Samstagskolumne Peter J. König 20.06.2015

Die Mär, dass mit der Drachme alles besser werden würde, ist Augenwischerei.

Jetzt wo die griechische Tragödie dem letzten Aufzug zustrebt, sollte noch einmal in aller Sachlichkeit und bei Abwägung aller Interessen der Versuch unternommen werden, allgemeinverständlich und umfassend zu hinterfragen, worum es eigentlich geht? 

Damit man ein etwaiges Bild der Lage in Griechenland sich vorstellen kann, kommt man nicht umhin einen Blick in die moderne griechische Geschichte zu werfen. Deshalb muss man zurückgehen bis zum 2.Weltkrieg, als Griechenland von Deutschland und Italien erobert worden ist, und Italien den weitaus größeren Teil des Landes besetzt hielt, so z.B. die gesamte griechischen Inselwelt. 

Gleichzeitig wurde der Widerstand auf dem gesamten besetzten Territorium immer intensiver, worauf auch die Vergeltungsmaßnahmen der deutschen Sicherheitsbatallione immer brutaler ausfielen. Insgesamt wurden seitens der deutschen Wehrmacht 20.650 Partisanen getötet und 4785 Geiseln erschossen. Gleichzeitig hat man 60.000 Juden aus Saloniki in deutsche Vernichtungslager deportiert. Dies zu kommentieren erübrigt sich, die Taten und die Zahlen sprechen für sich selbst.

Nach der Befreiung Griechenlands durch die Alliierten im Oktober 1944 entwickelte sich ein latenter Bürgerkrieg zwischen den wiedererstarkten Kommunisten und den griechischen Sicherheitskräften, die einstmals mit den Deutschen kollaborierten, jetzt sich aber mit den englischen Streitkräften verbündet hatten, um die Übernahme des Staates durch die Kommunisten zu verhindern. Dabei hatte die damalige englische Regierung tatkräftig die Finger mit im Spiel. Dazu diente auch eine eilig organisierte Parlamentswahl im März 1946, die von den rechtsgerichteten Parteien gewonnen wurde. 

Die Kommunistische Partei Griechenlands hatte die Wahl boykottiert, weil sie massive Wahlfälschungen anprangern wollte. Erneut kam es danach zu einem Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und Rechtsradikalen. Nach einer Einigung beider Lager über eine erneute Parlamentswahl im Jahre 1952 gelangte eine rechtsgerichtete Regierung an die Macht. Sie bestand aus einer Koalition von drei rechten Parteien, die damals von Personen angeführt wurde, wie Venizelos und Papandreou, deren Kinder und Enkel heute zu den Superreichen in Griechenland zählen und die immer wieder versuchen unmittelbaren Einfluss auf den griechischen Staat zu nehmen, sei es durch Wahlen oder gigantische Schmiergelder für die gerade Herrschenden. 

Als im Jahre 1967 sich die Kommunisten anschickten doch die Macht zu erringen, kam es zu dem sogenannten Putsch der Obristen. Diese übernahmen die Macht durch einen Staatsstreich und verwandelten Griechenland 1968 in eine Diktatur. Staatsoberhaupt war zunächst noch der junge König Konstantin, aber als dieser versuchte einen Gegenputsch zu organisieren, war er bei der Junta in Ungnade gefallen. Seine Haut rettete er durch eine Flucht ins Exil nach London. 

Am 29. Juli 1973 wurde durch Volksabstimmung die Monarchie abgeschafft und durch die Republik mit einem Staatspräsidenten ersetzt. Die Zypernkrise führte zum Zusammenbruch der Obristen-Herrschaft, nachdem das Militär sich geweigert hatte aktiv in die Auseinandersetzungen mit der Türkei auf Zypern einzugreifen. So kam es im Herbst 1974 zur Rückkehr der #Demokratie, wobei viele Sachkundige meinen, dass dies die erste Demokratie überhaupt in der Neuzeit ist. Nur zur Erinnerung: Demokratie ist die Staatsform, die die "Alten Griechen" überhaupt erst erfunden haben, vor ca. 2500 Jahren. 2001/2002 wurde #Griechenland Mittelglied in der #Eurozone. 

Nach anfänglichem Wachstum, auch durch den Zusammenbruch der kommunistischen Regierungen in den Nachbarländern traf die Finanzkrise 2008 das Land mit voller Wucht. Es entwickelte sich daraus ab 2010 eine gigantische Staatsschuldenkrise, die nur dadurch nicht zu einer Staatspleite führte, weil neben der Europäischen Zentralbank auch alle großen, weltweit agierenden Privatbanken Griechenland immer wieder neue Kredite gewährt haben, im Bewusstsein, dass die EU Griechenland nicht fallen lassen würde. Dies ist bisher auch nicht eingetreten. Voraussetzung war dabei immer, dass sich die griechischen Regierungen bereit erklärten, endlich dringend notwendige Reformen in allen Bereichen des Staates durchzusetzen. Zwar haben die früheren Regierungen, allesamt unter dem Einfluss der führenden Milliardärs- Familien stehend, Reformen gegen Kredite zugesagt, aber geschehen ist praktisch überhaupt nichts. 

Griechenland besitzt bis heute keine funktionstüchtige Verwaltung, weder ein Katasteramt noch ein verlässliches Grundbuch. Die Finanzämter sind zwar Arbeitgeber für viele Tausende Staatsdiener, ihre Effizienz ist aber geradezu gleich null. Jeder Steuerpflichtige kann sich bei seinem Finanzamt durch Schmiergeld weitestgehend von Steuerzahlungen befreien. Der Clou des Ganzen ist die Besteuerung der Reichen und Superreichen. Die milliardenschweren Reeder, die Geldelite des Landes ist in der Verfassung steuerfrei gestellt. Das bedeutet, dass die gesamten Firmenimperien die sie besitzen nicht zur Steuerpflicht herangezogen werden können. Damit klafft eine riesige Lücke zwischen der Einnahmen- und der Ausgabenseite des Griechischen Staates, weil die Sozialausgaben immens sind. 

Der Staatsapparat ist total aufgebläht, denn bei den früheren Regierungen war es üblich die eigenen Anhänger im großen Stil mit Staatsposten zu versorgen, um sie so bei Laune zu halten. Nach einem Regierungswechsel fand das Gleiche erneut statt, diesmal mit den Leuten der neuen Regierung. Politisch standen diese Parteien alle auf der rechten Seite, ein wirklicher politischer Wechsel hat es nie gegeben. Ein weiteres Thema in Griechenland sind die Renten, bei deren Verwaltung es genauso zugeht wie im Steuersektor oder im Katasterwesen. Abertausende von Renten werden weiterbezahlt, obwohl der Rentner oder die Rentnerin schon lange verstorben sind. 

Die Familien haben weiter diese Versorgungsansprüche kassiert, weil die Verwaltung keinerlei Informationen über das Ableben der Personen erhalten haben. Die Höhe der Renten steht in keinem Verhältnis zum Prokopfeinkommen der Bevölkerung, sie ist maßlos überhöht. Dazu kommt noch das Renteneintrittsalter, das teilweise schon mit Fünfzig beginnt. Bei einer solchen Misswirtschaft wundert es nicht, dass der griechische Staat permanent mit Krediten nachversorgt werden musste. Zur Wahrheit gehört aber auch zu sagen, dass dieses die eklatanten Versäumnisse der früheren Regierungen sind. 

Seit etwa fünf Monaten ist eine linke Regierung im Amt, die sich bisher strikt geweigert hat, dieses Kredit-finanzierte Spiel zwischen Griechenland und seinen Gläubigern, wie EZB, Internationalem Währungsfond und EU weiterzuspielen. Fakt ist, dass trotz dieser immensen Kredite von ca. 280 Milliarden Euro, was etwa die Hälfte des deutschen Bundeshaushaltes ausmacht, wobei in Deutschland 80 Millionen in Griechenland aber nur 8 Millionen Menschen leben, die griechische Staatsverschuldung trotzdem rapide gewachsen ist, einerseits durch den Schuldendienst, der für die Kredite zum Teil geleistet werden musste, zum anderen aber auch durch weitere sinnlos teurere Staatsausgaben, wie z.B. die Beschaffung von Rüstungsmaterial. Dieses zeigt das ganze Dilemma. Griechenland hat eine der größten und modernsten Armeen in der NATO. 

Gleichzeitig ist die Industrieprodukt, die per se sehr schwach ausgeprägt ist, auf einen extrem niedrigen Level gesunken, der nahezu gegen null tendiert. Die Landwirtschaftsproduktion liegt am Boden, Verbrauchsgüter die einst in Hülle und Fülle im Land selbst produziert wurden, müssen eingeführt werden, damit die Bevölkerung überleben kann. Dies gilt für technische und pharmazeutische Erzeugnisse und viele andere mehr. Für Investitionen, die die Wirtschaft wieder ankurbeln könnten, bleibt trotz der Kredite kein Geld übrig, ganz im Gegenteil die Einnahmen sinken weiter und die Schulden steigen. Dies führt unweigerlich zur Verelendung der Bevölkerung, damit zur Radikalisierung und letztendlich ins Chaos. Beispiele dieser Art gibt es genug auf der Welt, wo Staaten nicht mehr funktionstüchtig sind und nur noch rohe Gewalt herrscht. 

Um diesem Dilemma zu entkommen, wurde schon unter der Vorgänger-Regierung mit der sogenannten Troika, die jeweils aus einem Vertreter der EZB, des Internationalen Währungsfonds und der EU bestand, ab 2010 ein Modell entwickelt, wie man aus dieser Schuldenspirale wieder herauskommen könnte, und wie die Wirtschaft wieder zu Wachstum gebracht würde. Ähnlich wie schon in Irland, in der Slowakei, in den baltischen Staaten in Portugal und in Spanien wurden drastische Kürzungen der Ausgaben verlangt, um so den Trend umzukehren und um einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, vielleicht sogar einen kleinen Überschuss zu generieren. Dies hatte jedoch deutliche Einkommensverluste der Durchschnittbevölkerung zur Folge mit der Tendenz zur Verelendung. 

Während bei Irland, Portugal und auch Spanien der Sparzwang die ersten Erfolge zeigt, die Wirtschaftsleistungen der Länder fangen an sich zu erholen, ist in Griechenland trotz aller Kürzungen keinerlei Fortschritt zu sehen. In dieser Situation ist es am Anfang des Jahres zu Parlamentswahlen gekommen, die die politische Landschaft total verändert haben. Zum ersten Mal nach dem Ende der Diktatur von 1974 ist nicht eine der rechten Parteien an die Macht gekommen, wie üblich, sondern mit dem Wahlversprechen die Spardiktatur der Troika, also der Kreditgeber zu beenden, hat sich die linkssozialistische Syriza-Partei mit Alexis Tsipras mit überwältigender Mehrheit durchgesetzt. Von der ersten Minute an hat die neue Regierung in Athen ihre Zusammenarbeit mit ihren Gläubigern verweigert, da sie keinen Sinn darin sah, auf gleiche Weise die Verschuldung weiter fortzuführen und weiterhin nur neue Kredite aufzunehmen, um das Land vor der Pleite zu bewahren, dabei aber keinerlei wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt zustande kommt. 

Tatsächlich ist Griechenland aber schon lange pleite, mit Sicherheit bestimmt seit 2010. Schon damals ging die Angst im Euroland um bei der Frage, was passiert mit dem Euro, wenn Griechenland insolvent wird, wie schlägt sich dies auf das europäische Bankensystem nieder, wenn durch die Insolvenz die Rückzahlung der Kredite nicht mehr möglich ist, und das Geld „verbrannt“ ist? Zudem muss Griechenland die Währungsunion verlassen und zur Drachme zurückkehren? Und wenn die Griechen zusätzlich die EU verlassen, welche politischen Folgen hat das für die Vereinigung Europas? Aber wo wird sich Griechenland dann geo-strategisch positionieren, immerhin sind sie NATO-Mitglied und liegen an der südöstlichen Flanke des Bündnisses, unmittelbar dem Nahen Osten mit seinen Brandherden zugewandt? 

Finanztechnisch scheint ein Austritt aus der Währungsunion, der vieldiskutierte „Grexit“ nicht mehr so folgenreich für die Eurozone zu sein, wie vor fünf Jahren. Politisch gesehen allerdings wäre es der Katastrophenfall, denn wie würden sich dann die anderen europäische Staaten verhalten? Mit dieser Unsicherheit spielt die griechische Regierung, dies scheint ihr Trumpfass in den Verhandlungen mit der Eurogruppe in Brüssel zu sein. Außerdem spekulieren sie auf einen Schuldenschnitt, also den Verzicht auf die Rückzahlung der Kredite, die faktisch sowieso nicht mehr zurück bezahlt werden können. Dies hätte zur Folge, dass viele europäische Staaten den Verlust zu tragen hätten, am meisten wir Deutschen mit etwa 80 Milliarden Euro. In dieser Höhe belaufen sich etwa unsere Bürgschaften für Griechenland. Vielleicht aber auch mehr, so genau weiß das eigentlich keiner, oder es wird zumindest nicht offen geäußert. 

Griechenland wäre zwar gerettet, aber ohne tiefgreifende Reformen in der gesamten Struktur des Landes hätte dies aber wohl noch schlimmere Folgen. Zunächst könnte sich das Land am Kapitalmarkt problemlos riesige neue Kredite besorgen, denn die internationalen Großbanken würden das Spielchen von vorne spielen, immer mit der Absicherungserfahrung aus dem letzten großen Schuldenschnitt. Genauso schlimm wäre aber auch die psychologische Wirkung bei all jenen Staaten, die eisern gespart haben, um ihre eigene Schuldenkrise zu überwinden. Ein Fortbestand einer Währungsunion, gar der gesamten EU wäre akut gefährdet. Dieser Weg aus dem Dilemma scheint also auch nicht möglich, zumal der Verlust dieser riesigen Summen für kein Land ohne Wirkung bleibt. 

Die Zeit drängt. Wenn bis Donnerstag keine Lösung gefunden wird, und die sehen die Gläubigerinstitutionen in Zugeständnissen der griechischen Regierung zu weiteren Sparmaßnahmen, Strukturreformen und Steuererhöhungen, also alles das was im Wahlkampf vehement abgelehnt wurde, dann wird es zu der Auszahlung einer letzten Tranche eines früher vereinbarten Kredits nicht mehr kommen, da dieser reformabhängig war. Dieses Geld benötigt Griechenland aber unbedingt, um ein Teil seiner Schulden beim IWF(Internationalen Währungsfond) zurück zu zahlen, da dieser bereits die letzten Schuldenzahlungen bis Ende Juni zurück gestellt hat.Dies wäre die Insolvenz des griechischen Staates mit bisher noch unübersehbaren Folgen. 

Nach einem elend langen Vorspiel kommen wir jetzt allmählich auf den Punkt dieses beinharten Pokerspiels. Tsipras kann nicht einfach die strikten Bedingungen der Gläubiger erfüllen, sonst ist seine politische Karriere schnellstens beendet. Er kann aber auch nicht Griechenland vor die Hunde gehen lassen, weder durch die weiter steigende Verschuldung, aber auch nicht durch eine Pleite, von der sich das Land niemals mehr erholen würde. Außerdem will die Mehrzahl der Griechen sowohl in der EU, als auch im Euro bleiben. 

Die Mär, dass mit der Drachme alles besser werden würde, ist Augenwischerei. Zwar könnte das Land billiger produzieren, theoretisch, aber sie haben kaum eine Industrieproduktion. Haupteinnahme-Quelle ist der Tourismus und das Olivenöl. Der Tourismus könnte zulegen, weil die Urlauber aus dem Ausland weniger bezahlen müssen. Aber schon befürchten die einheimischen Hoteliers, dass der Standard in ihren Hotels rapide sinkt, weil alle Importe von benötigten Waren unbezahlbar wären. Und dies gilt für alle Importwaren, von denen Griechenland in allen Bereichen abhängig ist. 

Diese Tür ist für den griechischen Ministerpräsident bei vernünftiger Würdigung jedenfalls ebenso verbaut. Nein, er muss einen anderen Weg gehen und zwar den Weg des Kompromisses. Dies bedeutet nicht den Forderungen der Gläubiger blind zu folgen, sondern zunächst einmal Lösungen anzubieten, die erträgliche Kürzungen, aber noch mehr strukturelle Verbesserungen des Staates beinhalten. Die Reichen müssen zur Kasse gebeten werden, denn denen kann ja auch nicht daran gelegen sein, dass ihr Land von dem sie eh das Meiste besitzen in den Abgrund stürzt. 

Wenn man dann eine einvernehmliche Lösung gefunden hat, von der auszugehen ist, dass die Gläubiger den Griechen dabei sehr entgegenkommen werden, schon aus oben genannten Gründen, wenn der Ton zwischen den Verhandlungsparteien wieder freundlicher wird, dann ist es unumgänglich, dass Griechenland massive Unterstützung erhält. Diese ist notwendig zur Restrukturierung und zum Wiederaufbau der Wirtschaft und des Landes. Nach der Umsetzung der Reformen und bei der nötigen Rechtssicherheit in Verwaltung, Justiz und staatlichen wirtschaftlichen Vereinbarungen wird es dann nicht sehr lange dauern, bis Investoren aus aller Welt in Athen anklopfen, denn hier lassen sich wieder gute Geschäfte machen, die dann dem Staat auch sprudelnde Steuerquellen bringen. 

Die Bevölkerung fasst wieder Mut, denn sie sieht, dass das Elend zu Ende geht und die Zukunft neue Chancen bietet. In einer solchen Atmosphäre ließe sich dann konstruktiv über einen teilweisen Schuldenerlass verhandeln, denn mit einer wachsenden Wirtschaft hätte Tsipras ganz neue Trümpfe in der Hand und er wäre langfristig in der Lage, einen beträchtlichen Teil von Griechenlands Schulden aus eigener Kraft zu tilgen. 

 Peter J. König

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