniert und die Aussicht, dass durch neue Energiekonzepte dieser Verfall weiter fortschreitet, da Öl seinen Handelswert verliert, muss zunehmend nachdenklicher machen, denn Russland besitzt keine Alternativen. Die Geschichte lehrt, dass im Fall von leeren Kassen alle Reiche der Vergangenheit auf Beutezug gegangen sind, Hitler lässt grüßen. 

Abschließend die Frage: Wie befreit sich die internationale Gemeinschaft aus diesem gefährlichen Dilemma? Machtmenschen wie Putin, aber ebenso auch Erdogan, dem türkischen Präsident ist äußerst schwierig beizukommen. Dies ist auch ein Fakt im russisch-türkischen Konflikt, denn keiner von beiden will nachgeben und letztendlich ist jedem alles zuzutrauen. Da ist es schon ein Glück, dass die Türkei keine Atomwaffen besitzt. Putin sieht seine Stunde gekommen, wieder ganz groß mitmischen zu können. Der Westen muss endlich eine handlungsfähige Strategie entwickeln, wie er geschlossen unter Mitwirkung der arabischen Staaten den "IS" ausschaltet, um dann Russland einen fairen Platz auf der Weltbühne anzubieten, denn ohne Russland geht es nicht, und ist auch viel zu gefährlich, wie oben zu sehen. 

Wenn man die Expansionspolitik der Chinesen betrachtet, ist dies eh die beste Lösung einen Status Quo zu erreichen, denn weder Russland, noch Europa oder den USA kann ein dauerhafter Ost-West-Konflikt gelegen sein, während China ganz Süd-Ost-Asien und den Pazifik und Afrika versucht zu dominieren. Zuvor allerdings sollten die Europäer sich endlich darüber einig sein was sie wollen, eine starke Gemeinschaft, bei der alle an einem Strang ziehen, oder ein Bündel von egoistischen Nationalstaaten, die alleine wirtschaftlich verkümmern. 

Objektiv gesehen, ist dies das weitaus größere Problem als eine atomare Auseinandersetzung von der alle wissen, dass letztendlich keiner mehr eine große Überlebensmöglichkeit hat. Also einigen wir uns auf die Formel: Es herrschen momentan sehr frostige Temperaturen zwischen Ost und West, ein Kalter Krieg ist dies aber noch lange nicht, wie wir ihn nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt haben. 

Peter J. König