Samstagskolumne Peter J. König, 1.10.2011

"Nichts Neues aus Berlin?"

Nach der historischen Rede des Papstes Benedikt XVI. in der vorletzten Woche soll es am letzten Donnerstag schon wieder zu einem historischen Ereignis im Bundestag gekommen sein, so einige Kommentatoren. Was ist passiert?

Zur Abstimmung stand die Befürwortung des deutschen Garantierahmens für den Eurorettungsfonds von 123 Milliarden auf 211 Milliarden Euro. Abgesehen davon, dass es sich mittlerweile um eine aberwitzige Summe handelt, der gesamte sogenannte Rettungsschirm bewegt sich auf einem Niveau von über 700 Milliarden Euro und weitere Erhöhungen sind schon wieder ins Auge gefasst, ist man sich innerhalb der Regierungsparteien nicht mehr einig, ob dieses alles noch einen Sinn macht oder ob am Ende ein finanzielles Desaster droht. Auch herrscht Uneinigkeit zwischen der Anschauung der Bundesregierung und einigen ausgewiesenen Fachleuten, dazu gehören auch die sogenannten Wirtschaftsweisen, Wirtschaftsprofessoren, die die Bundesregierung in Wirtschaftsfragen beraten und mit ihren Instituten die wirtschaftliche Lage der Bundesrepublik Deutschland analysieren.

Diese Uneinigkeit besteht u.a. darin, ob es nützt, überschuldete Länder der Eurozone mit immer mehr Darlehen zu füttern oder ob es nicht besser wäre, durch einen Schuldenschnitt also durch einen Erlass der Staatsschulden vielleicht in Höhe der Hälfte, diese Länder in die Solvenz zurückzuführen, damit sie sich dann erneut am internationalen Kapitalmarkt zu einem bezahlbaren Zinssatz kapitalisieren können.

Natürlich kann man sich fragen, was gehen uns eigentlich die Schulden von Griechenland an? Antworten findet man an jedem Stammtisch hierzulande: nämlich uns geht es nichts an und außerdem haben diese Länder mit ihrem Geld gehaust, über ihre Verhältnisse gelebt, es sich gut gehen lassen, die Daten zum Eintritt in die Währungsunion gefälscht, wie z.B. bei dem Beitritt Griechenlands und sie wollen sich jetzt auf Kosten von Deutschland sanieren und das „Dolce far niente“ lustig weitertreiben. Der Schluss dieser Stammtischanalyse gipfelt darin diese Länder einfach wieder vor die Türe zu setzen, also sie aus der Währungsunion zu verbannen. So einfach und effizient ist Politik, bei Bier und gestandenen Meinungsmachern.

Dazu möchte ich jetzt keine Stellung nehmen, jedoch möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass bei den gewählten Volksvertretern durchaus unterschiedliche Bewertungsszenarien vorhanden sind und dass sowohl in der CDU, wie auch in der FDP, die beide ja gerade die Halbzeit ihrer Regierungsverantwortung hinter sich gebracht haben, ob gut oder mehr schlecht als recht, dies liegt im Auge des jeweiligen Betrachters.
Tatsache ist, dass die zu bewältigende Problematik ungemein komplex und schwierig ist, Erfahrungswerte mit einer derartigen Währungsunion in Europa nicht vorhanden sind, deshalb es keinen Königsweg gibt oder niemand ihn zumindest bislang kennt und unserer aller Zukunft damit auf dem Spiel steht, ob Europa sich in einem gemeinsamem Verbund die Stärke organisieren kann, die notwendig ist im globalen Wettbewerb zu bestehen.

Alle diese und noch viele andere diesen Themenkomplex betreffenden Fragen haben eine wichtige Rolle bei dieser Bundestagsdebatte gespielt. Dazu hat die Opposition diese Abstimmung zu einer Vertrauensfrage über die Kanzlerin hochstilisiert, also zu der Frage, ob die Mehrheit des Parlaments noch Vertrauen in die Politik von Frau Merkel hat. Dies soll dadurch dokumentiert werden, ob mehr als die Hälfte der Abgeordneten dem Vorschlag der Bundesregierung zustimmen.

Dieser Vorgang alleine wäre doch natürlich noch keine historische Stunde im Bundestag, denn Vertrauensabstimmungen hat es immer wieder in der Geschichte des Deutschen Parlamentes gegeben, man erinnere sich nur an den Abgang von Helmut Schmidt,als die FDP unter Genscher dem Kanzler die Zustimmung verweigert hat, um anschließend mit Helmut Kohl in eine neue schwarz-gelbe Koalition einzutreten.

Nein, aber was ist passiert, was diesen Parlamentsentscheid so ungewöhnlich hätte machen können? Im Vorfeld sind hitzige Debatten entstanden und bekannte Politikerpersönlichkeiten gaben eindeutig zu verstehen, dass sie bei dieser Abstimmung nicht der Kanzlerin folgen wollen und sich nicht nur der Stimme enthalten werden, nein, sie lehnen die Erweiterung dieses Rettungsschirmpaketes grundsätzlich ab, weil sie glauben, dass diese Schuldenkrise mit noch höheren Verschuldungen nicht zu lösen ist und das Problem auf die kommenden Generationen verschoben wird und diese damit weit über Gebühr belastet werden.

Als aufmerksamer Beobachter der Politik muss ich sagen, dass ich selten, wenn überhaupt, eine derartig kontroverse Debatte innerhalb der beiden Regierungslager also der CDU und der FDP erlebt habe. Allenfalls aus der SPD hört man gelegentlich lautes Murren von Abweichlern, sehr zum Ärger der entsetzten Parteivorsitzenden.

Je größer die Anzahl der Neinsager wurde, umso mehr Spannung lag über dem Regierungsviertel in Berlin. Hektisch wurde innerhalb der betroffenen Parteien Überzeugungsarbeit geleistet. Offen wurde bei den Medien über eine Kanzlerdämmerung spekuliert, also doch ein Donnerstag mit historischem Ausgang.

Der Fraktionsvorsitzenden der Union, Herr Kauder wiegelte wie immer gelassen ab, alles kein Drama, die Parteiführung habe alles im Griff, die gute Überzeugungsarbeit werde die verirrten Schäfchen schon wieder zur Herde zurückbringen und außerdem stimme ja die SPD und die Grünen auch für dieses notwendige Maßnahmenpaket, wodurch letztendlich eine satte Mehrheit für die Kanzlerin sich abzeichnen würde.

Die Abstimmung hat dann tatsächlich eine Mehrheit für den Regierungsvorschlag gebracht. Frau Merkel hat auch 4 Stimmen über den Durst, sprich 4 Stimmen über die Kanzlermehrheit erhalten. Die Regierung ist erfolgreich und durchaus handlungsfähig, wie aus dem Regierungslager vollmundig zu hören war, das Übliche also.

Einzig wirklich bemerkenswert an dieser Debatte war, dass Herr Lammert, der Bundestagspräsident auch Abweichler zu Wort kommen ließ, durchaus unüblich, aber wirklich im Sinne unseres demokratischen Parlamentes.

Wo liegt aber nun die historische Dimension dieses Tages tatsächlich?

Für mich könnte dieser Aspekt in zwei gegensätzlichen Komponenten liegen. Entweder gelingt es mit diesem milliardenschweren Rettungsschirm, Zug um Zug, eine neue Ära in der europäischen Union einzuläuten, indem man Kriterien schafft, die die Länder Europas enger zusammenführt, sie zu einer einheitlichen Wirtschafts- und Finanzpolitik bringt, bindende Überwachungsmechanismen akzeptieren lässt und somit auch eine sinnvolle gegenseitige Hilfe in schwierigen Situationen zustande bringt, also einen großen Schritt auf ein Staatsgebilde namens „Vereintes Europa“ zugehen lässt.

Es kann jedoch auch der Beginn sein und dies wäre der Fall, wenn man die Punkte der ersten Alternative außer Acht lassen würde, der Beginn der Zersetzung des europäischen Gedankens, der Beginn von Misstrauen der Staaten untereinander.

Dies wollen natürlich alle Parlamentarier im Bundestag nicht, denn das Geschichtsbewusstsein unserer Volksvertreten weiß allzu genau, welche Eruptionen dieser Zustand in Europa in der Vergangenheit hervorgebracht hat.

Peter J. König

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