Samstagskolumne Peter J. König 14.02.2015

Wer hat eigentlich geglaubt, dass Putin Wort hält? 

Nach der erneuten Vereinbarung von Minsk in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag letzter Woche, kurzum Minsk 2 genannt, war so etwas wie vage Hoffnung aufgekommen. Alle haben sie gehofft, dass der Konflikt um die Ost-Ukraine doch noch am Verhandlungstisch zu lösen ist. In erster Linie natürlich die geschundenen Menschen im Donbass, in den Städten Donezk und Lugansk und wo sonst noch erbitterlich gekämpft worden ist. Die Menschen in der West-Ukraine sehnen sich ebenfalls nach einer Waffenruhe und nach einer friedlichen Lösung für ein ungeteiltes Land, wie die Hunderttausende, die vor den Kämpfen aus dem Osten geflohen sind und nicht wissen was mit ihren Habseligkeiten passiert, und ob von ihren Häusern und Bauernhöfe überhaupt noch etwas übrig geblieben ist. 

Aber auch der hohen Politik mit Angela Merkel und Francois Hollande, ja selbst dem amerikanische Präsident Obama konnte es nicht gleichgültig sein, dass Minsk 2 ein Erfolg wird. Für das deutsch-französische Verhandlungstandem ging es ja immerhin um die Reputation auf internationalem Parkett zu reüssieren. Die Europäer wollten zeigen, dass sie durchaus in der Lage sind mit Putin auf Augenhöhe zu verhandeln und nicht immer gleich nach dem großen Bruder in den USA rufen müssen. Dem amerikanischen Präsidenten wäre ein positives Ergebnis durchaus gelegen gewesen, hätte er doch in der Frage nach Waffenlieferungen für die ukrainische Armee sich weiterhin bedeckt halten können. 

Eine konfrontative Haltung gegenüber Angela Merkel wäre damit vom Tisch, denn die Kanzlerin hat sich dezidiert gegen solche Lieferungen ausgesprochen, während Barack Obama dies vom Erfolg von Minsk 2 abhängig gemacht hat. Auch Petro Poroschenko, der ukrainische Präsident will endlich wieder Herr im eigenen Land sein. Dazu gehört selbstverständlich auch die Ost-Ukraine und was noch wichtiger ist, die Möglichkeit die Grenze nach Russland in Eigenverantwortung wieder vollständig zu überwachen. 

Die Separatisten haben es über mehrere hundert Kilometer geschafft, die ukrainischen Grenztruppen von diesem Territorium zu vertreiben, mit der Folge, dass russisches Militär offen und getarnt mit schwerstem Gerät in die Ost-Ukraine eindringen konnte. Ohne diese massive Unterstützung war eine solche Offensivkraft der Separatisten gar nicht möglich. In welchem Umfang die Russen auf ukrainisches Gebiet eingefallen sind, lässt sich mit Hilfe westlicher Satelliten-Technik bestens beweisen. So hat die Nato bekannt gegeben, dass selbst nach Abschluss der Verhandlungen in Minsk mehrere Tausend russische Soldaten mit Panzern und Artillerie über die russisch-ukrainische Grenze gekommen sind. 

Putin hat eine solche militärische Unterstützung immer geleugnet und der russische Botschafter Grinin in Berlin hat in allen Talk-Shows immer behauptet, dies sei alles nur Propaganda, um Putin international zu verunglimpfen. Auf die Frage, woher so viel schweres Kriegsgerät in die Hände der Separatisten kommen konnte, hat er doch tatsächlich geantwortet, dies gäbe es auf dem freien Markt zu kaufen, oder und jetzt wird es völlig absurd, die ukrainische Armee hätte die Waffen überlassen, als sie sich aus dem Donbass-Gebiet zurück gezogen hat. Dreister kann die Aussage eines russischen Diplomaten kaum sein, zeigt sie doch, welche heuchlerischen Absichten damit verbunden sind. 

Die vereinbarte Waffenruhe sollte um 0 Uhr ukrainischer Zeit in der Nacht von Samstag auf Sonntag eintreten. Zwei Tage später war der Rückzug aller schweren Waffen auf beiden Seiten vereinbart, um eine kampffreie Zone zu erreichen. Doch wie abzusehen war, ist alles hinfällig. Zwar hat es Sonntagmorgen eine kurzfristige Einstellung des Granatfeuers und der Artillerie gegeben, weitestgehend, jedoch immer wieder durch einzelne Feuerstöße unterbrochen. Schon während des Sonntages erklärten beide Kriegsparteien, dass sie ihrem Gegenüber nicht trauen und an Rückzug überhaupt nicht zu denken ist. 

Internationale Beobachter der OSZE(Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) sollten vereinbarungsgemäß die Überwachung des Waffenstillstandes, aber auch der russisch-ukrainischen Grenze unmittelbar nach 0 Uhr am Sonntagmorgen übernehmen, dies wurde aber seitens der Separatisten verhindert. Schon im Laufe des Sonntags wurde klar, dass Minsk 2 nur noch an einem seidenen Faden hängt, ein Wieder-Aufflammen der Kämpfe ist nur noch eine Frage von Stunden, das Scheitern der Verhandlungen um einen Waffenstillstand in der Ost-Ukraine nur noch ein förmlicher Akt. 

De facto haben die Russen die kurze Feuerpause nur dazu benutzt, um weitere Verstärkung ins Kampfgebiet zu bringen. Wenn man sich den Verlauf der Verhandlungen von Putin, Merkel, Hollande und Poroschenko ansieht, muss man zu dem Schluss kommen, dass Putin ein falsches Spiel gespielt hat. 

Schon die Vereinbarungen waren wenig konkret, was auch die Separatisten zum Anlass genommen haben, zunächst die Unterschrift zu verweigern, um dann aber auf Drängen Putins doch noch zu unterzeichnen. Wie ist so etwas möglich,  wo der Kreml-Herr doch immer behauptet hat, sein Einfluss auf die pro-russischen Kämpfer sei minimal? Weiterhin haben sich die Separatisten geweigert den hart umkämpften Eisenbahnknotenpunkt Debalzewe in die neutrale Pufferzone mit ein zu beziehen, zu wichtig ist ihnen diese strategische Verkehrsader. 

Allmählich scheint klar zu werden, warum Putin am Morgen nach den Verhandlungen zwar ermüdet, doch recht vergnügt vor die Mikrofone der internationalen Presse getreten ist. Er hatte einen Coup gelandet, Merkel, Hollande und Poroschenko an der Nase herum geführt, ganz im Sinne eines russischen Bärenführers, der die Bärin und die Bären tanzen lässt. 

Die Separatisten hatte er damit beruhigt, dass die Feuerpause dazu benutzt würde, um weitere Kräfte ins Gebiet zu schleusen. Außerdem waren jetzt die Gelegenheiten zu einer kurzfristigen Erholung und die Möglichkeit sich taktisch besser zu positionieren. Ein Umsetzen der Minsker Klauseln lag ernsthaft weder in Putins Absicht noch in der Bereitschaft der pro-russischen Abspalter. Zugeständnisse jedweder Art haben allein dazu gedient, die Gegenseite einzulullen. 

Warum sollte Putin ein Rückzieher machen, wo die Separatisten doch zusehends Gelände-Gewinne erreichten, um das Gebiet eines zukünftigen autonomen Neu-Russlands erheblich zu vergrößern? 

Kommen wir zurück zu der Eingangsfrage. Wer hat eigentlich geglaubt, dass Putin Wort hält? Besonders alle Betroffenen hätten es so unbedingt wahr haben wollen. Die Realität sieht leider anders aus. Putin bleibt seiner Linie treu und wird mit allen Mitteln seine Großmachst-Pläne weiterhin brachial verfolgen. Dazu gehört neben der Abspaltung der Krim auch die Übernahme großer Teile der Ost-Ukraine mit einer ungewissen Zukunft für die gesamte Ukraine. 

Der Kreml-Zar scheint den Zustand eines Despoten nicht nur zu genießen, er ist auch auf dem besten Weg, immer weiter an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Sein jetziges Verhalten macht die Welt nicht sicherer und wird eine massive Aufrüstung überall in der Welt zur Folge haben. 

Erstaunlich wie doch Geschichte sich immer wiederholen kann!

Peter J. König

Samstagskolumne Peter J. König 07.02.2015

"Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer." Aischylos (525-456 vor Christus), griech. Dichter 

Wenn man die letzten Tage Revue passieren lässt, muss doch festgestellt werden, dass es schon bessere Zeiten gegeben hat. Die bereits bestehenden Krisen haben sich zusehends verschlimmert, anstatt ihrer allmählich Herr zu werden. Der Bürgerkrieg in der Ukraine, der eigentlich ein klassischer Stellvertreter- Krieg ist, so wie wir ihn Jahrzehnte-lang aus der Zeit des Kalten Krieges kannten und von dem wir gehofft hatten, dass er nach der Periode von Glasnost und Perestroika in der ehemals ideologisch geteilten Welt nun endgültig in die Geschichtsbücher verbannt worden ist, zeigt sich erneut in seiner gesamten hässlichen Dramatik im Kampf um die Ost-Ukraine.

Der Gewaltkomplex der Terrormilizen in Syrien und Irak hat einen erneuten Höhepunkt durch die Verbrennung bei lebendigem Leib eines jungen, 24.jährigen Luftwaffenpiloten der jordanischen Armee erreicht. Er war von Isis-Terroristen gefangen genommen worden, nachdem er aus seinem defekten Jet mit dem Fallschirm abgesprungen war. Das Video der Verbrennung im Internet zeigt, dass für den Islamischen Staat die Spirale der Grausamkeiten nach oben keine Grenzen kennt. 

Boko Haram der afrikanische Ableger des IS-Terrors hat mit gleicher Brutalität Städte und Dörfer in Zentralafrika komplett verwüstet und die Menschen bestialisch ermordet. Die Liste der weltweiten Krisen könnte noch beliebig verlängert werden, doch eine Aufzählung allein macht wenig Sinn, ohne die entsprechenden Hintergründe zu dokumentieren. Deshalb gilt es hier das Augenmerk in erster Linie auf die akuteste Eskalation zu legen, und das ist zweifellos die Verschärfung der Kämpfe im Donbass-Gebiet und in der Südost-Ukraine. 

Bevor wir uns ausführlicher damit befassen, noch ein paar Worte zu einem Thema, das die letzten Wochen die Politik und die Schlagzeilen beherrscht hat, sich nun aber zu verlaufen scheint. Die Rede ist von "Pegida", der Bewegung einiger Tausender Unzufriedener, die mit Montagsaufzügen versucht haben, ihrem auch wie immer gearteten Unmut(Unzufriedenheit) Luft zu verschaffen. Schnell hat sich herausgestellt, dass die Initiatoren schlichtweg mit der Organisation, auf Grund der nie erwarteten Reaktion von so vielen Menschen auf ihre diffuse Islamophobie überfordert waren, sowohl im Hinblick auf die inhaltlichen Aussagen, aber auch auf die Machtstrukturen, sprich wer das eigentliche Sagen hat und in welche politische Richtung "Pegida" sich entwickeln sollte. 

Wie bei vielen Vereinigungen, seien sie politischer oder sonstiger gesellschaftlicher Natur, scheitern sie sehr bald, da die führenden Köpfe sich uneins sind und jeder seine Prioritäten bedingungslos durchsetzen will. So war dies auch hier bei der Dresdener-Pegida-Bewegung der Fall, wobei auch noch die Nähe zur rechtsradikalen Szene einiger Initiatoren eine nicht unwesentliche Rolle bei der Aufspaltung der Gruppe gespielt hat. 

Es wird jetzt noch einige kleine Nacharmer-Veranstaltungen geben, so wie z. B. in Frankfurt am Main und ein paar anderen Städten, aber dies verläuft sich in den nächsten Wochen, zumal auch die Gegenbewegung für ein weltoffenes Deutschland klar Flagge gezeigt hat und dies hoffentlich auch weiterhin zeigen wird. Und doch sollte man aus der Erfahrung mit "Pegida" etwas lernen und nicht gleich wieder in den politischen Tiefschlaf verfallen. Dies gilt sowohl für die Politik als auch für die Gesellschaft allgemein.

Man sollte die Sorgen der Menschen ernst nehmen und sich um sie kümmern, und gerade dann wenn die Ängste ziemlich absurd scheinen. Nicht jeder ist ein politisches Genie und schon gar nicht, wenn man wirtschaftlich schwach ist und über einen geringeren Bildungsstand verfügt. Gerade hier ist es besonders wichtig,  ehrliche Aufklärung zu betreiben, damit diese Menschen Zusammenhänge besser erkennen und über Informationen verfügen, die Ängste und Ablehnung gar nicht erst entstehen lassen. Nur so kann sich ein tolerantes Miteinander entwickeln. 

Apropos tolerantes Miteinander und damit sind wir auch schon mitten im Geschehen, das als sehr gefährlich bezeichnet werden muss. Allein die Hektik der Reisediplomatie von Bundeskanzlerin Angela Merkel und von Außenminister Walter Steinmeier zeigt, dass sehr viel auf dem Spiel steht, vielleicht sogar alles, nämlich der Frieden in Europa. 

Wer die Einlassungen des russischen Außenminister Lawrow auf der Münchner Sicherheitskonferenz verfolgt hat, weiß das Putin im Ukraine-Konflikt einen sehr gefährlichen Kurs fährt. Um tiefer in die Problematik einsteigen zu können, sollten zunächst ein paar Fakten Erwähnung finden. 

Die Ukraine war ein Teil der Sowjet-Union und zwar ein ziemlich entscheidender, da im südöstlichen Teil neben der Krim mit seinen wichtigen Häfen der Kriegsmarine, im Donbass-Gebiet nicht nur reiche Kohle- und Erzvorkommen vorhanden sind, hier ist auch die Schwerindustrie im Eisen- und Stahl-Bereich angesiedelt und nicht zu vergessen, wichtige Technologiefabriken der Flugzeugherstellung und der Raumfahrt. 

Nach der Auflösung der UDSSR gehörten diese Industrie-Komplexe zwar völkerrechtlich zur unabhängigen Ukraine, dies bedeutete aber keineswegs, dass Russland hier nicht das Sagen hatte, zumal die Bevölkerung überwiegend russisch-stämmig ist und die Produktion komplett auf Russland ausgerichtet war. Mit dem Niedergang der Sowjet-Union ging auch gleichzeitig ein Niedergang der russischen Wirtschaft und der ehemaligen Teilrepubliken einher.

Überall verrottete die Industrie, so auch in der Ost-Ukraine. Nirgendwo auf der Welt hat es damals solche schlimmen Grubenunglücke gegeben wie im Donezk-Becken. Während die Menschen in der West-Ukraine nach der Unabhängigkeit sehr schnell den Weg nach Westen in Richtung der EU gesucht haben, versuchte Russland seinen gesamten Einfluss geltend zu machen, um in Kiew auch weiterhin das Sagen zu haben. 

Oligarchen, die im Osten die großen Industrieunternehmen nach der Transformation (Wechsel von der Staatswirtschaft in die Privatwirtschaft) an sich gerissen hatten, übrigens mit gigantischen Betrugsmanövern, wurden von Putin großzügig unterstützt, solange sie seinen Anweisungen folgten und ihn politisch und wirtschaftlich akzeptierten. 

Wer sich Putin widersetzte,  landete im Gulag, ihr russisches Vermögen wurde in Schauprozessen konfisziert und selbst wenn einer sich ins westliche Ausland abgesetzt hatte, wurde er vom KGB (russischer Geheimdienst)liquidiert. Jedenfalls war der russische Einfluss in der Ukraine gesichert, bis auf dem Maidan, dem geschichtsträchtigen zentralen Platz in Kiew, die orangene Revolution stattfand. Danach wurde die prorussische Regierung mehr oder weniger friedlich durch eine prowestliche Führung abgelöst. 

Schnell war zu erkennen, dass die Ukraine sich dem Westen anschließen wollte, so wie auch jetzt nach einer zweiten Revolution, die vor etwa 2 Jahren stattgefunden hat, nachdem zuvor nach dubiosen Wahlen erneut der Putin-treue Präsident Janukowitsch die Regierung in Kiew übernommen hatte. Putin war schnell klar, dass es diesmal Ernst werden würde mit dem Beitritt der Ukraine zur Nato und in absehbarer Zeit zur Europäischen Union.

Dann wären die geostrategische Position der Kriegshäfen auf der Krim und die lebenswichtigen Industrien im Osten für immer verloren. Gleichzeitig hätte die Nato sich bis an die Grenzen Russlands ausgedehnt, ein für den russischen Präsidenten unkalkulierbares Risiko, so die russischen Militärdoktrin. Schon der Beitritt der baltischen Staaten, sowie Polen und weiterer Südost-europäischer Länder ist Putin ein gewaltiger Dorn im Auge. Deshalb bezeichnete er auch den Zusammenbruch der Sowjet-Union als die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts. 

Um einer weiteren vermeintlichen Umzingelung seines Landes entgegen zu treten, hat er im Jahre 2005 bei einer entscheidenden Rede vor den wichtigsten Personen des russischen Staates das Versprechen abgegeben, für die Sicherheit aller Russen im In- und Ausland verantwortlich zu sein. Was er damit gemeint hat, stellte sich sehr bald in den ehemaligen Sowjet-Republiken am Kaukasus heraus. Hier leben ebenfalls wie in der Ost-Ukraine, im Baltikum und in vielen ehemaligen Teil-Republiken russisch-stämmige Bürger, die eher die Interessen der alten Sowjet-Union vertreten, als sich in die neuen Staaten zu integrieren. 

Mit gezielten provokatorischen Handlungen seitens dort stationierter russisch-stämmiger Milizen, speziell gegen die eigene ethnische Bevölkerung wurde so ein Vorwand provoziert um mit Hilfe der russischen Armee in diese Staaten einzufallen, sie zu destabilisieren, um die jeweiligen prowestlichen Regierungen zu stürzen. Die neuen Regierungen durften danach wieder nach Putins Pfeife tanzen. Setzt man dies voraus, dann weiß man auch, warum die Ukraine zum Kriegsschauplatz geworden ist. Brachialer als je zuvor wurde im Ukraine-Konflikt seitens Putin vorgegangen. 

Die Annexion der Krim war nicht nur ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht, sondern auch die Aufkündigung einer politischen Strategie, die seit dem Westfälischen Frieden von Münster und Osnabrück nach dem Dreißigjährigen Krieg(1618-1648) einer der Grundpfeiler europäischer, aber besonders auch der Nachkriegspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg war, nämlich die Unantastbarkeit von bestehenden Grenzen. Speziell nach 1945 wurden militärisch eingenommene Staaten nicht einverleibt, allenfalls assoziiert oder in politische Abhängigkeit gebracht. Der Fall der Krim ist insofern ein Novum, die Argumentation Putins allerdings ein immer wiederkehrender "Alter Hut". 

Dass Putin der alten Strategie der Unantastbarkeit der Grenzen den Rücken gekehrt hat, kann nur bedeuten, dass er sich in einer besonders bedrohten Lage sieht. Dazu muss man wissen, dass der Kreml-Herr sich immer als die zweite Großmacht neben den USA gesehen hat und er tut alles damit dies so bleibt oder dass dieser Zustand wieder hergestellt wird. Mit Hilfe einer eurasischen Wirtschaftsunion von Kiew bis Wladiwostok glaubt er dem Westen, aber auch zunehmend China ebenbürtig zu sein, um so seine Großmachst-Ansprüche zu festigen. 

Ein Abfall der Ukraine, zumindest des starken industriellen Ostteils wäre eine eklatante Schwächung dieses Wirtschaftsbündnisses mit all seinen geostrategischen und industriellen Folgen. Bei Kenntnis all dieser Fakten wird klar, warum Putin mit allen Mitteln versucht,  seine Position durch zu setzen. Dabei scheut er weder vor dem militärischen Eingreifen in der Ostukraine zurück, noch vor der Konfrontation mit Europa und den USA. Er leugnet die massiven Waffenlieferungen, aber auch den direkten Einsatz von russischen Truppen, denen man nur die Hoheitszeichen von den Uniformen entfernt hat. 

Mit ziemlicher Sicherheit geht auch der Abschuss der malaysischen Verkehrsmaschine auf die Russen zurück, denn das militärische Gerät dazu besitzt in der Region nur die russische Armee. Über russische Verschwörungstheorien, die behaupten, die ukrainische Armee habe dies mit Hilfe der Amerikaner verbrochen, brauchen wir hier keine Zeilen zu verschwenden. Nach zugegebenermaßen einem etwas weiteren Ausholen kommen wir jetzt zum aktuellen Stand des Konflikts und dem Versuch ihn doch noch diplomatisch zu lösen. Merkel und der französische Präsident Hollande haben in getrennten Gesprächen mit dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko und anschließend mit Putin am Wochenende versucht noch in letzter Minute einen Waffenstillstand und eine politische Lösung zu finden. Ergebnis der Verhandlungen ist eine Telefonkonferenz am jetzigen Mittwoch zwischen allen vier Verhandlungsführern. 

Zuvor jedoch ist Merkel bei Obama in Washington, um sich zu informieren, wie der amerikanische Präsident reagiert, wenn die Friedensbemühungen am Mittwoch scheitern sollten. Dabei geht es um die Frage, soll die ukrainische Armee in diesem Fall massiv mit Waffenlieferungen unterstützt werden, um den prorussischen Separatisten nicht hoffnungslos unterlegen zu sein? 

Mit russischer Hilfe ist es den Separatisten in den letzten Wochen gelungen, Geländegewinne in einer Größenordnung von über 500 qkm zu erreichen. Putin wird diese Zugewinne nicht wieder hergeben wollen, wenn eine diplomatische Konfliktlösung auf der Agenda steht. Also welche Optionen liegen auf dem Tisch?

Gelingt am Mittwoch eine Einigung zwischen der Kiewer Regierung und den Separatisten, und dies wird von allen Kennern, selbst von Merkel und Steinmeier als mehr als unsicher betrachtet, dann wird es zu Vereinbarungen kommen, die, wenn sie nicht gleich die Abtrennung des jetzt besetzten Gebietes beinhalten, doch eine weitest gehende Autonomie vorsehen. Ausgestattet mit der Selbstverwaltung und wirtschaftlicher Unabhängigkeit wird die Bindung an Russland unverbrüchlich sein. Der Trick dabei ist, dass in einem späteren Fall durch unabhängige Wahlen ganz konform zum Völkerrecht auch eine Trennung von der Ukraine und ein Anschluss an Russland möglich sein werden. 

Putin könnte so doch noch zur Ostukraine kommen, ohne großes Blutvergießen, ohne internationalen Gesichtsverlust, aber mit einer triumphalen Huldigung seines russischen Volkes. Seine Zustimmungsquote würde noch einmal durch die Decke gehen, wo sie doch jetzt schon 85% erreicht hat. Aber würde der ukrainische Präsident Petro Poroschenko bei Kenntnis dieser Sachlage einen solchen für ihn faulen Kompromiss akzeptieren, allein aus humanitären Erwägungen heraus? 

Dies scheint doch mehr als fraglich, eine Spaltung der Ukraine hat er immer kategorisch abgelehnt. Doch was geschieht dann? 

Die Antwort ist eindeutig: Die Folge ist ein Krieg in Europa, ein anfangs erwähnter Stellvertreter-Krieg zwischen den Bürgern der West-Ukraine und den östlichen Separatisten mit massiver militärischer Unterstützung der russischen Armee auf östlicher Seite und Waffenlieferungen seitens vieler Nato-Staaten für die westlich-orientierte Ukraine. 

Zwar hat Merkel ausdrücklich der Entsendung von militärischem Gerät eine Absage erteilt, aber ob dies im Ernstfall noch durchzuhalten ist, muss sich dann aber erst noch herausstellen. Wünschenswert ist ein solches Szenario auf keinen Fall. Selbst wenn die Ausdehnung von Kriegshandlungen auf die gesamte Ukraine verhindert werden könnte, ein unkalkulierbares Risiko ist die militärische Eskalation allemal. Außerdem sollte bewusst sein, welches Grauen damit für die dort lebenden Menschen verbunden ist. 

Was ist aber wenn Putin mit seinem Vorgehen Erfolg hat und er die Ostukraine erneut unter seine Herrschaft bekommt? Was ist wenn der Kreml-Zar daraufhin neue Gelüste so wie z. B. auf die baltischen Staaten entwickelt? 

Hier fällt die Antwort einfacher aus, denn dann hätte er es mit der gesamten Nato zu tun und so lebensmüde ist selbst ein russischer Bär nicht, dass er versuchen würde im Anblick eines Fallbeiles einen weiteren Honigtopf zu ergattern. 

Peter J. König