Samstagskolumne Peter J. König 28.02.2015

War es die Angst Putins, die Opposition in Russland könnte seine Macht in Frage stellen, die zur Ermordung von Boris Nemzow führte? 

In der Nacht von Freitag auf Samstag wurde in unmittelbarer Nähe des Kremls, dort von wo Putin aus den Fenstern seines Büros auf die Moskwa blicken kann, auf einer Brücke, der aktuell bedeutendste Oppositionelle Russlands durch mehrere Schüsse ermordet. Boris Nemzow war gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, einer jungen ukrainischen Frau zu Fuß nächtens auf dem Nachhause-Weg, als er kaltblütig von hinten erschossen wurde.

Für den kommenden Sonntag war eine große Demonstration der außerparlamentarischen Opposition in Moskau angekündigt. Dabei ging es um die Rolle Putins im Krieg in der Ost-Ukraine, aber vielmehr noch um seine fortschreitende Machtkonzentration bei der Führung Russlands. Mit Hilfe der verschiedenen Geheimdienste, die dafür sorgen, dass jegliche Form des öffentlichen Protests sofort im Keim erstickt wird, hat es Putin geschafft, Politisch-Andersdenkende zu verfolgen, zu diskriminieren, einzusperren oder notfalls umbringen zu lassen. Beispiele dafür gibt es genug dafür, angefangen von hundertfachen Verhaftungen bei missliebigen Demonstrationen, politischen Schauprozessen von Abweichlern aus dem russischen Parlament, der Duma, die Verhaftung und die mehrjährigen Gefängnisstrafen der Mitglieder von Pussy Roit, der weiblichen russischen Punkband, bis hin zur Ermordung unliebsamer Journalisten, wie der bekannten Kreml-Kritikerin Politkowskaija, die den Mut hatte die Machenschaften von Wladimir Putin in Tschetschenien zu hinterfragen und aufzudecken. 

Doch wer war Boris Nemzow und welche Rolle hat er im heutigen politischen Russland gespielt und noch entscheidender, wie weit hätte er, wenn überhaupt, Putin gefährlich werden können? 

Boris Nemzow stammt vom Schwarzen Meer, er wurde in Sotchi geboren und ist dort auch aufgewachsen. Nach seinem Mathematik-Studium hat er zunächst in wissenschaftlichen Instituten gearbeitet, bevor er sich nach dem Fall der Sowjet-Union in der neuen russischen Föderation politisch betätigte. Auf Grund seines Charisma und seiner Volksnähe schaffte er es zum Gouverneur der Provinz Nischni Nowgorod gewählt zu werden. Dort wurde Boris Jelzin, der damalige Präsident auf ihn aufmerksam. Er machte Nemzow zu seinem Vertrauten und bot ihm das Amt des Stellvertretenden Ministerpräsidenten Russlands an. Dieses Sprungbrett zum allerhöchsten Amt hatte er jedoch nicht sehr lange inne, es soll zu Zerwürfnissen mit Jelzins korruptem Clan gekommen sein, der mit der der fortschreitenden Alkoholsucht des Präsidenten die eigentliche Macht in Russland hatte. 

Später wurde dann Putin durch die Protektion eines Jelzin nahestehenden Oligarchen erster Stellvertretender und danach amtierender Ministerpräsident mit der Option zum Präsidenten, nachdem er zugesagt hatte, Jelzin, seine Familie und seinen verfilzten Clan nach der Machtübernahme nicht nur in Ruhe zu lassen, sondern sie auch zukünftig zu schützen. Ab diesem Zeitpunkt sank Nemzows Stern rapide. Zwar schaffte er es noch einmal Mitglied der Duma zu werden, als diese aber von Putin aufgelöst wurde, da sie nicht mitzog, wie er sich das vorgestellt hatte, wurde bei der folgenden umstritten Duma-Wahl nur noch linientreues Personal ausgezählt, sei es als Kandidaten von Putins eigener Partei oder als willfährige Pseudo-Opposition. 

Eine echte Oppositionspartei war gar nicht erst zur Wahl zugelassen worden. Damit war der Auftritt Nemzows auf der großen parlamentarischen Bühne in Moskau beendet. Als er sich im Jahre 2009 zur Bürgermeisterwahl in seiner Heimatstadt Sotchi, wo bald die olympischen Winterspiele stattfinden sollten, um das Bürgermeisteramt bemühte, wurde während des Wahlkampfes ein Säureattentat auf ihn verübt. Damit war seine Wahl gelaufen. Er hatte sich gegen die Pläne Putins ausgesprochen, die natürliche Landschaft in Sotchi und dem gebirgigen Hinterland nachhaltig zu verschandeln, durch eine massive Bauwut, die den Putin-nahen Oligarchen auch noch Milliarden in ihre privaten Säckel bringen sollte. Trotz aller Attacken hat Boris Nemzow nicht aufgegeben. 

Er gründete eine neue Partei mit dem Anspruch für ein demokratisches, rechtsstaatliches Russland. Als Führer dieser Oppositionspartei gelang ihm noch der Einzug in ein Provinzparlament. Gleichzeitig war er einer der führenden Köpfe der inner- und außerparlamentarischen Demokratiebewegung in Russland. Die großen Demonstrationen auf den Straßen Moskaus und in St. Petersburg hat er führend mit organisiert. So auch jetzt für den kommenden Sonntag. Die russische Staatspropaganda hat ihn dafür als eine Marionette der Ukraine und der USA an den Pranger gestellt. Das Russische Staatsfernsehen und die gleichgeschaltete Presse haben ihn zum Vaterlandsverräter und zum Staatsfeind gestempelt, der nur eins im Sinn hat, den großen, starken Präsidenten Putin im Ausland zu demontieren, im Inland seine Macht zu untergraben und seine eigenen Machtgelüste erneut voran zu treiben, um Russland dann an den Westen zu verschachern. Soweit zum Verständnis der Person und der Rolle von Boris Nemzow. 

Stellt sich jetzt die Frage: Warum wurde er überhaupt umgebracht, hat Putin dabei eine direkte oder indirekte Rolle gespielt und entscheidend, war Nemzow in irdendeiner Weise in der Lage Putin zu schaden , ihn gar zu schwächen? Generelle Antwort, bei Putin ist grundsätzlich alles möglich. 

Viele langjährige Beobachter erkennen immer mehr seinen wachsenden Machtrausch, seine fortlaufende Entwicklung zur Despotie und damit einhergehend die kalte Machtarroganz. Seine Freude am Luxus und zum Prunkgehabe ist unübersehbar, die untrügliche Attitüde eines Despoten mit Hang zum Größenwahn. Beispiele dazu gibt es genügend in der Geschichte auch in Russland, man denke nur an Stalin. Der allerdings, ebenfalls aus kleinen Verhältnissen stammend wie Putin, hatte sich dann noch mit den Jahren zum Massenmörder am eigenen russischen Volk entwickelt, soweit darf es erneut aber nicht kommen. 

In den letzten Wochen kursierten Zahlen von Putins angeblichem Vermögen durch die Medien. Dabei war die Rede von 200 Milliarden US-Dollar. Damit wäre er mit Abstand der reichste Mensch der Welt. Es sei dahingestellt, ob die Zahl zutrifft oder eher ein Fake ist. Unzweifelhaft scheint zu sein, dass Putin über ein zweistelliges Milliardenvermögen verfügt, denn es ist kaum vorstellbar, dass seine Oligarchenfreunde Milliarden aus dem russischen Volksvermögen mit Putins Billigung auf mehr oder weniger kriminelle Art eingesackt haben, ohne dass der Machtinhaber seinen angemessenen Obolus bekommen hätte. Nicht zuletzt sollten Enthüllungen über solche Machenschaften mit Hilfe Nemzows demnächst publik gemacht werden, dies hatte er bereits in einem letzten Interview unmittelbar vor seinem Tod angekündigt. 

Spezielle Antwort: Ob Putin allerdings solche Veröffentlichungen zum Anlass genommen hat, um seinen Widersacher Nemzow aus dem Weg räumen zu lassen, scheint trotz allen Machtgebarens doch ziemlich zweifelhaft.

Zunächst muss festgestellt werden, dass die Opposition in Russland weitestgehend lahm gelegt und systematisch durch den Omon, den Geheimdienst des russischen Innenministeriums verfolgt wird, und damit auch keine unmittelbare Machtgefährdung für Putin darstellt. Hinzu kommt, dass er in der russischen Bevölkerung zurzeit ein sehr hohes Ansehen genießt, die Umfragen, wenn sie denn stimmen, sprechen von über 85% Zustimmung. Gerade der Krieg in der Ost-Ukraine, den Nemzow Putin zur Last legt, weil völkerrechtswidrig, und Auslöser für die westlichen Sanktionen, mit vielen Belastungen für die einfachen Menschen, ist aber ein entscheidender Grund für Putins Rückhalt in der Bevölkerung, träumen doch viele wieder von imperialer Größe, wie einst zu Zeiten der Sowjet-Union. 

Was sind denn da ein paar Milliarden mehr für Putins Schatulle, der Prunk am Zaren- Hof ist für die Russen nichts Neues. Tatsächlich können alle Anfechtungen, seien sie politischer oder wirtschaftlicher Natur dem russischen Präsident, selbst wenn er sich jetzt auf Lebenszeit installieren würde, entscheidend nichts anhaben. Nemzows Kritik und Enthüllungen wären in Russland ins Leere gelaufen, zudem hatte der Kreml-Herr jederzeit die Möglichkeit ihn lebend mundtot zu machen, zumal Nemzow in der durchschnittlichen Bevölkerung aktuell keinen großen Rückhalt hatte, was in der gebildeten Mittelschicht durchaus anders war, jedoch durch viele Repressalien öffentlich unterdrückt wurde.

Ein direkter Befehl seitens Putin seinen Widersacher Nemzow liquidieren zu lassen, scheint nach genauerer Betrachtung der innenpolitischen Lage in Russland eher abwegig. Was jedoch nie auszuschließen ist, ist die Tatsache, dass durch die Regierungspropaganda und die aufgeheizte Presse, die seit Beginn des Krieges in der Ost-Ukraine radikal alle Putin-Kritiker öffentlich niedermacht, ein Klima in Russland entstanden ist, vom dem eine bekannte russische Schriftstellerin sagt, dass durchaus vernünftige Menschen der Mittelschicht, selbst wenn sie dem orthodoxen Glauben sehr nahe stehen, mittlerweile für die Anhänger der Demokratiebewegung , wenn nicht gleich die Todesstrafe doch zumindest lebenslänglich eine Verbannung in den Gulag fordern.

Schuld an dieser Verirrung hat nach Ansicht der russischen Intellektuellen eindeutig das System Putin. Deshalb ist es auch sehr gut vorstellbar, dass der Mord an Boris Nemzow auf das Konto von selbsternannten Saubermännern geht, die gerade im Vorfeld der bevorstehenden Frühlingsdemonstration am Sonntag Putin zeigen wollten, dass sie für den mächtigen Mann im Kreml alles tun und selbst vor einem feigen Attentat nicht zurückschrecken.

Die russische Regierung hat umgehend erklären lassen, dass sie alles unternehmen werde, um die Mörder zu fassen. Putin hat sein Mitgefühl gegenüber der Mutter von Nemzow per Telegramm ausgedrückt. Üblicherweise werden in solchen Fällen nach russischer Manier sehr bald ein oder mehrere Täter Öffentlichkeits-wirksam der internationalen Presse in Ansicht eines Gerichtes vorgeführt. Nach der Verurteilung verschwinden diese Täter in den Weiten der russischen Strafanstalten auf nimmer Wiedersehen. Für wie lange dies so ist, weiß jedoch keiner, Hauptsache der Mord gilt als aufgeklärt. 

Der bekannte Fernsehjournalist Dr. Claus Kleber hat nach einem ersten Interview mit einem ZDF-Korrespondenten im "heute-journal" nach dessen ausführlichem Bericht nach der Tat nur kurz resümiert: "Es ist zu vermuten, dass einmal wieder dieses Verbrechen nie wirklich aufgeklärt wird".

 Peter J. König