#Samstagskolumne Peter J. König 07.11.2015

Steht die Demokratie am Scheideweg? 

Mit der Machtergreifung  Hitlers 1933 begann systematisch die Verfolgung der jüdischen Mitbürger. Diese hatte ihren ersten Höhepunkt am 9. November 1938 der Reichspogrom-Nacht, in der Synagogen, Bethäuser, aber auch Geschäfte der Juden angezündet und zerstört wurden. Dabei kamen Hunderte Deutsche jüdischen Glaubens ums Leben, Tausend und Abertausende wurden aus ihren Häusern und Firmen vertrieben. 

Wie ähnlich sind doch die Handlungsmuster, wenn im Jahre 2015 bereits mehr als 600 Flüchtlings-Unterkünfte in Brand gesetzt wurden. In welcher Form die Geschichte 1938 weiterging, dürfte hinlänglich bekannt sein, mit dem Ergebnis von 6 Millionen ermordeten Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen, katholischen und evangelischen Priestern, Intellektuellen, politisch Andersdenkenden und nicht zu vergessen, mehr als 70 Millionen Menschen im Zuge der kriegerischen Okkupationspolitik der Nazis. 

Nach so viel Leid und Trauer ist es geradezu ein Bedürfnis die Ereignisse des 9. November 1989 zu würdigen, als durch die friedliche Revolution in der DDR, die Menschen mit dem Ruf: "Wir sind das Volk" ihre Freiheit erlangen konnten, da es zum Fall der Mauer in Berlin kam und damit das Ende des Unrechts-Regimes besiegelt war. 

Heute 26 Jahre später scheint das Rad der Geschichte sich zurück zu drehen. Da stellt sich doch die Frage: Wie ist so etwas möglich, und wo sind die Gründe zu suchen? 

Des Weiteren resultiert daraus zwingend notwendig die Frage: Wie ist es eigentlich mit der Demokratie heutzutage in Deutschland bestellt, steht diese auf festen Fundamenten, wie dies mittlerweile seit Jahrzehnten behauptet wird, oder gibt es demokratische Auflösungs-Tendenzen, wie etwa zum Ende der Weimarer Republik? Weiterhin: Kann man die Situation in der Weimarer Republik überhaupt mir der heutigen Bundesrepublik vergleichen? Und abschließend: Warum mündet die zugegebenermaßen, schwierige Situation in der Flüchtlings-Frage immer mehr in Hass und Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und sprachlicher Verrohung? 

Bevor es an den Versuch geht, die eigentliche Demokratie-Tauglichkeit in unserem Land zu hinterfragen, soll diese bei den Anhängern der AfD in Erfurt bei den rechtsradikalen Veranstaltungen ihres thüringischen Vorsitzenden Höcke zur Sprache kommen. Wie entwürdigt müssen sich alle Menschen in der ehemaligen DDR vorkommen, die mit der Überzeugung  "Wir sind das Volk" unter großer Bedrohung an Leib und Leben sich für die Freiheit und Demokratie stark gemacht haben und jetzt erleben müssen, dass mit der gleichen Parole für Hass, Fremdenfeindlichkeit und nationalistischer Unfreiheit lauthals gebrüllt wird?

Sowohl in Dresden, als auch in Erfurt wird der Versuch unternommen, die Demokratie auszuhöhlen, sie zugunsten rechtsradikaler Führerschaft zu unterwandern. Dabei werden solche elementaren Werte wie die Meinungs- und Versammlungs-Freiheit dazu benutzt, sich nicht nur über die demokratischen Regeln hinweg zu setzen, vielmehr werden unter diesem Deckmantel faschistoide, kriminelle Meinungsäußerungen getätigt, wenn Politiker aufgehangen, Flüchtlinge vertrieben oder in Lager gesteckt oder gar mit militärischen Mitteln bekämpft werden sollen. Und diese Menschen bezeichnen sich selbst als das Volk, als die Mitte der Gesellschaft, als gute Bürger und als Mittelstand. Wie schlimm wäre es um das Land bestellt, wenn dies tatsächlich stimmen würde? 

Dann wäre der Vergleich mit dem Ende der Weimarer Republik Realität. Zum Glück ist es aber noch nicht so, und wir müssen alles tun, damit es niemals soweit kommt. Ist es nicht mehr als bezeichnend, dass auf allen Kundgebungen der Rechtsradikalen immer nur verunglimpft, beleidigt, geschmäht und Hass-Parolen skandiert werden, Aufruhr geschürt und Volksverhetzung betrieben wird, ohne nach demokratischen Spielregeln Vorschläge zu machen, wie die vermeintlichen Missstände in unserem Land behoben oder verbessert werden könnten? 

Kein Wort darüber, weder in Erfurt noch in Dresden. Anstatt dessen: "Muslime raus", "Lügen-Presse" (Original Goebbels), "Merkel muss weg" und immer wieder: "Wir sind das Volk". Mittlerweile ist auch kaum mehr davon auszugehen, dass die Menschen, die zu solchen Veranstaltungen kommen, dies aus Angst und Verunsicherung machen. 

Vielleicht war dies zu Anfang dieser Montagsdemonstrationen so, als es um die Frage der Stabilität des Euro, um die Situation in der EU oder um die Hilfe für die südeuropäischen Länder ging. Dies ist aber lange vorbei. Heute geht es um dumpfen Nationalismus, Rechtsradikalität und die Abschaffung der Demokratie, hin zur Diktatur. Wählen gehen zählt nicht mehr, freie Presse zählt nicht mehr, ebenso zählt nicht mehr die Meinung eines Andersdenkenden. Dies zeigen immer wieder die Attacken auf Journalisten und interessierte Bürger, die eine andere Meinung haben, als die hier vorgebrachten dumpfen Hetz-Parolen. 

Um die oben aufgeworfenen Fragen jetzt konkret zu beantworten, ist folgendes zu bedenken: Noch sind wir weit von den Verhältnissen zum Ende der Weimarer Republik entfernt. Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind gegenüber damals mehr als solide. Der Einfluss der Industrie ist nicht gegen den demokratischen Staat gerichtet, wie es in den letzten Jahren von Weimar der Fall war. Der Zuspruch der extremen rechten Parteien und Vereinigungen hält sich in Grenzen, was so viel bedeutet, der akive und passive Zuspruch hat sich seit Jahrzehnten kaum geändert. Er liegt wie seit 1945 zwischen 15 und 20%, wobei der latente Rechtsradikalismus mit Abstand den größeren Prozentsatz ausmacht, gewaltbereite Neo-Nazis machen etwa 2 bis 3% aus. 

Dass sie durchaus vor keinen Gewalttaten zurückschrecken, zeigen die NSU-Morde, die gerade in München vor Gericht abgeurteilt werden. Insgesamt kann man feststellen, dass ein Vergleich der jetzigen politischen Situation mit dem Ende der Weimarer Republik nicht zulässig ist. Die demokratischen Spielregeln in unserem Land funktionieren, die Gewalten-Teilung ist hierzulande ein Fakt, die politischen Parteien werden durch das Verfassungsgericht bei Bedarf kontrolliert, ebenso die Regierung. Ein ganz wichtiger Punkt, und da unterscheidet sich die heutige Situation ganz wesentlich von der Weimarer Republik, es gibt heute keinerlei paramilitärische Kräfte in unserem Land, wie es etwa damals die Freicorps darstellten. Diese straff organisierten Militär-Organisationen waren entstanden, da Deutschland nach dem Ende des 1. Weltkrieges lediglich ein 100.000 Mann-Heer seitens der Siegermächte zugestanden wurde. 

Die militärische Bewaffnung durch entsprechende Organisationen war aber um ein vielfaches größer. Zwangsläufig war dies natürlich eine Gefahr für die innere Sicherheit und die Stabilität der damaligen Republik. Derartige Sorgen haben wir heute nicht. Deshalb kann auch mit Fug und Recht behauptet werden, dass unsere Demokratie auf stabilen Füssen steht. Damit dies auch so bleibt, muss im Interesse aller Bürger sein. Deshalb ist es auch so wichtig, sofort wenn Tendenzen erkennbar sind, diesen Zustand zu erschüttern, gar zu unterwandern, mit allen rechtsstaatlichen Mitteln, aber ebenso entschieden seitens der Bürger dagegen vorgegangen wird. 

Während der gesamten Zeit der Bundesrepublik und auch nach der Wiedervereinigung hat es immer wieder Versuche, sowohl von rechts aber auch von links gegeben, das Staatswesen zu destabilisieren, wobei ehrlicherweise gesagt werden muss, dass diese Versuche nahezu ausschließlich von rechts kamen, wenn sie gewisse parlamentarische Erfolge erzielt haben, so z.B. durch die NPD oder die Republikaner. Zum Glück war der Spuk dann immer wieder schnell vorbei, über die Landesparlamente kamen die Rechten nie hinaus. 

Dies scheint diesmal vielleicht anders zu sein. Jüngsten Umfragen zufolge könnte ein Zusammengehen von AfD mit den Stimmen der Anhänger von Pegida und ihrer Schwester-Vereinigungen zurzeit etwa 10% Stimmen-Anteil bei der nächsten Bundestagswahl ausmachen, wobei die Dunkelziffer bisher nicht abschätzbar ist. Und diese Dunkelziffer ist unmittelbar abhängig von der aktuellen Entwicklung in der Flüchtlings- und Asyl-Frage. 

Unzweifelhaft liegt hier eine schwelende Sprengkraft. Dies wissen die Parteien im Bundestag ganz genau. Deshalb versucht man auch krampfhaft eine akzeptable Lösung zu finden, die sowohl der Rechtsstaatlichkeit entspricht, aber auch das Land und die Menschen nicht überfordert. Sollte dies nicht gelingen, dann wird sie wieder aufkeimen, die schlimme Saat der National-Sozialisten, weitaus schlimmer, wie es die Bundesrepublik bisher erlebt hat. 

Und was dann los ist, kann man sich ja schon einmal auf den Pegida-Versammlungen ansehen und anhören. Ob dann noch die Demokratie den nötigen Rückhalt und die Kraft hat, sich maßgeblich zu Wehr zu setzen, kann nur in unserer aller Interesse sein, die jegliche Form von Faschismus und Radikalismus ablehnen. Dass die Deutschen immer wieder einen Hang zum nationalen Größenwahn und zum Totalitarismus entwickelt haben, wird durch die Geschichte hinreichend dokumentiert. Lassen wir es nicht so weit kommen, zeigen wir schon jetzt, da im Keim sich diesbezüglich entsprechende Entwicklungen zu regen beginnen, dass wir gewillt sind, alle Versuche dieser Art sofort zu unterbinden. Dann wird Deutschland weiterhin ein Land sein mit Offenheit, Toleranz, Gastfreundschaft und Empathie, so wie wir es selbst gerne erleben wenn wir in der Fremde sind.

Wir sollten uns daran erinnern, dass wir während und nach der mörderischen Nazi-Herrschaft und trotz unserer großen Schuld von vielen Ländern Hilfe und Asyl erhalten haben, und wer weiß schon ob dies in der Zukunft nicht auch wieder nötig sein wird. Wie die Geschichte sich entwickelt kann niemand voraussagen, deshalb sollte man die Vergangenheit niemals vergessen. 

Peter J. König