Samstagskolumne Peter J. König 13.04.2013

Braucht unsere Gesellschaft neue Werte?  

Ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beschert uns die Anklage der Staatsanwaltschaft Hannover am gestrigen Freitag gegen den ehemaligen Bundespräsident Christian Wulff wegen Bestechlichkeit im Amt. Der angeschuldigte Wulff soll nach der Staatsanwaltschaft bei einem Besuch des Münchner Oktoberfests im Jahre 2008 Hotelkosten im "Bayrischen Hof" und Bewirtungskosten auf der „Wiesn“ in Höhe von über 700 Euro von dem Filmproduzent Groenewold erhalten haben. Dies soll in der Absicht geschehen sein, den damaligen Ministerpräsident von Niedersachsen zu bewegen, in dienstlicher Eigenschaft bei der Firma Siemens in München um finanzielle Hilfe für die Vermarktung seines Filmprojektes „John Rabe“ zu bitten. 

Wulff soll einen entsprechenden Brief wenige Wochen nach dem München- Besuch an den Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG geschrieben haben, allerdings ohne Erfolg. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass das Bittschreiben „in Kenntnis und mit Billigung der Kostenübernahme“ erstellt worden ist. Wulff bestreitet diesen Sachverhalt. Groenewold soll schon am folgenden Tag nach dem Aufenthalt in München um einen entsprechenden Brief an Siemens bei dem Ministerpräsident vorstellig geworden sein. Er wurde ebenfalls am Freitag wegen Bestechung angeklagt, zudem soll er gegenüber dem Landgericht Köln eine falsche Versicherung an Eides statt abgelegt haben. Jetzt ist es die Aufgabe des Landgerichts Hannover zu prüfen, ob ein Hauptverfahren eingeleitet wird. Erfahrungsgemäß wird dies einige Zeit in Anspruch nehmen. Soweit der aktuelle Sachstand. 

Jede weitere Klärung ist jetzt dem Gericht in Hannover überlassen, irgendwelche Vermutungen über den Verlauf verbieten sich entsprechend. Allerdings verbietet es sich nicht, darüber nachzudenken, womit wir es bei diesen Vorgängen grundsätzlich zu tun haben, in Anbetracht der Tatsache, dass Wulff nicht irgendeine Privatperson war sondern damals Regierungschef in Hannover und anschließend Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Es muss doch ausgeschlossen werden dürfen, dass eine solche politische Persönlichkeit per se niemals mit solchen strafrechtlichen Vorwürfen allein im Ansatz konfrontiert werden kann. Diese Gewähr darf doch der Bürger in unserem Land haben, ansonsten müssen gravierende Mängel bei der Auswahl der Person zu diesen hohen Ämtern vorliegen.

Auffällig ist, dass die Personalie Wulff kein fehlgelaufener Zufall ist, sie steht für den Wandel der Zeit, für den Wandel der Demokratie und hauptsächlich für den Wandel in unserer Gesellschaft. Unumstößliche Werte, wie Ehrlichkeit, Redlichkeit, Verantwortung, Gemeinsinn, Gesetzestreue und der unbedingte Wille ein gerechtes Staatswesen anzustreben, ja auch dem Staat zu dienen, wenn man in politische Ämter, zumal in hohe und höchste berufen worden ist, hat seine Wertigkeit in den letzten Jahrzehnten eingebüßt. An diese Stelle sind Egoismus, Machtstreben, Privilegien- Sucht und Selbstdarstellung getreten. Wobei sich die Frage stellt, wer wen infiltriert hat, die Politik die Gesellschaft oder die Gesellschaft die Politik?

 Wahrscheinlich wird es ein Mix von beidem sein, denn noch nie war Politik so abhängig von den Interessen großer Wirtschaftsvereinigungen, wie an dem ausufernden Lobbyismus zu sehen ist, der in unserer Bundeshauptstadt am Sitz der Regierung und der Ministerien festzustellen ist. So wie in der Gesellschaft durch die alles dominierende Werbung immer neue Begehrlichkeiten geweckt werden, die weg führen von Gemeinschaftsinteressen, hin zum konkurrierenden Ellenbogenindividualismus: mein Haus, mein Auto, mein Schiff und meine egoistische Gier, ist dies auch nicht anders im politischen Bereich. Heutzutage gehen junge Menschen in die Politik, sie schließen sich den Jugendorganisationen der Parteien an, nicht weil sie die Welt verändern wollen, wie es Jugend zu allen Zeiten so an sich hatte, nein immer mehr wird nur noch das politische Geschäft als Sprungbrett für die eigene Karriere gesehen und da kann man nicht früh genug anfangen, denn die Konkurrenz ist ja sehr groß. Aus der politischen Vision ist das politische Geschäft geworden. Und wie es beim Geschäftemachen so üblich ist, werden Deals eingefädelt, Geschenke gemacht, Gefälligkeiten übernommen und Absprachen getroffen, die jenseits der politischen Karriere zum Tragen kommen. 

Dies klingt alles wie die Versorgungsmentalität von raffgierigen Managern aus der Wirtschaft und nicht wie das Anforderungsprofil eines mit Macht ausgestatteten Volksvertreters, der dem Allgemeinwohl verpflichtet ist. Oberstes Gebot scheint der Machterhalt zu sein, denn nur so kommt der Segen der Privilegien zum Tragen. Dies alles wird auf Dauer unsere politische Gestaltungsfähigkeit ad absurdum führen. Interessensverbände werden immer mehr die Politik bestimmen und das Allgemeininteresse bleibt dabei auf der Strecke. Bestes Beispiel für diese Entwicklung ist die europäische Bankenkrise, die nur mit Hunderten von Milliarden an Steuergeldern vielleicht in den Griff zu bekommen ist. Wo bleibt da das Interesse am Gemeinwohl? Wie weit dies alles mit dem Fall Wulff zu tun haben wird, werden wir am Ende dieser „Causa“ sehen. Bisher gilt für ihn die Unschuldsvermutung, dies ist sein Recht. 

Trotzdem sollte überlegt werden, ob nicht grundsätzlich ein Umdenken beginnen muss, wie man die Unabhängigkeit unserer Mandatsträger steigern kann, sowohl in finanzieller Hinsicht, in der Abhängigkeit von Parteien, aber hauptsächlich in einer gereiften Persönlichkeit außerhalb der Politik, zumal das erworbene Wissen und die gemachten Erfahrungen sich dann positiv auf die politische Gestaltung auswirken werden.

Und damit zur realen Politik, zurück in den Kampf um die Macht, zurück in die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs, die mit dem Bundesparteitag der SPD am morgigen Sonntag in Augsburg beginnen wird. Ursprünglich hat ja diese entscheidende Wahlkampfzeit für die Sozies schon seit der Nominierung ihres Kanzlerkandidaten begonnen, doch dies wollte überhaupt nicht glücken. Peer Steinbrück hat es bisher prächtig geschafft, sich bei den Wählern nicht besonders beliebt zu machen. Honorar- Affäre, das Lächerlichmachen von italienischen Politikern und andere verunglückte Äußerungen haben seine Prognosen- Werte gegenüber der Kanzlerin derart in den Keller rauschen lassen, dass momentan keiner einen Euro auf seinen Sieg im September verwetten würde. 

Auch die Umfragen für die SPD scheinen darunter zu leiden, sie dümpeln bei 25% plus minus herum, ein Wahlsieg zusammen mit den Grünen scheint in weiter Ferne, zumal Schwarz-Gelb aktuell nach langer Zeit wieder eine Mehrheit zum Wahlsieg prognostiziert bekommen hat. Deshalb soll der Augsburger Parteitag die Wende bringen. Die Themen, wie die Gerechtigkeitskarte oder das große Wir-Gefühl sollen den Zuspruch zur SPD mehren, da dies weit größere Wählerschichten anspricht, als Steinbrücks Attacken gegen die Banken, die Finanzindustrie oder gegen Merkel und Schäuble. Nun soll die Partei den Kandidaten nach vorne bringen und nicht wie heutzutage bei Wahlen üblich, der profilierte Kandidat die Partei, im Sinne einer Personenwahl a la Schröder. Dessen Wahl- Rhetorik trauert so mancher Genosse wehmütig nach, als Wahlkämpfer kann Steinbrück mit ihm nicht mithalten. Aber die SPD-Granden sind schon zufrieden, wenn ihr Kandidat glaubwürdiger als bisher ihre programmatischen Thesen an die Wähler herüber bringt, was bisher auch nicht immer gelungen ist. 

Jetzt heißt es fest zusammenstehen und hoffen, dass Peer Steinbrück jedes weitere Fettnäpfchen meidet. Ansonsten sagt man sich in den Reihen der SPD, nicht zu Unrecht, dass noch mehr als fünf Monate Zeit bleiben bis zur Bundestagswahl und aus Erfahrung weiß man, dass ein so frühes Hoch eines Kandidaten in der Vergangenheit oftmals mit einer kalten Dusche geendet hat, zumal Fettnäpfchen nicht allein das Privileg des SPD-Kandidaten sind. 

 Peter J. König

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