Samstagskolumne Peter J. König 27.09.2014

Die Apokalypse, wie Albrecht Dürer sie nicht schlimmer hätte darstellen können. 

Die Realität übertrifft bei weitem das Szenario, das der berühmteste Maler der deutschen Renaissance in seinen Bildern dargestellt hat.  Haben wir es bei ihm mit  der Fiktion des katastrophalen Endes der Welt zu tun, so  geht es jetzt um tatsächliche Vorgänge, wenn wir uns die Situation an der syrisch-türkischen Grenze betrachten. 

Allein von mehr als hundertfünfzigtausend kurdischen Flüchtlingen, die in den letzten Wochen über diese Grenze zu ihren ethnischen Brüdern auf türkischem Gebiet geflüchtet sind, berichtet das UNO-Flüchtlingshilfswerk. Damit sind sie wenigstens in Sicherheit, wenn auch ohne irgendwelche Habe, nur mit dem, was sie am Leib tragen. Schlimmer geht es da den Menschen kurdischer Abstammung, die in mehreren grenznahen Städten auf syrischem Gebiet von den Mördermilizen des IS(Islamischer Staat) eingekesselt sind und jetzt jederzeit erwarten müssen, dass es zu einem Blutbad grausamsten Ausmaßes kommt. Eine Verteidigungsmöglichkeit gibt es für diese Menschen nicht. 

Der Bürgerkrieg gegen das Regime Assad hat den Kurden im nordwestlichen Teil von Syrien zwar erlaubt, sich der Herrschaft dieses Unterdrückers zu entledigen, aber zu welchem Preis? 

Mehr als zwanzig Terrorgruppen haben sich auf diesem Gebiet breit gemacht. Waren sie zunächst alle gemeinsam Assads Gegner und haben sie gegen sein Militär gekämpft, wurde nach der Befreiung vom Regime aus Damaskus sehr schnell deutlich, dass islamistische Terrorgruppen unter der Führung von IS keineswegs die Selbstverwaltung in Form eines autonomen Kurdengebets angestrebt haben, wie es ursprünglich einmal die gemäßigten Widerständler im kurdischen Lager angedacht hatten, sondern es geht einzig und allein darum, das Gebiet des irakisch-syrischen Kalifats territorial zu vergrößern. Dies geschieht mit der gleichen Brutalität wie im Nordirak, eine wirksame Gegenwehr ist momentan nicht in Sicht. Zu was der IS fähig ist, konnte man sehen, wie sie mit den Gesiden und Christen auf irakischem Gebiet umgegangen sind. Reihenweise wurden Tausende von Menschen geköpft, weil sie syrische Soldaten waren, oder aber sie sich nicht sofort zum Islam bekannt haben, gleichgültig ob es sich dabei um Frauen oder Kinder gehandelt hat. Diese Gräueltaten eilen auch jetzt diesen "Gotteskriegern" voraus, zumal diese Terrorbanden, bestens militärisch ausgerüstet, keinem Widerstand sich gegenüber sahen und in kurzer Zeit bis in die grenznahe Region Richtung Türkei vorrücken konnten. 

Die kurdischen Bewohner sind in panischer Angst geflohen, solange dies noch möglich war. Hundertausende sollen noch auf der Flucht sein und werden ebenfalls versuchen über die türkische Grenze zu kommen. Bei einigen grenznahen Städten sieht es allerdings verheerend aus. Diese sind von IS-Milizen umstellt und es muss unmittelbar mit Angriffen gerechnet werden. In jeder einzelnen Stadt und in jedem Dorf sollen IS-eigene Strukturen aufgebaut werden, brachial und kompromisslos, damit das Gebiet in ihrem Sinn unterworfen werden kann. Was dieses bedeutet, auch das kann man bei der Entwicklung im Irak ablesen. Es wird Blut fließen, unendlich viel Blut. Frauen und Mädchen werden vergewaltigt und verschleppt und dienen den Schlächtern als sexuelle Verfügungsmasse, mit kaum einer Überlebenschance. Die Grausamkeit macht vor nichts halt, auch nicht vor kleinen Kindern. 

In dieser Situation reicht es auch nicht mehr, wenn die Amerikaner, gemeinsam mit über 40 Staaten aus aller Welt übereingekommen sind, gegen den IS zu kämpfen. Zu diesem Verband gehören auch zum ersten Mal Staaten aus der Golf-Region, wie Saudi-Arabien, Jordanien, Oman, Quatar, Kuwait und die Vereinigte Emirate, wo bei einigen bisher nicht klar ist, wie weit sie den IS finanziell unterstützt haben. Bei der explosionsartigen Ausbreitung dieses selbsternannten Kalifats sehen die Herrscher verstärkt ihre eigene Existenz bedroht, und dies gilt für ihre gesamten Familien und ihren Hofstaat, denn diese sind in erster Linie im Visier der Islamisten. Selbst der Iran sieht sich genötigt, zwar nicht mit den Amerikanern, aber ebenfalls gegen IS vorzugehen. 

Es ist die Ideologie, die in den islamischen Staaten gefürchtet wird, die aber nichts mit der islamischen Religion zu tun hat. Immer deutlicher wird klar, worauf die Ausbreitung des IS zielt. Unter ihrem pseudo-religiösen Deckmantel geht es darum ein weltweites Machtgebilde zu errichten, dessen kultureller Ursprung im frühen Mittelalter zu suchen ist, deren Gesetze von der Scharia, dem Verhaltens-und Straf- Kodex der islamischen Religion bestimmt sein soll, mit Auslegungsformen, die mehr als archaisch anmuten. Seriöse, anerkannte Islamgelehrte überall in der Welt lehnen eine solche Auslegung des Korans grundsätzlich ab. 

Wenn man von der westlichen, demokratischen Wertegesellschaft ausgeht, ist bei aller Kritik und Skepsis, was diese Kulturform angeht, doch uneingeschränkt festzustellen, dass die Anwendung der Scharia, übrigens gerade im reichsten Staat der Welt, dem Sultanat Brunei wieder eingeführt, der totalen Barbarei gleichkommt. Die Epochen, dass man Leute gesteinigt, Frauen als Menschen zweiter Klasse in totaler Abhängigkeit vom Willen des Mannes betrachtet hat, sind gottlob zumindest gesetzestechnisch bei uns vorbei. 

Völlig absurd ist der Gedanke, dass ein "Islamistischer Gotteskrieger", sollte er bei den Kämpfen in Syrien oder im Irak von einer kurdischen Soldatin getötet werden, damit seinen Zugang zum Paradies verwirkt hat. So finster kann überhaupt kein Mittelalter sein, als dass eine derartige Glaubensauslegung Bestandteil des realistischen Seins ist. Und doch sollen solche Religionsmuster die Basis eines weltumspannenden Kalifats werden. Über die Auflistung weitere Grausamkeiten und menschenverachtende Brutalität darf hier verzichtet werden, zumal sich immer mehr heraus kristallisiert, worum es dem IS tatsächlich geht. Das eigentliche Ziel heißt Öl, einmal wieder Öl und damit Macht und Reichtum. Dies ist im Sultanat Brunei so, ebenso wie in vielen ostasiatischen Regionen, wo große derartige Vorkommen sind, und natürlich auch im Nahen Osten. Wer die Ölvorkommen beherrscht, der hat die nötige Macht, um Herrschaftsansprüche zu zementieren. Nichts wird deutlicher in unserer modernen Welt, dokumentiert durch die großen Konzerne, die Potentaten, ja selbst die demokratischen Staaten, nicht zu vergessen die Pseudokommunisten und die selbsternannten Zaren, auf welchem Saft sich die Macht begründet und wie sich das Leben höchst luxuriös gestalten lässt. Mit Glauben und Gottesfürchtigkeit hat dies aber alles überhaupt nichts zu tun. 

Auch spielt das Paradies, wo es auch sein mag, dabei überhaupt keine Rolle, allenfalls das irdische in Form von unvorstellbarem Luxus. Es geht um Dominanz und diese nimmt ständig zu. Aktuell ist der IS gerade dabei Libyen zu unterwerfen. Gemeinsam mit anderen Terrorgruppen, ganz nach dem syrischen Muster sind mittlerweile große Teile des Landes unter ihrer Herrschaft, auch die Hauptstadt Tripolis. 

Ganz im Osten in der Stadt Tobruk hat sich das einst nach Gaddafi frei gewählte Parlament zurückgezogen, muss aber jederzeit damit rechnen von dem IS angegriffen zu werden. Näher sind die islamistischen Gotteskrieger den Grenzen der EU bisher noch nicht gekommen, obwohl sie unmittelbar an der türkisch-syrischen Grenze stehen. Es ist zu erwarten, dass Präsident Erdogan alles unternehmen wird, ein Einsickern des IS in sein Land zu verhindern. Mittlerweile scheint auch ihm klar zu sein, dass die Probleme mit der PKK (kurdische Freiheitskämpfer auf beiden Seiten der Grenze mit Syrien) das kleinere Übel im Hinblick auf den Vormarsch des IS bedeutet und er nicht sicher sein kann, welche Folgen deren Ausdehnung unmittelbar auf die Türkei haben wird. 

Wenn solche Radikalisierungen selbst bei uns auf fruchtbaren Boden fallen, sind sie in der islamischen Türkei weitaus effektiver einzupflanzen. Es ist zu vermuten, dass Libyen als Sprungbrett für die Infiltration nach Europa genutzt wird. Wer will kontrollieren, wieviel IS-Kämpfer bei den Flüchtlingsströmen, die täglich über das Mittelmeer nach Süditalien hinüber schwappen, als Verfolgte getarnt, sich auf den Weg machen, den IS-Terror nach Europa hinein zu tragen, und zwar weitaus professioneller wie es die Salafisten hierzulande heute tun, oder einst die Schläferzellen von Al Kaida zuwege gebracht haben? 

Das Phänomen IS ist deshalb so problematisch, weil kein Staat der Welt mit Sicherheit davon ausgehen kann, davor verschont zu bleiben, oder gar die Problematik in den Griff zu bekommen. Australien ein Land in dem eine solche Radikalität kaum zu erwarten war, ist vor wenigen Tagen erschüttert aufgewacht, als man in der letzten Minute einen brutalen Terroranschlag verhindern konnte, da ein Konvertit, ein zum islamischen Glauben gewechselter junger Mann, europäischer Abstammung sich anschickte auf der Straße willkürlich ein Opfer zu enthaupten. Es ist schon bezeichnend, dass unter Obamas Führung eine Koalition von Staaten zusammen kommt, deren Interessen völlig unterschiedlich sind, und die sich zuvor sogar bekriegt haben. Es ist auch kein Zufall, dass der Iran erklärt hat, er werde dieser Gemeinschaft zwar nicht beitreten, aber doch konstruktiv mit ihr zusammenarbeiten. 

Alle Regierungen weltweit sind sehr verunsichert, es sei denn, sie bekennen sich gleich zu den Zielen des IS. Ob ihnen das jedoch hilft, ist mehr als zweifelhaft. Russland hält sich in dieser Frage ziemlich bedeckt, obwohl es auch hier große islamische Bevölkerungsteile gibt. Schon zur Zeit der Sowjet-Union gab es immer wieder Aufstände in islamischen Teilstaaten, die aber mit äußerster Gewalt unterdrückt wurden, man muss nur an Tschetschenien denken. Terrorakte hat es deshalb genug gegeben, ob in der Moskauer U-Bahn, in russischen Schulen, selbst bei Theatervorstellungen. Und doch sind beide Phänomene völlig unterschiedlich gelagert. Ging es in Russland darum, territorial begrenzt, ethnische und religiöse Eigenständigkeit zu erlangen, geht es jetzt um so etwas Diffuses wie Weltherrschaft unter archaisch, islamistischen Zwängen, mit äußerster Brutalität verwirklicht. 

Ob diese Ideologie jemals breitgefächert fruchtet und einen Sturm auslöst, der alle bisherigen Revolutionen auf der Welt in den Schatten stellt, ist momentan noch nicht absehbar. Absehbar ist aber, dass mit militärischen Lösungen allein dieses Feuer nicht mehr gelöscht werden kann. Mag auch die Allianz die Kampfgruppen des IS vernichtend schlagen, der ideologische Funke wird sich danach in den Köpfen von Millionen von Menschen weiter vermehren. Und wie man bei den jungen Menschen, die aus Deutschland sich dem IS angeschlossen haben feststellen kann, bedarf es ganz anderer Maßnahmen, um die Radikalisierung zu stoppen und dies weltweit. 

Die jungen Menschen brauchen vernünftige wirtschaftliche Bedingungen, eine gescheite Ausbildung und erkennbare Perspektiven, um sich selbst zu verwirklichen. Dann erkennen sie schnell, dass sie nur der Spielball (Kanonenfutter) von machthungrigen, gierigen, brutalen Egomanen sind, die keine Achtung vor dem Leben haben, am wenigsten vor dem ihrigen.

 Peter J. König

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