Samstagskolumne Peter J. König 15.08.2015

"Die Welt, dem unwissenden Egoismus überantwortet, ist wie ein Tal, das im Finstern liegt." (Albert Schweitzer, 1875 - 1965)

Da die Angriffe auf Flüchtlingsheime sich ständig vermehren, ist es an der Zeit, sich über diese Ausschreitungen Gedanken zu machen, nach den Ursachen zu forschen und Lösungsansätze zu formulieren, die vielleicht helfen, diesen widerlichen Aktivitäten entgegen zu wirken. 

Dass es sich hierbei um Einzelprobleme handelt, die die Verantwortlichen allein vor Ort lösen müssen, ist schon lange nicht mehr der Fall. In den letzten Monaten hat sich so etwas wie eine bundesweite Dynamik in Sachen Brandanschläge und Überfälle auf Flüchtlingsunterkünfte heraus kristallisiert. Entsprechend ist deshalb nicht nur von einem Phänomen der neuen Bundesländer aus zu gehen, nein überall in der Republik gab und gibt es diese Ausschreitungen und sie häufen sich immer mehr. 

Deshalb ist es grundverkehrt mit ausgestrecktem Finger nach Osten zu zeigen, wenn auch immer wieder in den Medien der Name der Stadt Dresden fällt. Es wird höchste Zeit für diese wunderschöne Stadt und ihre Menschen "eine Lanze zu brechen", denn gerade hier wurde von dem überwiegenden Teil der Einwohner deutlich gezeigt wie sie Fremdenhass, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz ablehnen. 

Dass eine kleine Gruppe von Rechtsradikalen, Neonazis und nationalistischen Spinnern Gleichgesinnte aus der ganzen Bundesrepublik angezogen haben und der überwiegende Teil aus den alten Bundesländern kommt, geht bestimmt nicht zu Lasten von Dresden und seinen Bürgern. Die haben nämlich gezeigt durch ihre Gegendemonstration, dass sie für ein offenes, tolerantes Dresden stehen und dass sie null Toleranz für den rechten Pöbel und ihre Anhängerschaft haben. 

Gerade bei jüngsten Aufmärschen von diesen "selbsternannten Rettern der Republik", die drauf und dran waren eine Flüchtlingsunterkunft in Dresden zu stürmen, haben sie sich diesen hirnlosen Schlägern entgegen gestellt, bis die Polizei diese des Ortes verwiesen hat, wobei es zu Gewalthandlungen gegen die Beamten gekommen ist. Attacken auf Flüchtlings- und Asyl-Einrichtungen sind bundesweite Vorgänge, wenn man sich die mittlerweile fast täglich stattfindenden Brandanschläge ansieht. Da ist es allein dem Zufall geschuldet, dass es dabei noch nicht zu Todesopfern gekommen ist. 

Erinnert soll in diesem Zusammenhang an Brandattacken mit etlichen Toten vor mehreren Jahren, als Häuser angezündet worden sind, in denen ausschließlich türkische Mitbewohner gelebt haben, wie z.B. in Mannheim. Die damalige Brandserie ist in ihrer Häufigkeit allerdings keineswegs mit der Anzahl der heutigen Attacken zu vergleichen, wenn sie allerdings genauso verabscheuungswürdig waren. Auch ist zu vermuten, dass die Zahl derjenigen, die dies zu verantworten hatten, weitaus geringer war. 

Gemeinsame Initiativen von Deutschen und Türken, die solchen Gewalttaten keine Chance geben wollten, haben dafür gesorgt, dass es zu keiner weiteren Eskalation kam, und zwar auf beiden Seiten. Diesmal jedoch sieht die Sache anders aus. Weder die Flüchtlinge noch die Asylanten haben einen millionenfachen Rückhalt durch eigene Landsleute, wie dies bei den Türken der Fall war. Des Weiteren sind die Zahlen völlig unterschiedlich zum einen, zum anderen aber auch die Situation der Menschen, die mittlerweile in einer Größenordnung von 400-500Tausend allein in diesem Jahr nach Deutschland gekommen sind, ist nicht vergleichbar mit den damals hier legal lebenden Türken. 

Einen Rückhalt der aktuellen Flüchtlinge ist nur dann gegeben, wenn die deutsche Bevölkerung sie diesen Menschen gewährt. Dabei soll noch einmal, wie in der letzten Kolumne darauf hingewiesen werden, dass Flüchtlingen die zu uns kommen, weil sie in ihrem eigenen Land an Leib und Leben bedroht sind, Asyl zu gewähren ist, so unser Grundgesetz. 

Dies bedeutet natürlich auch eine angemessene Unterkunft zu stellen und die nötige Grundversorgung zu ermöglichen. Aber schon hier wird die Sache unübersichtlich. Bei Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan scheint die Flut zumindest von der Ursache her klar. Nicht klar ist die Regelung innerhalb der EU, zumindest nicht in der Realität. Vertragsgemäß müssen die Flüchtlinge in dem Land Asyl beantragen, in dem sie als erstes die EU betreten. 

Hier gibt es doch große Zweifel, ob dies auch tatsächlich so durchgeführt wird. Sowohl über die Ostroute, also Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn, aber auch über die Südroute übers Mittelmeer nach Lampedusa und Sizilien werden die Flüchtlinge nur unzureichend gelistet, wenn überhaupt, denn eigentlich müssten sie in diesen EU-Staaten registriert und zunächst aufgenommen werden, weil sie dort die EU betreten haben, um auch dort einen Asyl-Antrag zu stellen. 

Dies funktioniert aus mehreren Gründen überhaupt nicht. Zunächst sind die betroffenen Staaten wie Griechenland und Italien schlichtweg mit der riesigen Zahl von Flüchtlingen überfordert, zumal dort eine menschenwürdige Behandlung der Asyl-Suchenden von den Kapazitäten her nicht mehr möglich ist. Jüngstes Beispiel sind die Vorgänge auf der griechischen Ferieninsel Kos, die in Sichtweite des türkischen Festlandes liegt und die täglich mit weit über tausend ankommenden Flüchtlingen die Behörden vor unlösbare Probleme stellt. Die Familien mit Kindern und schwangeren Frauen nächtigen auf der Straße, gar in einem Stadion, wo sie alle zusammen gepfercht wurden, ohne Essen und Trinken, Wasser zum Waschen oder Toiletten, die Notdurft fand in den Umkleidekabinen statt. 

Eine Weiterreise auf das griechische Festland war nicht möglich, da das Registrieren der Menge die wenigen griechischen Offiziellen überfordert hat. Trotz eines Fährschiffes mit der Möglichkeit 2500 Menschen unterzubringen und einer schnelleren Registratur wird dieser Brennpunkt auf Kos seine Brisanz nicht verlieren, denn wenn 500 Flüchtlinge Richtung Athen eingeschifft worden sind, kommen nachts 1000 neue mit Schlauchbooten über die schmale Passage zwischen der Türkei und Kos, wo die reguläre Fähre gerade einmal 20 Minuten benötigt. 

Die Flüchtlinge wollen aber gar nicht in Griechenland oder aber in Italien bleiben, es drängt sie nach Nordeuropa, wo sie glauben bessere Bedingungen zu erhalten. Die meisten wollen nach Deutschland oder Schweden, hier sollen paradiesische Zustände herrschen, haben sie gehört. Wie es tatsächlich mit der Flüchtlingsfrage in unserem Land aussieht, kann man in den täglichen Nachrichtensendungen verfolgen. Neben den tatsächlich an Leib und Leben bedrohten Menschen aus Syrien, dem Irak, aus Afghanistan und einigen afrikanischen Staaten kommen noch Abertausende aus Albanien, dem Kosovo, Serbien und anderen Balkanstaaten, die in ihren Ländern keine wirtschaftliche Zukunft mehr sehen und diese im nördlichen Europa suchen. Hier wird offiziell von Wirtschaftsflüchtlingen gesprochen, im Gegensatz zu den Menschen, die aufgrund akuter Lebensgefahr in der EU humanitäre Hilfe und Asyl suchen. Entsprechend ist die Quote der Anerkennung. 

Während die überwiegende Zahl der Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten hier als Asylanten anerkannt werden, müssen über 99% der Wirtschaftsflüchtlinge das Land wieder verlassen und dies sind etwa 40% der Flüchtlinge insgesamt. Das Problem liegt zunächst darin, dass alle einen Asyl-Antrag stellen und im Zuge eines Asyl-Verfahrens festgestellt werden muss, ob dieser berechtigt ist. Bei der immer größer werdenden Zahl an ankommenden Menschen ist dies nicht nur sehr zeitraubend, Dauer etwa 6-9 Monate, sondern auch verwaltungstechnisch kaum mehr zu bewältigen. 

Die Behörden wissen kaum mehr, wo die Flüchtlinge untergebracht werden sollen, so sind schon überall große Zeltlager entstanden, mit durchaus fragwürdigen Bedingungen. Ohne die Hilfe von unzähligen freiwilligen Helfern wären die akuten Notstände eh nicht zu bewältigen. Hier zeigt sich die Bevölkerung überaus hilfsbereit, den Menschen geht das Schicksal der Flüchtlinge sehr nahe. Sie helfen, schenken und spenden, eine Welle von Empathie hat die allermeisten Deutschen erfasst. Dass dies so anhält, liegt auch daran, wie sich der Staat auf diese Problematik einstellt. 

Es müssen mehr menschenwürdige Unterkünfte her, die Last muss zwischen dem Bund, den Ländern und den Kommunen besser verteilt werden. Finanziell und logistisch sind viele Gemeinden schon jetzt überfordert, wobei man besonders auf die Verteilung der Flüchtlinge achten muss, damit es kein Missverhältnis zwischen der Bevölkerungszahl und der Zahl der Flüchtlinge gibt, die in einem Ort untergebracht werden. 

Des Weiteren tut Aufklärung not, unbedingt, denn hier liegt der Schlüssel, ob die Bereitschaft der Menschen zur Hilfe anhält, oder ob die Stimmung kippt, zumal zu erwarten ist, dass die Zahl der Flüchtlinge noch rapide zunimmt. Schon jetzt wird mit einer Zahl von 750.000 gerechnet in diesem Jahr, wobei dies allerdings eher ein zu niedriger Wert ist, wenn man zugrunde legt, wieviel Menschen sich im Nahen Osten oder in Afrika auf den Weg gemacht haben. Gewiss werden nicht alle nach Deutschland kommen können und hier ist jetzt wieder die EU gefragt. 

Der Ansturm der Flüchtlinge muss gerechter auf alle Länder in der EU verteilt werden, es geht nicht an, dass sich einige Staaten massiv weigern, hier Hilfe zu leisten. Wenn wir ein vereintes Europa wollen, jetzt ist die beste Gelegenheit zu zeigen, wie dies in der Praxis aussehen soll. 

Nun noch zu einem der heikelsten Punkte bei der gesamten Flüchtlingsproblematik. Wie eingangs erwähnt, hat die Zahl der Brandanschläge gegenüber Flüchtlingsunterkünften in der letzten Zeit dramatisch zugenommen. Dies wird durchweg von der Bevölkerung vehement missbilligt. Trotzdem versucht das rechte Pack mit solchen Aktionen die Menschen aufzuwiegeln, indem sie sich als die wahren Deutschen und die Retter des Landes erklären. Sie versuchen die ohnehin schon verunsicherten Menschen auf ihre Seite zu ziehen mit Hassparolen, Fremdenfeindlichkeit und Verunglimpfung der Flüchtlinge als Schmarotzer, Faulenzer und Kriminelle. Hier muss sowohl seitens des Staates, aber auch mit viel Zivilcourage entschieden dagegen gehalten werden. Polizei und Justiz müssen bei strafbaren Handlungen konsequent durchgreifen, das gilt auch bei Volksverhetzung und verbaler Verunglimpfung. 

Warum greift die Polizei nicht sofort ein, wenn eine Meute sich vor einem Flüchtlingsheim zusammenrottet, um dort rechtsradikale Randale zu machen? Juristisch dürfte dies doch kein Problem zu sein, handelt es sich hier nicht um eine genehmigte Kundgebung und mit der Meinungsfreiheit hat dies bestimmt auch nichts zu tun. Ein weiterer sehr wichtiger Punkt geht die Politik an. Angefangen vom Bundespräsidenten über die Kanzlerin, die Ministerpräsidenten bis hin zu den Kommunalpolitikern ist es unerlässlich, dass die politisch Verantwortlichen der Bevölkerung immer wieder erklären, was es mit der Flüchtlingsfrage auf sich hat, aber noch viel wichtiger ist es zu erklären, warum wir Deutschen zur Hilfe bereit sind und wie diese geleistet werden kann. 

Dazu gehört auch die Erklärung, dass unser Land keineswegs bei dieser Aufgabe überfordert ist, dass unser soziales Gefüge dadurch nicht in die Brüche geht und der Einzelne nicht darunter leiden muss. Es ist ein Irrglaube, dass mit dem Geld für die Flüchtlinge unsere Straßen besser repariert, unsere Schulen und sozialen Einrichtungen besser renoviert und unsere Krankenkassenbeträge billiger werden können. Diese Mängel haben andere Ursachen, die es sich lohnt ein anderes Mal zu beleuchten. 

Dieses vernünftig zu kommunizieren, ist Aufgabe der Politik, genau wie das weite Feld der Ursachenforschung, warum es überhaupt zu solchen Flüchtlingsströmen kommt und wie man hier langfristig Abhilfe schaffen kann und muss, in unserem ureigenen Interesse. Jetzt geht es aber erst einmal darum,  die Lage vernünftig in den Griff zu bekommen, schnell zu unterscheiden, welche Menschen dringend unser Asyl-Angebot brauchen, und ihnen ein menschenwürdiges Dasein zu bieten. 

Aber die Wirtschaftsflüchtlinge vom Balkan sollten nicht alleine gelassen werden. Mit Hilfe der gesamten EU muss hier im sogenannten "Hinterhof" von Europa dafür gesorgt werden, dass dort annehmbare wirtschaftliche Verhältnisse einkehren und nicht die Korruption im Wirtschaftsbereich das Maß aller Dinge ist. 

Letztendlich wird dies uns allen zugutekommen, Völkerwanderungen wie sie zurzeit staatfinden, wird es dann nicht mehr geben. Zum Schluss sei erinnert an den Flüchtlingsstrom, der entstanden ist durch den Zweiten Weltkrieg, als Millionen von Menschen aus dem Osten in den Rest Deutschlands geflohen sind, um hier eine neue Bleibe zu finden und sich eine neue Existenz aufzubauen. Ohne die Hilfsbereitschaft der Menschen sowohl in Ost- als auch in West-Deutschland wäre dies gar nicht möglich gewesen. 

Jetzt brauchen die Menschen aus dem Nahen Osten und aus Afrika unsere Hilfe. Wir dürfen sie ihnen nicht verweigern und schon gar nicht weil die rechten Rattenfänger glauben, ihre Stunde sei wieder einmal gekommen. Zeigen wir ihnen, dass Toleranz, Mitgefühl und Hilfsbereitschaft die Tugenden sind die unser Land auszeichnen. Über Verbesserungsmöglichkeiten lässt sich trotzdem dann immer wieder noch diskutieren.


 Peter J. König