Samstagskolumne Peter J. König 23.11.2013

Warum zeugt die Entscheidung der Grünen in Wiesbaden von mehr Mut, als die ihrer Parteifreunde in Berlin?

In Hessen wird beginnen, was dereinst in der Hauptstadt vollendet werden soll. Ministerpräsident Volker Bouffier und Grünen-Chef Tarik Al-Wazir haben nach einer Periode unterschiedlicher Verhandlungen im Laufe der letzten Woche sich entschlossen, Koalitionsverhandlungen zu führen. Nachdem auch die entscheidenden Parteigremien ihr Placet dazu gegeben haben, scheint der Weg frei für die erste Schwarz-Grüne Koalition in einem Flächenland in der Bundesrepublik Deutschland. Wenn es so kommen wird, und dies steht bekanntlich erst mit den Unterschriften unter dem besagten Vertrag fest, ist dies ein Novum in unserer politischen Landschaft, bedeutet aber auch, dass ein neuer Abschnitt im Gefüge von möglichen Regierungsbildungen beginnt. Zwar hat es in Hamburg schon einmal einen ähnlichen Versuch gegeben, dieser aber war nicht von allzu großer Dauer. Schon in den parallel laufenden Sondierungsgesprächen nach der Bundestagswahl in Berlin blitzte kurze Zeit die Möglichkeit einer Schwarz-Grünen Regierung auf. 

Mancher in beiden Lagern hätte durchaus darin eine charmante Lösung gesehen, doch nach offizieller Lesart war ein solches Bündnis noch nicht reif. Fakt ist jedoch, dass die Grünen, trotz eines gesteigerten Interesses, besonders bei ihren Führungsspitzen, bei dem schwachen Abschneiden in der Wahl und einem verkorksten Wahlkampf, nicht den Mut aufbrachten, eine solche neuartige Konstellation einzugehen. Zu groß war die Angst von Angela Merkel vereinnahmt oder gar erdrückt zu werden. Wie so etwas geht, wurde ihnen gerade am Beispiel der F.D.P. vorgeführt. Da schien ihnen das Risiko doch zu groß. Wer weiß wie die Sache ausgesehen hätte, wenn man mit sattem Zugewinn eine strahlende Braut für die Schwarzen gewesen wäre? So aber zu viel Enttäuschung und Depression über das eigene Abschneiden, als dass man sich mit den Christsozialen in einer Liaison verbandeln konnte. Doch bekanntlich ist ja aufgeschoben nicht gleich aufgehoben. Welche wunderbare Gelegenheit bietet da ein Bündnis auf Landesebene. Im Sinne einer künftigen gemeinsamen Bundesregierung ist die Entscheidung in Hessen als eine Art Verlobungszeit zu sehen. Hier kann Vertrauen aufgebaut, Glaubwürdigkeit und Regierungshandeln getestet werden, ohne dass im Falle eines Scheiterns gleich die ganze Nation in Mitleidenschaft gezogen wird. Aber Scheitern steht bei den beiden Koalitionären nicht auf der Agenda. Beide sind sehr zuversichtlich, obwohl sie genau wissen, wo ihre Knackpunkte liegen könnten. 

Nicht zuletzt sei da der Frankfurter Flughafen genannt in Bezug auf Lärmschutz, Ausbau und Ökologie. Zunächst hat man sich auf ergebnisoffene Verhandlungen im Zuge der Koalitionsgespräche verständigt, die Problematik soll sich an Hand neuester Gutachten orientieren. Dies konnte die hessische SPD nicht ungerührt lassen, sah es doch zwischenzeitlich einmal so aus, als habe sich Ministerpräsident Bouffier mit seinem sozial-demokratischen Herausforderer Schäfer-Gümbel darauf geeinigt, alle Wahlkampfattacken vergessen zu machen, um nach vorne schauend, die Chancen für eine große Koalition auch in Hessen zu verwirklichen. Zudem wird sich Schäfer-Gümbel ausgerechnet haben, dass nach einer Legislatur als stellvertretender Ministerpräsident nicht nur sein politisches Gewicht und sein Bekanntheitsgrad gewachsen sind, sondern er auch bessere Chancen auf den Posten des Ministerpräsidenten bei der nächsten Wahl haben würde, zumal in der CDU altersbedingt ein Wechsel an der Führungsspitze in Hessen anstehen könnte. Auch muss ihm klar geworden sein, dass mit einer Schwarz-Grünen Regierung in Wiesbaden für einen längeren Zeitraum ein Regieren im Land in weite Ferne gerückt ist, wenn sich das Bündnis als stabil herausstellen sollte.

Und was könnte passieren, wenn man, ausgelöst durch das hessische Modell, auf Bundesebene Appetit auf mehr bekommen würde? Damit einhergehend, was passiert eigentlich, wenn der ausgehandelte Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD in Berlin vor den Augen der sozial-demokratischen Basis keine Gnade findet? Dies wird überhaupt die spannendste politische Frage in dieser Woche werden. Bisher liegt noch alles im Ungewissen. Aus den Kreis- und Ortsverbänden regt sich massiver Widerstand gegen ein solches Bündnis. Die SPD-Parteispitze, allen voran der Vorsitzende Sigmar Gabriel, reist von einer Veranstaltung zur nächsten, um die Genossen zur Zustimmung zu bewegen. Bisher mit mäßigem Erfolg. Dabei geht es auch um seine Haut, denn im Falle einer Ablehnung kann die gesamte Vorstandsebene abdanken, zu groß wäre der Vertrauensverlust. Und mitten hinein in diesen unerfreulichen Schwebezustand platzt auch noch das angedachte Bündnis in Hessen. Die vermeintlichen Koalitionsgetreuen von den Grünen gehen von der Fahne und legen sich mit den Schwarzen ins Bett. 

Derweil läuft die SPD Gefahr durch falsches taktisches Manövrieren, und nur so muss man die Befragung der Basis werten, sich selbst zu eliminieren, zumindest sich selbst großen Schaden zuzufügen. Zu allem Überfluss haben sie auch noch die Öffnung zu den Linken beschlossen. Zum jetzigen Zeitpunkt war dies nicht nur ebenfalls taktisch unklug sondern auch völlig überflüssig. Damit haben sie erneut das Szenario angefacht, zwar jetzt eine Koalition mit der CDU einzugehen, aber auf halbem Wege dann doch aufzukündigen, um einen Schwenk nach links zu machen. Seitdem liegt ein gewisses Misstrauen über den Verhandlungen, es zwickt und zwackt an allen Enden und dies vor der Kulisse eines drohenden Zustimmungsverlustes. Die SPD hat wahrlich schon bessere Zeiten erlebt. Doch damit nicht genug. 

Sollte es gar knüppeldick für die altehrwürdige sozial-demokratische Partei kommen, müsste sie mit dem Allerschlimmsten rechnen. Führungslos müsste sie zusehen, wie sie sich spaltet, indem der linke Flügel sich zu den Linken aufmacht, während der gemäßigte Teil die Zukunft bei den Grünen sucht. Viele aus dem rechten Flügel zieht es dann zu Angela Merkel, die sie auch schon bisher als Kanzlerin recht passabel fanden. Und was bleibt zum Schluss übrig von der 150.jährigen Geschichte: ein gerupftes Huhn mit arg gestutzten Flügeln, unfähig noch einmal sich in die Lüfte zu schwingen, um den sozialen Traum zu verwirklichen. Welch eine Aussicht und dies auch noch bei sinkenden Mitgliederzahlen und abstürzenden Wahlergebnissen. Dabei sah am Anfang alles so schön aus. Zwar hatte man die Wahl verloren, aber ob des Wahlergebnisses, welch eine Genugtuung die Schwarzen vor sich herzutreiben. Gabriel und seine Genossen konnten vor Kraft kaum laufen, sie glaubten tatsächlich Angela Merkel in die Enge getrieben zu haben. Und einmal wieder bewahrheitet sich das alte Sprichwort: Jeder Höhenflug ist vom Absturz bedroht, wie einst, als Ikarus glaubte der Sonne zu nahe kommen zu können. 

Vielleicht geht dieser Kelch durch eine gehörige Portion Glück an der Sozialdemokratie noch einmal vorüber, wenn die Zugeständnisse seitens der CDU/CSU so großzügig gestaltet werden, dass selbst die größten Kritiker innerhalb der SPD, Züge ihres Wahlprogrammes in dem ausgehandelten Koalitionspapier zu erkennen glauben. Vielleicht klappt es ja auch nicht zwischen Schwarz und Grün hinsichtlich höherer Ziele. Alles kann, nichts muss. Politik ist ein wages Geschäft, voll von Fallstricken und Tretminen und immer wieder für eine neue Schlagzeile gut. Deshalb hat es auch nicht überrascht zu lesen, dass der Hessen-Grüne Al-Wazir, erst nachdem Joschka Fischer ihm getwittert hatte, er schaffe das schon mit der Schwarz-Grünen Koalition, eine solche Entscheidung öffentlich gemacht hat. 

 Peter J. König

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