Samstagskolumne Peter J. König 24.11.2012

Führt die Waffenruhe zwischen Israel und der palästinensischen Terrorgruppe Hamas zu einer friedlichen Lösung des Palästina-Konflikts oder dient sie allein dazu, um neu auf zu munitionieren, in Hinblick auf Hamas und um Ägypten eine noch wichtiger Rolle in der Region einzuräumen?

Die gute Nachricht vorweg, seit einigen Tagen, genauer gesagt, seit Mittwochabend ist es zu einer Waffenruhe zwischen Israel und dem militanten Arm der Hamas gekommen, die bisher auch ziemlich strikt eingehalten wurde. Interessant ist dabei, dass die notwendigen Verhandlungen nicht zwischen den beiden waffenführenden Parteien zustande kamen, sondern es waren die USA und Ägypten, die stellvertretend verhandelten, damit der tödliche Beschuss endlich eingestellt wird. Dies wirft natürlich eine Menge Fragen auf, die beantwortet werden müssen, um die aktuelle Situation zu verstehen, aber auch um zu verdeutlichen, welche Konsequenzen daraus erwachsen.

Fakt ist, dass Israel unmittelbar vor einer Bodenoffensive auf den Gazastreifen stand, mit verheerenden außenpolitischen Folgen in den unmittelbaren Nachbarländern, wie Ägypten, Jordanien, den Golfstaaten, aber auch Russland, China, ja sogar Indien und weiteren Staaten in Fernost. Zudem wäre es innenpolitisch für Netanjahu ein riskantes Unterfangen geworden, das er nur als "ultima ratio" unternommen hätte, denn die Meinung der israelischen Bevölkerung ist in dieser militärischen Aktion durchaus gespalten und Netanjahu will demnächst wiedergewählt werden. Um sein Ziel zu erreichen, muss er aber beiden Interessenslagern genügend Argumentationen liefern, ein schwieriges Unterfangen. Da kamen ihm die Amerikaner mit ihren höchsten Repräsentanten, denn nicht nur Hillary Clinton, die Außenministerin, sondern Barack Obama selbst schalteten sich in die Verhandlungen mit ein, gerade recht.

Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas sind offiziell nicht möglich, eine politische Aufwertung dieser Terrorgruppe kann für Israel nicht in Frage kommen, es würde ihre gesamte Gaza-Politik der Vergangenheit in Frage stellen und zunichte machen. Außerdem würden die militanten, aggressiven Kräfte im Gaza gestärkt, was nicht im Sinne von Israel sein kann und auch nicht eine Friedenslösung näher bringen würde. Also musste Ägypten ins Spiel gebracht werden. Die Palästinenser sind massiv auf die ägyptische Unterstützung angewiesen, zumal auch viele Güter und Waffen über diese Schiene in den Gazastreifen transportiert werden, auch die Raketen, die nach Israel abgefeuert werden. Ohne Ägypten geht in diesem Konflikt überhaupt nichts. Deshalb auch die Frage, wie würde sich dieses Ägypten positionieren, nachdem die Moslembruderschaft die Macht im Land übernommen hat?

Letztendlich aber sind alle Machthaber in Ägypten von der entscheidenden Militärhilfe der USA, sowohl an Geld und Waffen abhängig, wollen sie eine einflussreiche Position im Nahen Osten einnehmen. Die Anzahl der Bevölkerung, gepaart mit dem amerikanischen Engagement lassen sie zur der Macht werden, die sowohl in Arabien, aber auch weit bis nach Afrika hinein, entscheidend mitbestimmt. Neben der Möglichkeit sich weiterhin üppige Unterstützung seitens der Amerikaner zu sichern, ergab sich hier für Mursi, dem neuen ägyptischen Präsident, eine wunderbare Gelegenheit auf großer außenpolitischer Bühne sich zu präsentieren, denn bisher wusste keiner, wie die Moslembruderschaft einzuschätzen ist, speziell in Hinblick auf Israel. 

Insofern ist die Waffenruhe, die ja auch in Kairo verkündet wurde, durchaus ein Erfolg, der nicht unwesentlich mit Hilfe des ägyptischen Präsidenten zustande gekommen ist. Dies wird die amerikanische Administration zum Nachdenken gebracht haben, ob Ägypten zukünftig nicht eine noch dominantere Rolle in der Region spielen soll. Die USA werden peu a peu ihre Präsenz im Nahen Osten verringern, ohne natürlich ihren Einfluss zu verlieren. Zudem muss gewährleistet sein, dass ein friedliches Nebeneinander der beiden Nachbarstaaten Israel und Ägypten weiterhin von Dauer und insgesamt die Sicherheit Israels gewährleistet ist. Hier könnte Ägypten eine wichtige Rolle einnehmen. Obama verlagert seine Aktivitäten in verstärktem Maße nach Südostasien, nicht zuletzt aus dem Grund, will er das Land energietechnisch weitgehend autark haben.

Die enormen Anstrengungen zur Förderung von Erdgas und Öl in heimischen Gefilden sind ein Beweis dazu, eine neueste Studie spricht von der Ölversorgung, allein aus eigenen Ölreserven innerhalb der nächsten zehn Jahre. Zwangsläufig nimmt dadurch die Präsenz in den arabischen Staaten ab, trotzdem muss eine starke Vertretungsmacht her. Während die USA die chinesische Herausforderung im Pazifik angenommen hat, sie wollen China nicht mehr alleine das Feld um den Einfluss der aufstrebenden Länder im Fernen Osten überlassen, suchen sie massiv nach verlässlichen Partnern die ihre Interessen im Nahen Osten vertreten können. Hier ist neben der Türkei Ägypten der nächste Ansprechpartner. 

Ob dieses alles aber so funktioniert, wird schon wieder in Zweifel gestellt, denn unmittelbar nach dem außenpolitischen Erfolg hat Mursi durch ein Sonderdekret am Donnerstag verfassungsmäßige Rechte von Gerichten und Verfassungsorganen außer Kraft gesetzt, um alle Macht auf sich zu vereinen. Die ägyptische Bevölkerung sieht daran ihre Revolution akut gefährdet und antwortet mit großen Protestaktionen, die wiederum mit starken Polizeikräften niedergeschlagen werden. Die aktuellen Vorgänge, von denen man noch nicht weiß, was sich daraus entwickeln wird, sehen die Amerikaner mit großer Sorge und Nachdenklichkeit, zumal manche sachkundigen Beobachter auch die Hinwendung zu einem islamischen Gottesstaat, a la Iran befürchten. Mehr denn je wäre jetzt die Rolle eines starken Europas gefragt.

Hier sollen nach Meinung der amerikanischen Strategen die Europäer in Zukunft mehr Verantwortung übernehmen und mit einer assoziierten Türkei habe man auch die besten Zugänge und Einflüsse in diese Region, so die Vorstellung der USA. Grundsätzlich ist diese Idee positiv zu bewerten, denn Europa hätte dann endlich wieder das Gewicht, das notwendig ist, um bei veränderter geostrategischer Lage, entscheidend mitzureden, den wirtschaftlichen Einfluss zumindest beizubehalten, um so sicher in die Zukunft zu gehen. Aber alle Theorie ist grau, die Wirklichkeit sieht anders aus. 

Europa scheint zerstrittener denn je, die großen Medien in unserem Land sprechen gar von einer Welle der Renationalisierung, was immer man sich auch darunter vorstellen mag. Wie immer geht es mal wieder ums Geld, diesmal um den europäischen Haushalt, über den sich die Regierungschefs am Freitag in Brüssel nicht einigen konnten. Hinter all dem Gezerre um Zuteilungsquoten steht aber in erster Linie die entscheidende Frage, wie viel Macht sollen die einzelnen Staaten an die EU abgeben und grundsätzlich, wie soll ein zukünftiges Europa aussehen? Wie immer pocht Großbritannien auf eine Sonderrolle, dieses grundsätzlich, zudem will Cameron, der britische Premier wiedergewählt werden und da kommt eine starke Oppositionsrolle gegenüber Brüssel in England immer gut an. Wenn er über einen Austritt aus der EU nachdenkt, dann ist das nur als ein untauglicher Erpressungsversuch zu werten, ebenso wie die Vorstellung der katalanischen Regionalregierung, die im Falle eines heutigen Wahlsieges, sich von Spanien abtrennen will, um einen eigenen Staat zu gründen. Brüssel hat ihnen aber schon mitgeteilt, dass sie in diesem Fall der EU nicht mehr angehören werden, auch nicht mehr der Währungsunion, es gibt also kein Bier mehr in Barcelona für den Euro. 

Meines Erachtens ist beides reiner Populismus, so kommen wir in Europa bestimmt nicht weiter. Im Falle Großbritanniens wäre ein Abspalten von Europa der pure wirtschaftliche Selbstmord, denn sie würden damit auch ihre letzten beiden lebenswichtigen Einnahmequellen verlieren. Der finanzpolitische Einfluss der Londoner City würde dramatisch verloren gehen, zumal sich diese Aktivitäten schon jetzt nach Singapur und Australien verlagern. Zudem würden die Milliardäre dieser Welt sich sehr wohl überlegen, ob Großbritannien auch zukünftig der Ort ist, wo sie sicher und gewinnbringend ihre Vermögen anlegen können, denn wegen “Harrods“ alleine kommen die Potentaten aus allen Kontinenten bestimmt nicht nach London, um die Immobilienpreise ins Astronomische zu treiben.

 Zurück zum Ausgangspunkt, zurück nach Palästina. Die Menschen, sowohl in Israel, als auch im Gazastreifen können erst einmal aufatmen, allmählich kommt wieder so etwas wie Normalität in ihr Leben zurück. Die Menschen beiderseits des Grenzzaunes können wieder ohne direkte Bedrohung auf die Straßen gehen und sich um ihre Alltäglichkeiten kümmern. Dennoch ist die Skepsis riesig, da die Waffenruhe ein sehr fragiles Gebilde ist und es keinerlei Garantien gibt. Deshalb wäre es so wichtig eine tragfähige, friedliche Lösung für den Nahen Osten zu schaffen, zumindest für den israelisch-palästinensischen Konflikt. Hinsichtlich der Lage in der gesamten arabischen Hemisphäre bin ich sehr pessimistisch, zu viele Unwägbarkeiten haben sich in den letzten Monaten dort aufgetan. 

Wenn eine Weltmacht wie die USA ihre geopolitischen Strategien verändert, so geht dieses nicht ohne größere Umwälzungen vonstatten, zumal die Amerikaner ihre eigentliche Herausforderung in Südost-Asien sehen und entsprechend reagieren. Ich darf noch einmal auf Henry Kissinger, den ehemaligen amerikanischen Außenminister und einer der wohl erfahrensten und informiertesten Politiker unserer Zeit zurückkommen, der in der Wahlnacht der Präsidentenwahl, auf die Zukunft angesprochen, sagte: Amerika kann nicht mehr alleine alle Konflikte in der Welt lösen, zukünftig sind auch andere Partner gefragt. In dieser Aussage liegt nicht nur die Prognose der Veränderung sondern auch das Angebot an möglichst viele Staaten bei der Suche nach einvernehmlichen Lösungen sich zu beteiligen. 

 Peter J. König

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen