Samstagskolumne Peter J. König 23.02.2013

Bundespräsident  Gauck, der überzeugte Europäer und Berlusconi, der Europa aufs Spiel setzen will.

Unser Bundespräsident Joachim Gauck nimmt Fahrt auf. Hat er sich die vergangenen Monate seiner fast einjährigen Amtszeit überwiegend mit seinem aus seiner DDR-Vergangenheit entstammenden Thema, der Freiheit befasst, so war die Themenstellung seiner ersten Grundsatzrede aus dem Schloss Bellevue, seinem Amtssitz in Berlin, den wichtigsten aktuellen Punkten auf der Agenda unseres zukünftigen, gemeinsamen Europas gewidmet. 

Nicht, dass der Präsident sich in die laufenden politischen Vorgänge innerhalb der EU eingemischt hätte, dies ist Frau Merkel, der Bundeskanzlerin vorbehalten. Die Rolle des Bundespräsidenten ist nach der Verfassung für eine Stellungnahme bezüglich politischer Tagesaktualitäten nicht vorgesehen. Und doch soll seine Stimme bei uns Mitbürgern großes Gewicht haben. Diese Akzeptanz gilt es sich aber erst zu verdienen, sie entsteht nicht einfach dadurch, ins Amt gewählt worden zu sein. Durch seine überzeugenden Reden um die Freiheit und durch sein öffentliches Auftreten hat Joachim Gauck es schon verstanden zu vermitteln, dass hier der richtige Kandidat für das höchste Staatsamt gewählt worden ist. Und doch war es an der Zeit, dass der Bundespräsident den Focus seiner Themen in den Reden auf die aktuellen Problematiken unserer Zeit weiter ausdehnt. Indem er moderierend den Bürgern seine Haltung erklärt, soll er dazu beitragen, dass Verständnis seitens der Bevölkerung für politische Notwendigkeiten entsteht, dass begriffen wird, warum auch unpopuläre Maßnahmen in der Politik notwendig sind, wenn dadurch langfristige Ziele erreicht werden, die für die Stabilität der Bundesrepublik Deutschland notwendig sind. 

In seiner ersten Rede in einer zukünftig folgenden Reihe hat er sich zu Europa geäußert, so wie er den momentanen Zustand im Bewusstsein der Bürger sieht und welches die vermeintlichen Gründe dazu sind, warum in unserem Land eher eine gesteigerte Skepsis gegenüber einem geeinten Europa besteht. Landauf, landab hat sich die Meinung verfestigt, dass Deutschland der Zahlmeister in Europa geworden ist, dass der deutsche Steuerzahler für alle politischen und wirtschaftlichen Schlampereien in der EU den Kopf hinhalten muss. Dies ist beileibe nicht so. Natürlich müssen wir als stärkste wirtschaftliche Nation auf dem Kontinent, die noch zu den reichsten auf dem gesamten Globus zählt, auch mit den größten Anteilen an Sicherheitsleistungen für die von Insolvenz bedrohten Mitglieder im Währungsverbund aufkommen. Ein anderes Verhalten würde die Gemeinschaft des Euro sofort ad absurdum führen. Dass aber ein gemeinsames Europa mit einer einheitlichen Währung gerade für uns Deutsche besondere Vorteile bringt, ist vielfach nachgewiesen. Und dass der Kauf von griechischen Staatsanleihen, mit dem Zweck dem Land Liquidität zuzuführen, mit einem milliardenschweren Verlust enden würde, hat sich nicht bewahrheitet. In der letzten Woche wurde bekannt, dass sowohl die EZB, als auch die anderen Nationalbanken, die sich  an dieser Aktion beteiligten, nach der Veräußerung der griechischen Anleihen, Milliardengewinne eingefahren haben. 

Um dieses Geld wird es jetzt noch zu einem munteren Gerangel kommen, denn ursprünglich hatte man den Griechen einmal versprochen, wenn ein Gewinn später mit den Papieren zu erzielen sei, mit dem zu einem früheren Zeitpunkt keiner der Sachkundigen gerechnet hat, dann würde dieses Geld dem griechischen Staat zufließen. Ob dieses tatsächlich so stattfinden wird, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen, ohne große Diskussionen wird das jedenfalls nicht abgehen. 

Doch zurück zu der Rede des Bundespräsidenten. Um derartige Modalitäten ist es Joachim Gauck mitnichten gegangen. Zweck seiner Rede war es, sowohl den Deutschen als auch allen anderen Menschen in Europa das gemeinsame Ziel näher zu bringen, mit einer neuen Initiative, das dahindümpelnde Interesse neu zu beleben, denn als überzeugter Europäer weiß der Bundespräsident, dass nimmermüde bei den Menschen Überzeugungsarbeit geleistet werden muss, damit die Ziele verwirklicht werden können, ein gemeinsames, geschlossenes Europa mit gemeinsamen politischen Zielsetzungen, sei es in der Wirtschafts- Finanz- oder Außenpolitik. Nur so haben wir zukünftig eine Chance in der geostrategischen Auseinandersetzung zwischen den einzelnen Machtblöcken und den weltweiten Interessen der Großmächte unsere wirtschaftliche Unabhängigkeit und unseren Einfluss zu bewahren. 

Besonders bemerkenswert erscheinen mir zwei Passagen in Gaucks Rede, deren Wirkung auf alle Bürger in Europa nicht zu unterschätzen ist. Zum einen ist da der bedeutende Satz, dass wir kein deutsches Europa sondern ein europäisches Deutschland anstreben, also allen Vormachtstellungen eine klare Absage erteilen, zum anderen hat mich Gaucks Bitte beeindruckt, die Briten oder wie er konkreter sagte, die Engländer, die Walliser, die Schotten und die Nordiren möchten doch bitte weiterhin ein bedeutender Teil dieses gemeinsamen Europas bleiben, da sie als älteste Demokratie mit ihrer unendlichen Erfahrung, auch mit ihrem weltweiten Geflecht an Beziehungen, bedingt durch das Commonwealth für ein gemeinsames Europa unverzichtbar sind. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen, wenn auch die Briten nicht immer die angenehmsten Verhandlungspartner in Brüssel sind und gerne so manche Extrawurst gebraten haben möchten und sie zuweilen auch bekommt. 

Der Bundespräsident jedenfalls hat mit seiner Rede gezeigt, dass er in seinem Amt angekommen ist. Er hat begonnen seinen eigenen Stil zu entwickeln und wird zukünftig in vielen Belangen unseres Gemeinwesens uns die Dinge aus seiner Sicht nahebringen. Über den politischen Parteien stehend, wird er eine Institution sein, die mit Glaubwürdigkeit versucht, immer wieder eine objektive Bestandsaufnahme den Bürgern zu vermitteln, dabei haben unpopuläre Wahrheiten noch nie geschadet.

Ob Europa sich auf eine erneute Bewährungsprobe ganz besonderer Art einstellen muss, wird am Sonntag und Montag in Italien entschieden. Dort finden Parlamentswahlen statt, nachdem die Übergangsregierung Monti vereinbarungsgemäß zurück getreten ist und jetzt der italienische Wähler die nächste Regierung bestimmen soll. Italien hat mit einem großen Staatsdefizit zu kämpfen, Monti der Finanzfachmann hat nach dem Rücktritt Berlusconis einen strikten Sanierungskurs der Staatsfinanzen eingeleitet. Dabei kam es zu einschneidenden Sparmaßnahmen für die breite Masse, sehr zu deren Missfallen. Dies wird sich bei den jetzigen Wahlen niederschlagen, zumal auch der schon auf dem politischen Altenteil vermeintliche Berlusconi, sich doch entschieden hat, noch einmal Italiens Ministerpräsident zu werden. Da stöhnen nicht nur große Teile der italienischen Bevölkerung auf, nein die gesamten politischen Eliten in der EU flüstern sich hinter vorgehaltener Hand zu: Muss das jetzt auch noch sein. Alles dieses stört den „Cavaliere“ wenig, ganz im Gegenteil, er wettert munter gegen seine früheren Kolleginnen und Kollegen, besonders Frau Merkel muss für seine Reformunfähigkeit herhalten. 

Diese habe mit ihrem rigiden Sparkurs die Volkswirtschaften ruiniert, dies wolle er sofort nach seiner Wahl verändern. Die Wirtschaft müsse durch staatliche Programme angekurbelt werden, dazu müsse die EZB die Notenpresse anwerfen, eine weitere Verschuldung spiele keine Rolle, so Berlusconi. Zudem wolle er die Gelder für eine Besteuerung von Eigentumswohnungen und Häuser, eingeführt im Zuge der Sparmaßnahmen, sofort als neuer Ministerpräsident an alle zurückzahlen. Solche Versprechen auf Pump haben natürlich Wirkung hinterlassen. Zunächst chancenlos, zeigen die letzten Umfragen, dass Berlusconi mächtig aufgeholt hat, zumal er ein glänzender Wahlkämpfer ist und sein Medienimperium bestens ihm dabei hilft. Mit welchen Maßnahmen die Europäer ansonsten mit einem Ministerpräsident Berlusconi zu rechnen haben, verkündet der Wahlkämpfer auf jeder Veranstaltung. Jedenfalls will er Deutschland aus der Währungsunion ausschließen, sollte Angela Merkel sich von dem europäischen Sparkurs nicht sofort verabschieden. Auch ein Austritt Italiens aus dem Währungsverbund sei durchaus möglich. 

Dass bei solchen Äußerungen den Europabefürwortern das kalte Grausen kommt, ein Austritt Italiens bestimmt das Ende der Währungsunion bedeutet, Italien ist immerhin der drittgrößte Netto Einzahler in die Haushaltskasse, vielleicht sogar die gesamte Einigung auf dem Spiel steht, ist jedem in Brüssel bewusst. Zwei Tatsachen sind den Staatsmännern in der EU aber dennoch klar, die sie relativ gelassen reagieren lassen. Zum einen ist Berlusconi noch nicht gewählt, zum anderen sind die markigen Worte auf den Wahlveranstaltungen kein Regierungsprogramm, das so strikt umgesetzt wird. Fakt ist jedoch, sollte der „Cavaliere“ tatsächlich gewählt werden, wird ein erheblicher Störfaktor in die Politik der Währungsunion, gar der gesamten EU einziehen. Die Linken und die gemäßigten Intellektuellen versuchen mit Bündnissen Berlusconi zu verhindern. Wie es letztendlich ausgehen wird, ist mit Bestimmtheit nicht zu sagen, denn viele Italiener entscheiden sich erst unmittelbar vor der Wahl. Wenn dann die Heilsversprechen des Multimilliardärs die Vernunft und die politische Realität verdrängt haben, wird noch viel mehr Überzeugungsarbeit in allen Ländern Europas geleistet werden müssen, denn wie auch die einzelnen Staaten sich positionieren, pro oder contra Europa, die Entwicklung der globalen Veränderung wird darauf keine Rücksicht nehmen.

 Peter J. König

Samstagskolumne Peter J. König 16.02.2013

Wie lange wollen wir uns noch rechtsradikale Machenschaften und mafiöse Strukturen antun?

Zwei Ereignisse im Laufe der letzten Woche haben den Autor dieser Zeilen sehr betroffen und sehr nachdenklich gemacht, dass er die Gelegenheit der heutigen Kolumne dazu nutzen möchte, sich einmal ausführlich und tiefgründiger mit den Vorfällen zu befassen. 

Da ist zum Einen der Fernsehbeitrag der ARD über die Machenschaften der Versandfirma Amazon, wie sie mit ihren Teilzeitkräften und insgesamt mit ihrem Personal umgeht, aber wie sie auch ihre steuerrechtliche Position gegenüber ihrem zweitgrößten Markt nach den USA, nämlich der Bundesrepublik Deutschland gestaltet hat. Dabei ist der ARD-Bericht beileibe nicht die erste Publikation, die im Zusammenhang mit dem amerikanischen Unternehmen in die Öffentlichkeit gebracht worden ist. Als aufmerksamer Beobachter der Wirtschaftsmedien, allen voran der FAZ, konnte ich feststellen, dass in der Vergangenheit immer wieder darüber Klage geführt wurde, dass Firma Amazon sowohl was die wirtschaftlichen Daten, als auch die strategische Ausrichtung anbelangt, eisernes Schweigen und nur minimale öffentliche Information an den Tag gelegt hat. 

Dies hatte zur Folge, dass gemutmaßt wurde, es könne sich bei der Firma Amazon um ein Unternehmen handeln, das den Scientologen nahe steht. Doch Vermutungen sind eine denkbar schlechte Ausgangsposition um Missstände anzuprangern, sollten sie tatsächlich vorhanden sein. Hier helfen nur Fakten weiter und die sind nachgewiesermaßen durch die Verstrickungen des Unternehmens mit rechtsradikalen Firmen vorhanden, sowohl was ihre Sicherheitsbedürfnisse, als auch den Vertrieb von nationalsozialistischem Gedankengut und NPD-Propagandaschriften anbetrifft. 

Um die Interessen der Firma Amazon bezüglich ihrer aus Südeuropa angeheuerten Arbeitskräfte wirksam zu vertreten, hat das Unternehmen sich einer Firma namens H.E.S.S. bedient, einer wirtschaftlichen Unternehmung, die ihre Mitarbeiter aus dem rechten Milieu rekrutiert hat, es ist gar zu vermuten, dass es sich hierbei um eine Gruppe von Neonazis handelt, die eine Sicherheitsfirma gegründet haben. Mit diesem Metier kennen sich derartig Gesinnte besonders gut aus, wie die Geschichte beweist. Ihr Auftreten gegenüber den ausländischen Arbeitnehmern war dann auch dementsprechend. Rechtswidrige Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht und zutiefst diffamierender Umgang mit den verzweifelten Arbeitssuchenden aus Spanien und anderen südeuropäischen Ländern lässt nicht nur die Firma Amazon in denkbar schlechtem Licht erscheinen, sondern beschwört auch erneut die hässliche Fratze herauf, die wir Deutschen während des Naziregimes in diesen Ländern hinterlassen haben. 

Dies kann Amazon nicht gewollt haben. Wenn allerdings dahinter eine Strategie stehen sollte, vielleicht sogar eine beabsichtigte Nähe, dann wird es höchste Zeit, dass die Politik auf den Plan tritt und diesen Machenschaften Einhalt gebietet. Wie der Presse zu entnehmen ist, haben sich Politiker aller Parteien unisono diese Woche gegen den Vertrieb von NPD-Literatur und Propagandamaterial durch den Versender Amazon vehement ausgesprochen, gar mit Konsequenzen gedroht. 

Wie das amerikanische Unternehmen geführt wird, liegt in der Hand der Unternehmensleitung, solange alle Gesetze des Arbeits- und des Zivilrechts beachtet werden. Auch ist die Tatsache, dass sie Luxemburg als Basis ihrer steuerlichen Abrechnung gewählt hat und damit dem deutschen Fiskus hohe Steuereinnahmen verloren gehen, ihnen nicht anzukreiden, solange innerhalb der EU eine solche unterschiedliche Steuergesetzgebung vorhanden ist und die multinationalen Unternehmen sich die günstigste Position heraussuchen können. Hier muss schleunigst eine europäische Anpassung stattfinden, hier ist dringender Handlungsbedarf. 

In Sachen Nähe zu irgendwelchen neonazistischen Aktivitäten muss die Firma Amazon aber auf Herz und Nieren geprüft werden. Hier darf es keinerlei Kompromisse geben, es geht nicht an, dass Ethik und die Menschenrechte, aber auch unser Geschichtsbewusstsein auf dem Altar der Gier und des Profits geopfert werden. Und unser eh schon ramponiertes Ansehen in den südlichen Ländern muss nicht dadurch noch verschlechtert werden, dass Amazon mit fragwürdigen Praktiken über zwischengeschaltete Personalfirmen die arbeitssuchenden Menschen von Neonazis in heruntergekommenen Absteigen überwachen lässt und bei ihnen der Eindruck verstärkt wird, in Deutschland ist alles möglich, Hauptsache die Kasse klingelt. 

Kommen wir zu dem zweiten Ereignis, dessen Ausmaß bisher wohl erst im Ansatz zu erfassen ist. Los ging es in Großbritannien, als dort festgestellt wurde, dass in einer Tiefkühllasagne anstatt wie deklariert Rindfleisch, Pferdefleisch verarbeitet wurde. Das hat die britische Seele schwer getroffen. Dort werden Pferde geliebt, aber nicht aufgegessen. Der Sturm der Entrüstung war dementsprechend groß und schnell war das Übel ausgemacht, denn immer wenn es für die Engländer um unverständliche Essensrituale geht, müssen die Franzosen auf die Anklagebank. Tatsächlich hat eine französische Firma auch mitgemischt, wie erste Untersuchungen der europäischen Aufsichtsbehörden ergeben haben. Mittlerweile sind viele Länder und Firmen in Europa betroffen, bei uns Aldi Süd, Real, Tengelmann und einige andere mehr. Auch hat sich die Palette der Produkte erweitert, wie zum Beispiel Gulasch oder andere Tiefkühlkost. Der Betrug auf dem Lebensmittelsektor hat bisher enorme Ausmaße angenommen und es ist zu befürchten, dass dies nur die Spitze des Eisberges ist. Dabei spielt die Frage, ob Pferdefleisch ein „no go“ ist oder vielleicht eine Spezialität, wie in Köln, in Belgien oder in Frankreich überhaupt keine Rolle. 

Dies muss jeder Verbraucher für sich entscheiden, ihm es auf nicht deklarierte Weise unterzujubeln ist nicht nur Betrug sondern auch eine eklatante Verletzung der Persönlichkeit, wie die Briten zurecht betonen. Wenn man die Ermittlungen um diesen Pferdefleischskandal verfolgt hat, kommen doch berechtigte Zweifel, ob die Abläufe in der Lebensmittelindustrie in Zukunft noch in der bestehenden Art erlaubt sein dürfen. Man kommt nicht umhin von mafiaähnlichen Strukturen zu sprechen, wenn man sieht, über wie viele Länder und unterschiedliche Firmen die Produktion von solcher Tiefkühlkost zustande kommt. Zum Schluss blickt keiner mehr durch, Kontrollen gibt es dank der ständigen Verschiebungen überhaupt nicht mehr und die Verarbeitung kann ungehindert manipuliert werden. 

Wer hätte schon gedacht, dass mit Pferdefleisch, das nur ein Drittel von Rindfleisch kostet, solche enormen Gewinne sich machen lassen, Voraussetzung man kann es der Industrie unterschieben. Das ist Mafia pur und es würde mich nicht wundern, wenn auch staatliche Behörden die Finger mit im Spiel hätten. Hier gilt es die Strukturen aufzubrechen, ein solches Verwirrspiel muss per Gesetz auf der gesamten europäischen Bühne verboten werden, ein weiteres Feld auf dem einheitliche Standards durchgesetzt werden müssen. Zudem wird es Zeit, dass wir als Verbraucher anfangen umzudenken. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es gutes, schmackhaftes Essen nicht zum Billigtarif gibt. Das wird zwar nicht verhindern, dass geldgierige Kriminelle immer wieder versuchen werden, durch Betrügereien Millionen oder gar Milliarden zu scheffeln, doch bin ich überzeugt, mit einer strikteren europäischen Gesetzgebung und einer veränderten Mentalität, was den Wert unserer Lebensmittel anbetrifft, würden solche Skandale, die sich ständig wiederholen, weit weniger oft stattfinden. 

Die Hersteller selbst würden ihre Produkte kritischer unter die Lupe nehmen. Zudem würde der mörderische Wettbewerb in diesem Maße nicht mehr stattfinden, wenn die oberste Maxime nicht mehr auf Teufel komm raus der Preis der Lebensmittel wäre, sondern sein Geschmack und sein Wertgehalt. Wenn man weiß, wie vermeintlich hochwertige Lebensmittel hergestellt werden, die von den großen Lebensmittelketten vertrieben werden, ich nenne nur Lachs und Shrimps, dann wird klar warum die Pharmaindustrie solch prächtige Gewinne auf diesem Sektor macht. 

Wir sollten wie bei vielen Dingen unseres täglichen Lebens anfangen umzudenken, ja wir müssen es sogar um auf Dauer in dieser globalisierten Welt mit den enorm ansteigenden Bevölkerungszahlen überleben zu können. Ungebremstes Wachstum ohne jegliche Rücksicht auf die Natur, sinnloses Verpulvern der Ressourcen unseres Planeten wird sehr bald die Endlichkeit der Menschheit zeigen. 

Zum Schluss möchte ich noch einmal, wie in meiner letzten Kolumne auf das Buch des heute-journal Moderators, hervorragenden Journalisten und Kollegen Klaus Kleber und seiner Co-Autorin Cleo Paskal mit dem Titel „ Spielball Erde“ hinweisen. Selten habe ich ein Sachbuch gelesen, dessen Inhalt von so elementarer Bedeutung für die gesamte Menschheit ist, wie in dem hier vorgelegten Buch. Wenn man liest, wie die immer schneller fortschreitende Wasserknappheit das strategische Denken von Großmächten beeinflusst, auf der anderen Seite der menschenverursachte Klimawandel mit dem Abschmelzen der Polkappen einen Anstieg der Weltmeere mit unübersehbaren Folgen nach sich zieht, dann kommt man nicht umhin in aller Demut festzustellen, dass auf Dauer weniger mehr ist.

 Peter J. König

Samstagskolumne Peter J. König 09.02.2012

Rechthaberei liegt mir nicht, trotzdem darf ich auf Grund der aktuellen Entwicklung in der Causa Schavan auf eine meiner letzten Kolumnen hinweisen. Darin habe ich gemutmaßt, dass die Bundeskanzlerin Angela Merkel ein zweites Politspektakel wie bei Freiherr von Guttenberg nicht zulassen würde. Und genau so ist es gekommen, kaum waren beide Politikerinnen von ihren Auslandsmissionen wieder in Berlin und zu einem klärenden Gespräch zusammen gekommen, war Schavan als Bildungsministerin Vergangenheit. 

Aus Parteidisziplin und Loyalität zur Kanzlerin, ihrer engsten Verbündeten im Kabinett, hat sie ihren Rücktritt erklärt. Ihre Demission im Bundeskanzleramt nahm zum Teil skurrile, wenn nicht gar peinliche Züge an. Wenn man nicht gewusst hätte, dass es sich hier um den Rücktritt einer Ministerin gehandelt hätte, wäre schnell der Eindruck entstanden, Frau Schavan solle in ihr neues Ministeramt eingeführt werden, derart lobesschwangere Beteuerungen waren aus dem Mund der Kanzlerin zu vernehmen, allein ihr deprimierter Gesichtsausdruck wollte zu den überschwänglichen Belobigungen nicht passen. 

Natürlich hat Frau Merkel eine ihrer engsten Verbündeten im Kabinett, gar einer guten Freundin den Laufpass geben müssen, die machtstrategische Option zur Bundestagswahl ließ ihr keine andere Wahl, da Frau Schavan ein permanentes Angriffsziel der Opposition dargestellt hätte. Diese gab sich gelassen, ja irgendwie entspannt, als könne keinerlei Anfechtungen ihr irgendetwas anhaben, selbst die Entscheidung der Universität Düsseldorf nicht. Eher schien sie die zwiespältige Rolle der Kanzlerin zu genießen, soviel öffentliches Lob sollte ihre Laune beflügeln. Ihre persönliche Erklärung zum Rücktritt zeigt dann aber wie falsch sie ihre Rolle in dieser Affäre eingeschätzt hat, wenn sie ihre Klage als die der Bundesbildungsministerin gegen die Universität Düsseldorf sieht und jetzt einer Beschädigung des Amtes zuvor kommen will. 

Was hat das Ministerinnenamt mit ihrer Doktorarbeit zu tun? Diese hat sie als Privatperson geschrieben und entzogen bekommen und ihre Klage führt sie auch als Privatperson gegen die Universität. Es wäre ja noch absurder, wenn sie auf Grund ihres Amtes den Prozess dem Ministerium aufhalsen könnte. Vielleicht verschwimmen nach einer längeren Amtszeit im Bewusstsein solcher hohen Staatsdiener die einzelnen Ebenen etwas. Dann verwechselt man schon einmal Amtsperson mit Privatperson. Vielleicht ist Frau Schavan nicht klar geworden, dass ihre vermutlich getürkte Doktorarbeit überhaupt nichts mit dem Bundesbildungsministerium zu tun hat, schon gar nicht mit der Reputation, sondern es ist der eigenen Verantwortung geschuldet, bei solch einem Votum der Universität Düsseldorf, Aberkennung des Doktorgrades auf Grund massiver, vermeintlicher Täuschungshandlungen sofort zurückzutreten, weil eine Person dann in diesem Amt nichts mehr zu suchen hat. Dies gebietet der persönliche Anstand, ohne Wenn und Aber.

Ihre Aussage: erst das Land, dann die Partei und zuletzt die Person hört sich zwar sehr staatstragend an, ist hier aber völlig fehl am Platz. Hier gilt nur die eigene Person, die nach einer solchen Entscheidung wie in Düsseldorf, die einzig angemessene Konsequenz trägt: Rücktritt aus vermutlich eigenem Fehlverhalten, nur das kann die Devise sein. Wenigstens hat Schavan der Kanzlerin durch den eigenen Rücktritt den Rauswurf erspart, dann erst hätte ich Merkels Gesicht sehen mögen. So bleibt die Freundschaft der beiden Politdamen weiterhin intakt, die langjährige Seilschaft hat ihre schwerste Belastungsprobe bestanden. 


Auch diese Woche müssen wir uns wieder mit Tunesien befassen, dem Land, wo vor etwa zwei Jahren die Arabellion begann, als ein einfacher junger Straßenhändler von der Polizei erschossen worden ist und binnen Tagen sich das Land gegen den Diktator Ben Ali erhoben hat, um ihn und seine korrupte Regierung außer Landes zu treiben, nicht ohne dass die Frau des Diktators mit einem Flugzeug voller Gold aus der tunesischen Staatsbank nach Dubai flüchtete. Die ersten freien Wahlen wurden zu Gunsten der Islamisten entschieden, einem Bündnis streng orthodoxer und weniger streng gläubiger Islamanhänger. Die Opposition wird von aufgeklärten, liberalen, westlich orientierten Bevölkerungsteilen gestellt, ebenso von Gewerkschaftlern. Schon nach den Wahlen ist es immer wieder zu Unruhen gekommen, zu unterschiedlich war die Vorstellung der beiden Lager, in welche Richtung sich das Land entwickeln sollte, islamistischer Gottesstaat oder zu einer Demokratie nach dem Vorbild der Franzosen. 

In der vergangenen Woche wurde dann der charismatische Oppositionsführer und einer der beliebtesten Politiker des Landes auf offener Straße erschossen. Die Opposition sieht darin ein Komplott der amtierenden Islamisten, der Versuch massiv unterdrückt zu werden. Tunesien bebt seit dieser Zeit, es folgte ein Generalstreik. Die Beerdigung des Oppositionspolitikers wurde zu einer Massendemonstration mit massiven Ausschreitungen und Kämpfen gegen die Polizei. Am nächsten Tag haben die Regierungsanhänger ihre Massen mobilisiert und niemand konnte voraussagen, ob es jetzt schon zu bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen kommen würde. Fakt ist, dass die Situation hochexplosiv aufgeheizt ist und keiner weiß wann sich die Aggressionen entladen. 

Der amtierende Präsident, ein gemäßigter Moslem, versucht durch eine Kabinettsumbildung die Opposition zu beruhigen, er will seine islamistischen Minister durch fachkundige Spezialisten ersetzen, zumal die Glaubensbrüder in der Regierung kein einziges Problem des Landes gelöst haben, im Gegenteil, die wirtschaftliche Lage hat sich seit der Revolution massiv verschlechtert. Hier sind die gleichen Probleme wie in Ägypten sichtbar, beide islamistischen Regierungen sind nicht in der Lage, volkswirtschaftliche Probleme zu lösen, beiden Regierungen geht es in erster Linie nur um die Macht. Dabei halten die Völker nicht mehr still, zu groß ist ihre wirtschaftliche Not. In Tunesien wird der Versuch der Deeskalation durch den Ministerpräsidenten mit aller Wahrscheinlichkeit scheitern, seine Partei lehnt ein solches Vorgehen ab. Darauf hat er für diesen Fall seinen Rücktritt angekündigt, damit wäre das Chaos perfekt, zumal er auch noch Neuwahlen für den Sommer versprochen hatte, die seine islamistische Partei per se ablehnt. Es ist nicht zu leugnen, Tunesien steuert auf einen Bürgerkrieg zu, es wird spannend sein zu beobachten, wie Frankreich sich in diesem Fall verhält, da es doch traditionell besonders viele Beziehungen zwischen Frankreich und Tunesien gibt, auf allen Ebenen, besonders aber im wirtschaftlichen Bereich. 

Nicht nur den Franzosen sondern allen Europäern kann es nicht egal sein, was in den Ländern im Maghreb passiert, es sind unsere Nachbarn an der südlichen Seite unseres Kontinents, jede politische Veränderung und ganz besonders, wenn sie in Unruhen oder gar Bürgerkriege ausarten, treffen uns Europäer unmittelbar. Da die Amerikaner dabei sind ihr Hauptaugenmerk von dieser Region in den Pazifischen Raum zu verlagern, wird erwartet, dass Europa hier weitaus mehr Verantwortung übernimmt, als in der Vergangenheit. Dies ist mit bedeutenden Schwierigkeiten verbunden, denn schon aus der Geschichte ist in den arabischen und nordafrikanischen Ländern eine große Skepsis gegenüber den Ländern in Europa erwachsen. Diese gilt es mühsam abzubauen, bevor man neue Partnerschaften zwischen der Region und Europa aufbaut, unendlich schwierig, da nicht feststeht, wohin sich diese Länder entwickeln werden. 

Ich möchte das an einem kleinen Beispiel verdeutlichen: Nachdem die deutschen Patriot-Abwehrraketen in einem türkischen Hafen ausgeladen worden sind, sie sollen als Nato-Beistand an der türkisch-syrischen Grenze stationiert werden, gab es massive Proteste seitens einiger politischen Gruppen gegen die Stationierung, einige deutsche Soldaten wurden sogar in einem Supermarkt angegriffen, obwohl sie von der türkischen Regierung als Hilfe erbeten worden sind. Heute liefern wir Waffen an die Potentaten am Persischen Golf, mit denen sie jeden Widerstand im eigenen Land ersticken. Aber was werden die Regierungen in diesen Ländern einst dazu sagen, wenn sie ihre Könige, Scheichs und Emire in die Wüste geschickt haben. Alles vermintes Gelände, politisch gesehen und doch muss seitens Europas jegliches unternommen werden, um unseren Einfluss in der Region zu verbessern. Es wird noch viel Zeit und Geduld erfordern hier brauchbare Lösungen für eine gefestigte arabisch-europäische Kooperation zu schaffen.

Vergessen wir nicht, wir sind nicht die Einzigen, die um die Gunst dieser Menschen buhlen. Wenn sie in dem neuesten Buch von Klaus Kleber, dem Moderator des heute-journals gelesen haben, wie die Chinesen überall auf der Welt mit aller Energie und sehr viel Geld versuchen diplomatisch und wirtschaftlich Fuß zu fassen, wenn man erlebt, wie Russland machtstrategisch sich erneut auf der Weltbühne ganz vorne versucht zu etablieren, dann haben wir überhaupt keine Zeit mehr unsere Interessen nicht klar zu definieren und sie partnerschaftlich und weitsichtig mit den Ländern rund um das Mittelmeer und den Persischen Golf zu verhandeln. Europa darf sich nicht mehr nur mit sich selbst befassen, es muss jetzt weltpolitisch erwachsen werden, mit einer gemeinsamen Außenpolitik, die nur dann von den anderen Großmächten akzeptiert wird.

 Peter J. König

Samstagskolumne Peter J. König 02.02.2013

Aus dringlichem Anlass ist es geboten, sich mit den Krisenherden im Nahen Osten und im nördlichen Afrika zu befassen. Vom Iran über Syrien, dem Libanon nach Ägypten zu den Ländern des nördlichen Afrikas, wie Tunesien und Libyen, die zwar ihre Diktatoren losgeworden sind, aber es bisher nicht geschafft haben, eine tragfähige Demokratie oder etwas Ähnliches im Ansatz zu schaffen. Schlusslicht in dieser Aufzählung bildet der Wüstenstaat Mali, am westlichen Rand der Sahara, mit der sagenumwobenen Stadt Timbuktu, Ausgangspunkt der großen Karawanentrecks, mit denen der Stamm der Tuareg den Transport von allen möglichen Handelsgütern auf dem Rücken von Kamelen jahrhundertelang durch die Sahara organisiert hat.

Hier war es islamistischen Kampfgruppen, die aus anderen afrikanischen Ländern und auch aus Afghanistan kamen, mit Hilfe von Al- Kaida gelungen, mehr als die Hälfte des Staates Mali in ihre Gewalt zu bringen, auch die an so reichen Kulturschätzen ausgestattete Stadt Timbuktu, immerhin ein von der UNESCO anerkanntes Weltkulturerbe. Mit den Moscheen und der einzigartigen Bibliothek dieser Stadt haben diese Steinzeitterroristen kurzen Prozess gemacht. Alles wurde zerstört, unwiederbringliche Kulturschätze wurden für immer vernichtet. Schon in Afghanistan hat man auf die gleiche Weise versucht, den Menschen ihr kulturelles Erbe zu entreißen, um sie auf einen fanatischen Islamismus einzuschwören. Die Mittel, die dazu eingesetzt wurden, erinnern an die schlimmste Zeit der Sklavenherrschaft. Unterdrückung, körperliche Züchtigung bis hin zu Folter und Steinigung bei Todesfolge waren die gängigen Mittel, um die Bevölkerung gefügig zu machen, sowohl in Afghanistan, wie jetzt auch in Mali. 

Die beherzte Entscheidung des französischen Präsidenten Hollande, der Regierung in Mali, die nicht mehr in der Lage war den Vormarsch dieser Terroristen zu stoppen, mit französischen Truppen zur Hilfe zu kommen, um die nordöstlichen Landesteile zu befreien, um die Souveränität des Landes wieder herzustellen, war ein Akt, der keinen Aufschub mehr duldete. Wenige Wochen später wäre Mali in die Hände der Besatzer gefallen, Al-Kaida hätte eine neue Basisregion erobert, das Land hätte afghanische Verhältnisse erlebt, bis hin zu einem totalen staatlichen Zerfall. Für Europa hätte dies unübersehbare Folgen gehabt, terroristische Ausbildungslager nur wenige Stunden von der Südflanke des Kontinents, Gefährdung der afrikanischen Nachbarstaaten, deren staatliche Existenz auch nicht auf besonders gefestigten Sockel steht.

 Zwar konnten die Franzosen die besetzten Provinzen zügig befreien, doch das Bild ist trügerisch. Mitnichten sind diese islamistischen Kampftruppen besiegt worden, sie haben sich in die Weiten der Wüste zurückgezogen, ähnlich wie in Afghanistan und es ist zu befürchten, dass sie jetzt mit ähnlichen Guerillataktiken versuchen, das Land weiterhin zu destabilisieren. Bombenterror und Überfälle aus dem Hinterhalt, Selbstmordattentate und Sprengfallen sind die einschlägigen Mittel, gegen die man schwerlich etwas unternehmen kann, wie die Bundeswehr am Hindukusch schmerzlich erfahren musste. Bleibt festzuhalten, die Bilder der Befreiung eignen sich hervorragend für Hollandes PR, sein Mut zum Eingreifen zeigt Führungsstärke, doch dieser Krisenherd ist noch lange nicht überwunden.

Auf dem Weg nach Syrien, dem wohl momentan gefährlichsten und problematischsten Fall der internationalen Krisenbewältigung muss neben Tunesien und Libyen, beides Länder in denen die Arabellion quasi zum Stillstand gekommen ist, Ägypten näher betrachtet werden. Kenner der politischen Verhältnisse des Landes stellen fest, dass Ägypten sich in einem Zustand befindet, der bei weitem schlimmer ist, als zu Mubaraks Zeiten. Die Moslembrüder versuchen mit aller Macht einen autoritären Staat zu erzwingen, da sie jetzt nach den laufenden Unruhen in den großen Städten, wie Kairo, Alexandria und Port Said mit Hilfe weitreichenderer Befugnisse des Militärs die Demonstranten einzuschüchtern und zu unterdrücken versuchen. Es sind schon lange nicht mehr nur die jungen, gut ausgebildeten Bevölkerungsschichten, die gegen die Herrschaft der Moslembrüder aufbegehren. Zwar hat Mursi, der Präsident in der letzten Woche in Berlin erklärt, Ägypten befinde sich auf dem Weg eine stabile Demokratie zu werden, doch jeder objektive Bericht aus seinem Land straft ihn Lügen. 

Die Frauen fühlen sich um die Revolution betrogen, ihre Rechte werden weit mehr beschnitten, als unter Mubarak. Hinzu kommt, dass die wirtschaftliche Lage katastrophale Züge angenommen hat. Dies trifft besonders die kleinen Leute, Handwerker und die vielen Angestellten, die einst ihr Brot im Tourismus verdient haben. Seit der Revolution liegt die einst finanzkräftigste Branche des Landes am Boden, ohne Aussicht auf baldige Verbesserung. Dies war unter der Diktatur Mubaraks ganz anders. Der Tourismus boomte, entsprechend waren Arbeitskräfte gesucht. Die Händler konnten gute Geschäfte betreiben, da war die Politik der Militärs sekundär. Jetzt hat sich die Situation völlig geändert. Die einfachen Menschen sind arbeitslos, es treibt sie auf die Straße, um für bessere Bedingungen zu kämpfen. Zudem haben sie den Moslembrüdern vertraut und sie bei den ersten freien Wahlen nach der Revolution gewählt und in die Regierung gehoben. Als gläubige Moslem war für sie klar, diese Glaubensbrüder würden ihnen zu besseren Bedingungen verhelfen. Jetzt der Absturz ohne Aussicht auf Besserung, da entwickelt sich aggressives Potential, das sich auf der Straße entlädt.

Die geistigen Eliten fühlen sich ebenfalls um ihre Revolution betrogen, sie haben auf einen demokratischen Wandel gesetzt und nun sollen sie sich der Scharia, dem islamischen Gesetz unterwerfen. Dies werden sie nicht hinnehmen, eher sind sie bereit eine weitere Revolution zu unternehmen, diesmal gegen die Herrschaft der Moslembrüder, viele Menschen aus dem einfachen Volk werden ihnen folgen. Für Ägypten könnte dies zu einer Zerreißprobe bis hin zu einem Bürgerkrieg werden. Am Ende würde das Militär die Macht übernehmen, das Land wäre nach zwei Revolutionen wieder dort, wo es jahrzehntelang schon einmal war, nur unter weitaus schlechteren wirtschaftlichen Bedingungen. Auf der Sicherheitskonferenz in der vergangenen Woche in München, die bedeutendste Veranstaltung ihrer Art weltweit, denn hier trifft sich alles, was irgendwie mit Krisenbewältigung oder aber nur mit diplomatischen Auftritten zu tun hat, stand als wichtigster Punkt der Konflikt in Syrien auf der Agenda. 

Nach über sechzigtausend Toten, einem sich ausweitenden Bürgerkrieg, der mit den brutalsten Mitteln geführt wird, bei dem jetzt auch noch Arsenale mit chemischen Waffen eine Rolle spielen, stehen die Großmächte, aber auch die Staaten der Region scheinbar vor einem unlösbaren Problem, besser gesagt vor vielen unlösbaren Problemen. Doch die vielleicht beste Nachricht zuerst: In München hat es zum ersten Mal ein direktes Gespräch zwischen der syrischen Opposition und dem russischen Außenminister gegeben. Man hat sich verständigt, dass weiter Gespräche folgen sollen. Russland, der mächtige Verbündete von Assad, der sein Überleben bisher garantiert hat, war zu solchen Gesprächen in der Vergangenheit nicht bereit. Ob dies jedoch ein Strategiewechsel der russischen Politik zur Folge haben wird, ist doch mehr als zweifelhaft, zu sehr sind geostrategische Ziele mit im Spiel, die russische Marine betreibt einen großen Stützpunkt in Syrien. Sowohl Iran als auch Saudi-Arabien versuchen eine Vormachtstellung in der Region zu erreichen, beides Staaten die militärisch permanent aufrüsten. Beide Staaten sind nicht unbedingt von Demokratie geprägt. Iran hat großes Interesse das saudische Königshaus vom Thron zu fegen, sie unterstützen massiv jegliche Organisationen, die aus Saudi-Arabien einen Gottesstaat machen wollen, bis hin zu Al-Kaida. Deren Kämpfer sind schon lange in Syrien eingesickert, sie bilden eine eigene Bürgerkriegsfront, mit dem Ziel nach Assad das Land auf ihre Weise zu destabilisieren.

Zu allem Überfluss kommen jetzt auch noch die chemischen Waffen ins Spiel. Israel hat in der vergangenen Woche mehrere Angriffe auf Ziele in Syrien geflogen. Ziel war es unmissverständlich zu zeigen, dass mit den chemischen Massenvernichtungswaffen eine rote Linie überschritten ist. Israel befürchtet, diese Chemiewaffen könnten in die Hände der Hisbollah gelangen, der Terrororganisation im Gazastreifen und im Libanon, ein unkalkulierbares Risiko für den Staat Israel. Die Juden werden diese Bedrohung genau so wenig hinnehmen, wie die Fertigstellung der Atombombe im Iran in wenigen Monaten. Zwar hat der russische Außenminister in München erklärt, man habe gesicherte Erkenntnisse, die C-Waffen seien unter Kontrolle von syrischen Spezialeinheiten und ein Einsatz käme nicht in Frage, doch wer will sich darauf verlassen, bei dem fortlaufenden Verfall des Landes. Sollten Terrorgruppen in den Besitz solcher Massenvernichtungswaffen kommen, wäre eine weltweite Bedrohung die Folge. Kein Staat auf der Welt könnte sicher sein, nicht in das Visier von Terroristen zu geraten, die diese Waffen auch zur Anwendung bringen. 

Schon seit Jahren wird mit diesem worth-case Scenario planspieltechnisch umgegangen. Nun gilt es für die Vereinigten Staaten und Russland eine Möglichkeit zu finden diese Massenvernichtungswaffen aus Syrien fortzuschaffen, denn auch sie würden im Falle, dass diese chemischen Waffen Terroristen in die Hände fallen ganz oben auf der Liste der bedrohten Länder stehen. Wie man den Aussagen der verschiedenen Konferenzteilnehmer entnehmen konnte, herrscht bei allen Beteiligten große Sorge und eine gewisse Ratlosigkeit. Alle wissen, die Uhr tickt, das Risiko wird von Tag zu Tag größer. Die Amerikaner würden Assad lieber heute als morgen loswerden, die Russen glauben, dadurch würde ein unkalkulierbares Machtvakuum entstehen, die syrische Armee würde bisher den Zerfall des Staates verhindern, denn der Vielvölkerstaat würde sofort sich in seine Einzelteile auflösen. Alle liegen auf der Lauer und sind bereit für ihre Interessen militärisch einzugreifen. Dies macht den Konflikt so gefährlich. Das Allerletzte was sich der Nahe Osten leisten kann ist eine kriegerische Auseinandersetzung, zumal ein Flächenbrand die Folge sein würde und seine Ausdehnung von keiner Macht der Erde mit Garantie verhindert werden könnte. 

 Peter J. König