Samstagskolumne Peter J. König 30.06.2012

Nach dem Ende des Fußballmärchens muss auch das Ende aller Politmärchen folgen.


Seit letztem Donnerstag liegt eine merkwürdige Depression über Deutschland.  Die Menschen versuchen erst einmal die Enttäuschung zu verarbeiten, die sie durch das verlorene Halbfinalspiel gegen die Italiener hinnehmen mussten. Es ist kein wütender Aufschrei, denn immerhin haben die Medien, aber auch die Fußballprominenz vorab den Eindruck vermittelt, dieses Mal sind die Deutschen reif für den Titel. Man sprach sogar von der besten deutschen Mannschaft aller Zeiten. Dies mag ja sein, aber diese Supertruppe, von der man im Endspiel der Europameisterschaft jetzt gewiss einen Sieg gegen die ebenfalls stark aufspielenden Spanier erwartet hat, ist für die meisten Experten an den Stammtischen völlig unerwartet an den vermeintlichen Altherrenfußballern  aus Italien gescheitert. Dabei haben die Italiener in der Vorrunde  schon gezeigt, dass der Destruktionsfußball der früheren Jahre vorbei ist, heute ist Stürmen angesagt.

Vielleicht wähnten sich unsere jungen Helden auch schon in Kiew,  gedanklich, sodass man das Italienspiel bereits abgehakt hatte. Wenn es so gewesen sein sollte, hat man die Weisheiten des alten Sepp Herberger missachtet. Der Meistertrainer von der WM 1954 wusste nämlich seinen Spielern immer einzuschärfen, nur von Spiel zu Spiel zu denken, anstatt sich über den übernächsten Gegner schon den Kopf zu zerbrechen. Dabei hätte alles so schön sein können. Jetzt laufen sie alle mit Trauermine herum, ungläubig staunend, dass sie am morgigen Sonntagabend keine schwarz-rot-goldene Party beim Public-viewing veranstalten können.  

Außerdem muss der ach so beliebte  Autocorso durch die nächtlichen Städte und Gemeinden ausfallen, äußerst bedauerlich, weil man dabei sich endlich so wunderbar selbst inszenieren kann. Bei diesen Hupkonzerten ist man endlich aktiv im Geschehen  und braucht sich nicht nur auf die kleine Statistenrolle des Zuschauenden, weit weg von den agierenden Stars,  zu beschränken. Zudem kann man so richtig des Nachts die Sau rauslassen, den Verkehr blockieren und einmal für kurze Zeit den bad-boy oder das bad-girl geben, und dieses ganz ungestraft in der Öffentlichkeit.

Ein Hauch von Anarchie weht dann durch die Straßen, fast wie bei den 1968iger Studentenunruhen, nur mit dem Unterschied, dass die Polizei keine Gummiknüppel schwingt,  sondern sie jetzt ebenso mit schwarz-rot-goldenen Fähnchen antwortet und gar nichts Böses im Sinn hat.  Anarchie einmal anders, laut aber friedlich. Dieses alles soll jetzt nicht mehr sein, man mag es noch gar nicht  glauben. Es war doch fest eingeplant. So mancher wird sich kurz entschlossen zum Ballermann nach Mallorca aufmachen, zumal die Ferienzeit begonnen hat. Dort ist ja jede Nacht Siegesrausch angesagt, mit der Garantie einer erfolgreichen Verlängerung am nächsten Abend.

Wir Daheimgebliebenen dürfen uns trösten, dass durch die Ferienzeit auch erst einmal die Unmenge an politischen Talkshows für einige Wochen uns in Ruhe lassen wird.  Wir dürfen selbst analysieren, uns selbst ein Bild über die Ernsthaftigkeit der Lage machen. Vieleicht besser nicht,  sondern abschalten, untertauchen und hoffen, dass nach dem Sommerurlaub ein Wunder geschieht  und alle Patentrezepte unserer Politiker gegriffen haben.

Wenn wir nach dieser Methode handeln, wird es uns so gehen wie den oben angesprochenen Fußballfreunden.  Mit hängenden Köpfen werden wir feststellen, dass wir verloren haben. Doch dieses Mal geht es nicht um ein Spiel, nein dieses Mal ist es bitterer Ernst.

Was könnte passiert sein?

Die Regierungschefs der Eurozone haben sich auf die Einführung von   Eurobonds geeinigt. Frau Merkel hat zähneknirschend zugestimmt. Zumindest konnte sie die Schuldenbremse in allen Ländern der Währungsunion durchsetzen. Allerdings mangelt es noch an den Instrumentarien, mit denen die säumigen Länder zur Einhaltung der Schuldengrenzen in die Pflicht genommen werden können. Deshalb ist die Gemeinschaft  der Staatsschulden aller Euromitgliedsstaaten eine sehr haarige Angelegenheit, solange solche Durchsgriffsmöglichkeiten nicht bestehen. Einzelnen  Ländern könnte der Wille für notwendige Reformen abhandenkommen. Dies schwächt zwar ihre wirtschaftliche Position, aber die Gemeinschaft sorgt dafür, dass nichts anbrennen kann. Dieses Beispiel könnte dann Schule machen, eine fatale Entwicklung für das gesamte System. Wenn ich früher von der Chancengleichheit  der einzelnen Länder in einem zukünftigen europäischen Staat gesprochen habe, dann war genau dieser Zustand nicht gemeint. 

 Ein solches sorgloses Rundumpaket hat mit verantwortungsvoller Chancengleichheit überhaupt nichts mehr zu tun. Genau das Gegenteil ist dann   der Fall. Weil die Verantwortlichkeiten nicht richtig ausbalanciert sind, die wirtschaftlichen Kräfte  der einzelnen Mitglieder nicht optimal entwickelt werden, kann es schnell zu gravierenden Schieflagen kommen, im schlimmsten Fall sogar zum Zusammenbruch der Gemeinschaft. Anstatt eines starken gemeinsamen Kontinents werden wir dahinsiechende Einzelwirtschaften haben, die kaum die Bevölkerungen vernünftig ernähren können. Dann ist die Gefahr der Anarchie auch nicht mehr weit, auf die in der Regel eine Diktatur folgt, egal ob von rechts oder von links. Diese Entwicklung können wir jedoch alle nicht wollen.

Deshalb Augen auf beim Politverkehr. Den Kopf in den Sand zu stecken in den schönsten Wochen des Jahres ist der völlig  falsche Weg generell, und speziell zu diesen Zeiten, wo so wichtige Entscheidungen anstehen, geht  so etwas erst recht nicht. Wir müssen genau hinhören, was uns die hohe Politik verkaufen will. Jetzt sollen die Weichen gestellt werden für unserer aller Zukunft.  Es ist Zeit für eine neue Verfassung, d. h.  für eine Verfassung überhaupt,  denn bis jetzt hat  ja noch anstatt dieser das Grundgesetz Gültigkeit, obwohl darin klar festgelegt wurde, dass unmittelbar nach der Wiedervereinigung den Deutschen eine Verfassung gegeben werden soll,  von allen Bürgern durch eine demokratische Wahl bestätigt.

 Die Wiedervereinigung ist jetzt  über zwanzig Jahre her, von einer Verfassung ist weit und breit nichts in Sicht, welch ein demokratischer Defizit. Europa steht vor einigen existenziellen Fragen. Grundsätzlich müssen diese Entscheidungen von jedem einzelnen  in unserem Land persönlich an der Wahlurne getroffen werden. Darauf müssen wir jetzt alle bestehen.  Zudem haben wir endlich die Gelegenheit unsere Politiker  von schweren Gewissenskonflikten zu befreien, denn wenn das Volk entschieden hat, kann man ihnen später keine Vorwürfe machen, sie hätten die falschen Entscheidungen getroffen. Außerdem findet eine weitaus größere Aufklärung der Bevölkerung statt, bestimmt ein guter Weg die Menschen in unserem Land stärker für Politik zu sensibilisieren. Sie werden begreifen, dass nicht die da oben ihr Schicksal bestimmen, sondern sie selbst sind es, die die so wichtigen Weichen für die Zukunft stellen, ein völlig neues politisches Empfinden. Die Zeit ist reif dafür, und die Deutschen sind es auch. Man muss sie nur lassen.



Peter J. König

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