Samstagskolumne Peter J. König, 27.8.2011

Schlechte Zeiten für Despoten

Der Aufstand in Libyen geht dem Ende entgegen. Mit dem Einmarsch der Regierungsgegner, der Aufständischen des libyschen Volkes, in die Hauptstadt Tripolis, ist der Fall des Oberst Gaddafi besiegelt. Dennoch kommt es zu den blutigsten Auseinandersetzungen des gesamten Volksaufstandes.


Der amerikanische Nachrichtensender CNN berichtet von Hunderten von Toten auf beiden Seiten, sowohl bei den Regierungstruppen, als auch bei den Regierungsgegnern. Zum ersten Mal wird bei dieser Auseinandersetzung auch von Gräueltaten berichtet, Hinrichtung von Gefangenen des jeweils anderen Lagers.


Genau dieses versuchte die Übergangsregierung in Bengasi zu verhindern, indem sie immer wieder aufrief, keine Revancheakte zu unternehmen, indem sie darauf verwies, den Graben in der lybischen Bevölkerung nicht noch dadurch zu vertiefen, dass blutige Hinrichtungen die Möglichkeiten eines zukünftigen gemeinsamen Staates noch weiter erschweren.


Die Volksgemeinschaft Libyens ist per se sehr diffizil. Sie besteht aus vielen einzelnen Stammeseinheiten. Rivalitäten waren schon immer an der Tagesordnung. Gaddafi hat sich die Loyalität dieser Gruppierungen mit dem Geld aus dem Ölreichtum des Landes erkauft.


Hundertmillionen Dollar pro Tag hat der Diktator mit Öl und Gas umgesetzt und er allein hat bestimmt, für wen das Geld ist und wozu es benutzt wird. Die libysche Zentralbank war seine Vermögenschatulle. Er hat daraus seine Prachtpaläste, persönliche militärische Einrichtungen und seine weibliche Leibgarde -alle Kämpferinnen mussten mit einem Biss eine Schlange töten können- bezahlt.


Jedoch auch der Anschlag auf den PAN-AM-Jumbo, mit Absturz in Lockerbie (Schottland) und auch der Sprengstoffanschlag auf die Diskothek "La Belle" in Berlin wurden aus dieser Kriegskasse finanziert.


42 Jahre hat dieser selbsternannte moderne Nero sein Land und seine Leute geschunden. Es gab keine Parlamente und keine irgendwie geartete Mitbestimmung mehr. Wegweisend für alle war seine "Grüne Bibel", eine Ansammlung von verwirrten und obskuren Gedanken, wohl nachempfunden der "Mao-Bibel", einstmals der Leitfaden der chinesischen Revolution, ersonnen von dem Volkstribun Mao tse-Tung für den langen Marsch der Aufständigen durch das Riesenreich der Mitte.


Auch Gaddafi hatte einst eine Revolution angezettelt, in dem er als Hauptmann in der lybischen Armee König Idris, ein Nachkomme des Sufi-Ordens der Sanoussi, der von den Briten eingesetzt wurde, nachdem sie Tripolitanien und die Syreneica während des Zweiten Weltkrieges erobert hatten, ins Exil nach Ägypten geputscht hat.


Heute sagen einstige Weggefährten des Hauptmannes, der in seiner Führerrolle angekommen, sich mit dem Titel eines Obersten schmückte, er sei schon damals recht eigenartig gewesen.


Diese Eigenarten lebte der Operettenherrscher sichtbar vor allen Kameras der internationalen Presse exzessiv aus. Einmal in eine Fantasieuniform gewandet, alsbald als Beduinenführer samt Kulisse in Form eines großen Wüstenzeltes, war wohl die absurdeste Verkleidung sein Auftritt als altrömischer Herrscher in Toga und mit einem Goldreif gekrönt.


Fakt ist, dass sich Gaddafi unendlich bereichert hat und an seinen Händen viel Blut klebt. Milliarden von Dollars und Euro hat er für sich und seine Familie im Ausland deponiert. Allein in Deutschland wurden 7 Millarden Euro auf seinen Konten eingefroren, in Österreich sollen es 11 Millarden sein und es gibt noch einige andere Länder, wo solche Despoten gerne Rücklagen für die Zeit nach ihrer Karriere verbuddeln.


Wir wissen von früheren Potentaten aus Afrika oder der Karibik, dass sie gerne ihren "Ruhestand" an der der sonnigen Cote d`Azur verbracht haben. Äußerst großzügige Anwesen mit Blick aufs blaue Meer, hermetisch abgeriegelt, den Keller voller Goldbarren und diplomatisch geschützt, gaben sie den "Bonvivant" auf Cap Ferrat, Cap d`Antibes oder auch im Stadtteil "Californi", dem Nobelviertel von Cannes.


Doch die Zeiten haben sich geändert, seit in Den Haag der internationale Gerichtshof eingerichtet worden ist, vor dem alle möglichen Staatsverbrecher angeklagt werden. Nun ist es für Despoten kaum mehr möglich, sich nach vollbrachter Verbrecherkarriere mit den Blutmilliarden einen glänzenden Ruhestand zu erkaufen.


Wenn der internationale Haftbefehl des Gerichtshofes ausgeschrieben worden ist, müssen die Beitrittsländer den gesuchten ausliefern. In der Regel tun sie es auch. Die Fluchtpunkte für Gaddafi und Co werden immer weniger und die begehrten "Hot-Spots" früherer Zeiten sind sowieso alle tabu, da Länder wie Spanien, Frankreich oder die Schweiz natürlich mittlerweile sofort ausliefern würden.


Kommen wir also zurück auf die Ausgangslage mit der Frage, warum geben Gaddafi und seine Schergen nicht endlich das grausame Gemetzel auf?


Dies haben wir soeben ja erläutert. Gaddafi selbst und auch einige seiner Söhne werden per Haftbefehl aus Den Haag gesucht.


Also keine Möglichkeit, ein neues Beduinenzelt über den Höhen von "Eze sur mer" mit einem wunderschönen Blick von Monaco bis Cap Ferrat aufzustellen. Algerien würde sich noch anbieten, da das Land das Gesetz zum Beitritt zum internationalen Gerichtshof noch nicht ratifiziert hat, somit noch nicht ausliefern muss.


Doch das Land scheint nicht spektakulär genug zu sein, für einen Mann mit so schillernder Vergangenheit. Und ob er dorthin seine weibliche Leibgarde mitnehmen dürfte, ist fraglich.


Seine angeheuerten Söldner aus anderen afrikanischen Staaten haben auch keine große Chance heil aus Libyen herauszukommen. Sie wollen möglichst verbrannte Erde hinter sich lassen, bevor sie von den Aufständischen erwischt werden.

Und Gaddafi, was bleibt ihm?

Selbst die Rolle als Märtyrer scheint für ihn nicht mehr möglich zu sein, nachdem er vor zwei Tagen aus einem mobilen Studiowagen per Audiobotschaft, Frauen und Kinder des Landes aufgefordert hat, die Regierungsgegner, quasi die eigenen Männer und Söhne, die Brüder und Väter, umzubringen, um Libyen zu retten.

Schlechte Zeiten für Despoten.

Peter J. König




Samstagskolumne Peter J. König, 20.8.2011.

Am letzten Sonntag durfte der politisch Interessierte ein ganz besonderes Rührstück perfider Selbstdarstellung erleben. Der potentielle Nachfolgekandidat für den Posten des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten gab unter Tränen seine bereits designierte Position für dieses Amt seitens der CDU auf und trat von allen Ämtern zurück.

Grund für diesen Kandidatensturz war „die Liebe“ des promovierten 39 jährigen Juristen. Er hatte ein Verhältnis zu einer 16 jährigen Schülerin aus Liebe, wie er betonte, und seine Gefühle gingen mit ihm bei diesem Geständnis sichtbar durch. Leider lässt sich diese Verbindung trotz aller Liebe nicht mit seinem zu erstrebenden Amt des Ministerpräsidenten vereinbaren, so seine Partei. Die Verbindung wurde staatstragenden Interessen geopfert, weiß Gott ein Fall, bei dem Tränen fließen können.

Tränen sind aber nicht wegen dieser inszenierten Schmonzette angebracht, sondern durch die Tatsache, dass solche dubiosen Personen in hohe politische Ämter streben und sie oftmals auch erreichen. Wie ist es eigentlich um die Persönlichkeit eines etwa vierzigjährigen Mannes bestellt, der eine sexuelle Beziehung zu einer sechszehnjährigen Schülerin unterhält, wobei anzumerken ist, dass die Sache haarscharf an strafrechtlichen Konsequenzen vorbeischrappt, denn bis zu einem Tag vor dem sechzehnten Geburtstag dieses jungen Mädchens ist der Staatsanwalt involviert.

Das Ganze erinnert irgendwie an den Roman "Lolita" von Nabokov, nur dass es sich hier um die blanke Realität handelt, eingefädelt durch einen Mann, der anstrebt, Landesvater zu werden. Degoutant auf der ganzen Linie, abscheulich, der politische Abgang.

Wenige Tage später, erneut eine Offenbarung politischen und charakterlichen Sinneswandels. Ein kritischer Fernsehjournalist hat recherchiert, mit welcher Beschäftigung jetzt die Heroen der rot-grünen Regierung, Schröder und Fischer, sich die Taschen vollstopfen und wie diese Tätigkeiten mit ihren früheren, politischen Botschaften zu vereinbaren sind. Schröder, der Sozialdemokrat, Anwalt der kleinen Leute, hat sich nahtlos nach dem Verlust seines politischen Spitzenamtes der internationalen Großindustrie angedient.

Nicht zuletzt durch seinen Freund Putin, „dem lupenreinen Demokraten“, wurde er in russische Konsortien jeweils für hunderttausende von Euro, als Umweltberater vermittelt. Leider findet Umweltschutz in den russischen Förderungsgebieten seitens Schröders Brötchengeber nur unwesentlich statt. Die Verseuchung ganzer Landstriche spricht Bände. Herr Doktor Schröder steht dafür mit seinem Namen….

…..und Herr Fischer, der grüne Ideologe mit pragmatischem Sinn? Mit seinem Erscheinungsbild dokumentiert er mittlerweile die ganze Dimension seines Wollens. Früher noch sportlich schlank, signalisierte er dynamisches Machertum, ein kraftvoller Problemlöser mit forscher Lippe.

Die forsche Lippe ist zwar geblieben, aber sie ist mittlerweile Teil des Körpers, der verfettet, aus allen Nähten quellend, genau anzeigt, wohin seine Reise geht: Alles in sich aufnehmend, skrupellos Beute machend. Auch er verkauft sich als ökologisches Gewissen an die Großkonzerne der Automobilindustrie, der Energiewirtschaft und anderer lukrativer Branchen unserer Wirtschaft. Im Nadelstreifenanzug sind die Jeans und Turnschuhe von einst, nur noch reliquienhafte Erinnerungen. Ausgesprochen hässlich diese Metamorphose.

Wir müssen aber nicht glauben, dass die Politik das einzige Wirkungsfeld ist, das solche Scharlatane hervorbringt. Auf allen gesellschaftlichen Feldern treten immer wieder Personen auf, die ihren Egoismus zielstrebig dazu einsetzen, reiche Beute zu machen. In der Politik braucht man aber dazu keine spezielle Vorbildung, wie in der Juristerei oder vielleicht in der Medizin. Eine gewisse schauspielerische Fähigkeit und der nötige Ehrgeiz profilieren zu maximalem Erfolg. Wie Adenauer schon sagte, „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“, wobei der schlaue Fuchs diese Floskel nur rhetorisch eingesetzt hat. Seinen Prinzipien ist er eigentlich immer treu geblieben und dies ist es doch, was im menschlichen Miteinander so wichtig ist.

Nicht der Standpunkt des Einzelnen ist das Problem, sondern die Wahrhaftigkeit, mit der man zu seinen Aussagen steht, besonders wenn es sich um Dinge handelt, die weitreichende Folgen haben und besonders, wenn es sich dabei um Personen handelt, durch deren Tun sehr viele Menschen betroffen sind.

Um es Karrieristen mit besonders flexibler Prinzipienbreite nicht leicht zu machen, ermuntere ich dazu, dass möglichst viele Personen sich aktiv ins politische Geschäft einmischen. Dann würden eventuell bestimmte Berufsgruppen wie Juristen, Lehrer und sonstige Beamte in den Parlamenten wieder zurückgedrängt werden. Momentan bilden sie die mit Abstand größte Berufsgruppe unter den Parlamentariern.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schwer es ist, eigene politische Ideen durchzusetzen, geschweige die so genannte politische Ochsentour vom Ortsverein über die Kreisebene bis auf die Landes- oder Bundesebene durchzustehen. Als Selbstständiger fehlt schlichtweg die Zeit, um ständig alle möglichen Termine wahrzunehmen, ohne dass der eigene Betrieb darunter leidet und dennoch ist es wichtig.

Beamte haben es da einfacher. Sie können sich problemlos ausklinken. Bei den Juristen handelt es sich zumeist um Zöglinge, die sich schon als Schüler an die jeweiligen Parteien gekettet haben. Dies ist alles nicht befriedigend. Mehr Vielfalt durch die unterschiedlichsten Berufsgruppen ist vonnöten. Dabei sollen es beileibe nicht nur akademisch ausgebildete Volksvertreter sein, denn dieses würde nur ein Zerrbild der Gesellschaft darstellen. Nach dem Grundgesetz sollen sich alle Berufsgruppen in den Parlamenten wiederfinden. Zudem würde ein stärkeres Engagement, breitgefächert, den Karriererittern den Aufstieg erschweren.

Zum Schluss möchte ich heute noch ein Buch empfehlen, das sich mit all diesen menschlichen Charaktermustern hochintellektuell auseinandersetzt. In Form einer Lebensreise wird der Protagonist durch alle menschlichen Höhen und Tiefen geführt und lernt damit all das kennen, was menschliches Dasein so kompliziert macht. Das wirklich interessante an diesem Buch ist, dass der Autor Balthasar Gracian, einer der größten Philosophen des spanischen Barocks, in seinem Buch „Das Kritikon“ all das menschliche Verhalten herausarbeitet, das wohl zu allen Zeiten von Bedeutung ist.

Erstaunlich sind die Parallelen, trotz der unterschiedlichen Jahrhunderte. Erstaunlich sind auch die gleichen Verhaltensmuster, als ob der Mensch niemals etwas dazulernen würde. Allein die Hoffnung bleibt.

Peter J. König

Samstagskolumne Peter J. König, 13.8. 2011

Welche Bilder haben uns diese Woche aus England erreicht?

Brennende Autos, brennende Häuser, ja sogar brennende Straßenzüge. Dieses nicht allein in einem als sozialen Brennpunkt bekannten Vorort der Millionenmetropole. Nein,  diese anarchistischen Szenarien kamen aus unterschiedlichen Stadtteilen der Hauptstadt des ehemaligen Commonwealth und nicht irgendwoher aus der „Dritten Welt“, sei es von Mittel- oder Südamerika oder vielleicht, aus einem von korrupten Machthabern, mithilfe von multinationalen Konzernen ausgebeuteten Land Afrikas.

Selbst der Szenestadtteil „Notting Hill“, bekannt als Kulissengeber für amerikanische Schnulzenfilme mit Märchencharakter,  und begehrter Wohnort für „Triple-A-Promis“, war Schauplatz dieses plötzlich  explodierten Vandalismus. Jedoch nicht nur in London, sondern auch in anderen großen Städten des Inselreiches, so z.B. in Manchester, Birmingham und Liverpool, entlud sich physische Gewalt in Form von Überfällen auf Geschäftshäuser, Zerstörung von Autos, Plünderungen von Lagerhallen. Danach wurde noch alles in Schutt und Asche gelegt.

Ich kann mich nicht erinnern, jemals solche Bilder in so großer Zahl aus England gesehen zu haben. Zwar hat es immer wieder Ausschreitungen in bestimmten Stadtteilen Londons gegeben, ähnlich wie in gewissen „banlieues“  von Paris, aber in dieser sich blitzartig ausbreitenden Form über das ganze Land, habe ich es seit Jahrzehnten nicht beobachten können.

Doch woher kommt dieser Aufruhr? Wer steht denn eigentlich dahinter?

Es sollen Jugendliche sein, aus der Unterschicht, gering ausgebildet, arbeitslos und ohne Perspektive. Dies mag zweifellos so sein,  nur weshalb werden junge Menschen, ein Krawallmacher gerade  elf Jahre alt, wurde von der Polizei festgenommen, von solchen Gewaltattacken so angezogen?

Andere Jugendliche entstammen durchaus nicht der Unterschicht, sondern waren „middle-class-boys“, ihre Eltern fielen aus allen Wolken, als sie ebenfalls zum Schnellgericht gebeten wurden.

Was ist aber nun der Auslöser dieser gesellschaftlichen Verrohung?

Eine Antwort darauf gibt bestimmt die neueste Statistik der Arbeitslosenzahlen von Jugendlichen in der Europäischen Union, bekanntgegeben in dieser Woche. Bei diesen Zahlen wird mir vieles klar, Ursachen und Folgen. Dabei wächst jedoch bei mir das Unverständnis im Hinblick auf die politische Weitsicht  unserer regierenden Verantwortlichen.

Die Daten der Jugendarbeitslosigkeit sind in etwa folgende: Deutschland 9 %, Italien und Frankreich über 20% und der Vogel wird von Spanien abgeschossen: 47% der jungen, oftmals bestens ausgebildeten Menschen, finden in ihrem Land keinen Arbeitsplatz. Nicht zu Unrecht haben sich von daher wochenlang abertausende von Betroffenen, darunter viele Studenten und Jungakademiker, eigentlich zukünftige Führungselite, auf dem größten Platz Madrids zusammengefunden, um sich friedlich Gehör zu verschaffen. Ähnliches wird übrigens aus Santiago de Chile diese Woche vermeldet, allerdings nicht so friedlich. Welche verhängnisvolle Kurzsicht unserer politischen Entscheidungsträger in allen Ländern Europas.

Die Zukunft unserer Länder hängt von unseren jungen Menschen ab. Dabei spielt nicht nur eine fundierte, auf die Bedürfnisse der modernen Gesellschaft ausgerichtete, Ausbildung eine Rolle, nein, genauso wichtig ist natürlich auch die Perspektive, die diese junge Generation mit Recht einfordert.

Dieser gesellschaftliche Komplex muss oberste Priorität in einem intakten Staatswesen haben, ansonsten droht der Absturz, Anarchie, Zerfall der Civitas, Elend und Hungertod.

Blicken wir in die Geschichte zurück, so hat es immer wieder Beispiele dieser verheerenden Fehlentwicklungen gegeben. Hungerbedingte Aufstände gab es in Rom zu Zeiten der Antike immer wieder, begleitet von den gleichen Ausschreitungen wie wir sie jetzt in Großbritannien erleben.

Die Französische Revolution ist nicht zuletzt dadurch ins Rollen gekommen, weil der Brotpreis so gestiegen war, dass der „einfache Mann“ ihn quasi nicht mehr bezahlen konnte. Die Folge davon ist bis heute sichtbar, denn während der Revolution wurde der Preis für ein „baguette“ auf ganz niedrigem Niveau festgelegt und  soweit mir bekannt,  bis heute kaum erhöht.

Noch heute wird die “flute“, wie die Franzosen ihr Stangenweißbrot nennen,  nach wie vor staatlich subventioniert. Also hat diese Errungenschaft aus der Revolution von 1789 aktuell noch Auswirkung. Ach ja, und wehe jemand wagt über eine Preiserhöhung nachzudenken, dann kommen die alten Ideen der Kommunarden wieder zum Vorschein und entladen sich  durch Empörung auf der Straße.

Wir sind aber noch nicht bei der eigentlichen Problematik dieses so existentiellen Problems angekommen. Natürlich ist Auslöser aller Aufstände rund um den Globus, sei es in der Antike, im Mittelalter oder sei es in unserer Zeit, immer wieder die gleiche Ursache. Es ist das Auseinandergehen der Schere zwischen Arm und Reich, ausgelöst durch die Konzentration von Kapital auf eine kleine Gruppe in der Bevölkerung, während der weitaus größere Teil nicht mehr weiß, wie er die Zukunft meistern soll.

Kapital hat nun mal die Eigenschaft, sich permanent zu konzentrieren, sprich aus sich selbst heraus sich zu vermehren und dabei dem Umfeld Substanz zu entziehen. Wenn dazu noch das „Raffketum“ skrupelloser Ausbeuter kommt, dann wird es existentiell bedrohlich, nicht nur für den Einzelnen, sondern für ein ganzes Staatsgebilde. Die Geschichte hat schon des Öfteren den Beweis erbracht. Nicht zuletzt aus diesen Gründen hat Ludwig Erhard das System  der Sozialen   Marktwirtschaft entwickelt.

Wir  stehen momentan an einem ziemlich entscheidenden Punkt in Europa. Durch die Globalisierung verlagern sich alte Wirtschaftsstrukturen. Die neue Kommunikationstechnik lässt vagabundierendes Kapital blitzschnell durch die Märkte fegen und wo heute noch Geld im Überfluss investiert wurde, wird morgen durch Entzug, die Rendite ist anderswo höher, kapitalmäßig alles trockengelegt. Folge: wirtschaftlicher Exodus. Hier müssen Kontrollmechanismen eingebaut werden.

Eine gefährliche Melange, wie wir nach der „Lehman-Pleite“ und der darauf folgenden Banken-Krise feststellen mussten.

Dieses alles  ist gerade einmal zwei Jahre vorbei und erneut wanken die Märkte, wie  in dieser Woche zu erleben. Der Dax und Dow rauschen in den Keller, Abschlag in wenigen Tagen um 20%, Italien und Spanien reif für den  Rettungsschirm, sprich die Europäische  Gemeinschaft bürgt für diese Mitglieder, die EZB  kauft italienische Staatsanleihen, vor wenigen Wochen von Herrn Trichet, dem EZB-Chef, noch als undenkbar erklärt, als man Griechenland vor der Pleite gerettet hat. Dazu kommt die enorme Verschuldung der einzelnen europäischen Staaten, teilweise in Billionenhöhe.

Alles sehr verwirrend. Dabei gibt es Geld in Hülle und Fülle, speziell in den westlichen Industrienationen. Aber was wird damit gemacht?

Zumindest nicht das, was Ludwig Erhard in seiner weisen Voraussicht in den 1950er Jahren vorgegeben hat. Kapital muss zum Wohl aller Bürger eines Staates eingesetzt werden. Arbeiter und Angestellte müssen so entlohnt werden, dass sie ein menschenwürdiges Dasein führen können und Vertrauen in die Zukunft entwickeln.  Junge Menschen müssen gut ausgebildet einen sicheren Job bekommen, der ihnen erlaubt, eigene Familien zu gründen und keine Angst vor der Zukunft haben müssen.

Selbstständige müssen für ihr Risiko, ihr Engagement und ihren Einfallsreichtum, entsprechende Früchte nach Hause  tragen können. Die großen Unternehmen müssen konkurrenzfähig auf den Weltmärkten sein, nicht zuletzt aufgrund gut ausgebildeter  Arbeitnehmer. Die Quadratur des Kreises sagen Sie? Mitnichten sage ich, dank der größten Ressource, die Europa besitzt, nämlich die Intelligenz seiner Menschen, jeder nach seiner kulturellen Intention.

So ist alles machbar. Man muss aber die notwendigen Voraussetzungen dazu schaffen. Wir alle sind gefordert,  in einem politisch geeinten Europa, ohne diese ist eine Überlebenschance im Konkurrenzstreben mit anderen Weltmächten auf Dauer nicht möglich, uns diesbezüglich zu einigen. An den Vereinigten Staaten von Europa führt kein Weg vorbei.  Dabei sind die kulturellen Unterschiede absolut kein Hindernis, sondern ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Aus dem politischen Hickhack wird dann ein Konsens, der es uns erlaubt, gestärkt den wirtschaftlichen Mitbewerbern weltweit gegenüber aufzutreten.

Übrigens sollte man die politische Klasse, die diese Voraussetzung nicht erkennt, gemeint ist die Sicherung der Zukunft Europas, durch die zuvor genannten Maßnahmen, in die politische Wüste schicken. Sie haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt.

Peter J. König


Samstagskolumne Peter J. König, 6. 8. 2011

Geht man am Samstag über die Goethestraße in Frankfurt/M so dauert es nicht lange, und man begegnet dem Phänomen, das da heißt, „Shoppen bis der Arzt kommt“. In der Regel sind es gut gestylte Damen mittleren Alters, die damit kämpfen, eine Anzahl von „Bags“, alles edel, alles premium, davonzutragen. Sie zelebrieren ihr wöchentliches Ritual, doch bei genauer Beobachtung ist zu sehen, dass ihr Seelenzustand sich dadurch nicht geändert hat.

Anstatt beglückt zu sein, strahlen sie nur zur Schau getragene Langeweile und Blasiertheit aus. Eigenartig, die meisten Menschen wären nach einer solchen Shopping-Tour einfach nur entzückt. Man würde es in ihren strahlenden Gesichtern sehen können. Warum ist dies also bei dieser Spezies nicht so? Weshalb dieses immer wiederkehrende Schauspiel?

Übrigens geschieht dies nicht nur in Frankfurt. Nein, man erlebt es in allen bekannten Städten dieser Welt. Unabhängig von den einzelnen Kulturen in den jeweiligen Ländern sind die gleichen Auftritte angesagt. So z.B. auf der Maximilianstraße in München, auf der Via Condotti in Rom, auf der Rue de Montaigne in Paris, auf der Fifth Avenue in New York oder auch auf der Bondstreet in London und vielen anderen bekannten Edelmeilen weltweit. Sie sind zum Verwechseln ähnlich, diese Bühnen der Eitelkeit. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die großen Laibles aus Mailand, Rom und Paris, sprich Louis Vuitton, Chanel, Hermes, Prada, Versace, Armani und auch Tods immer das gleiche Erscheinungsbild haben, ihre „Flagstores“ weltweit genormt auftreten. Alles wirkt letztlich uniformiert und ist trotzdem so begehrt. Die gleiche Klientel möchte offenbar weltweit dazugehören.

Wie erfrischend wirkt da eine Frau, sie scheint sich irgendwie in die Goethestraße verlaufen zu haben, angezogen ist sie nach eigenen Vorstellungen, bunt mit gewagter Kombination, die die Modeberaterin hinter der Glasfront einer Edelboutique nur mit zur Schau gestellter “Von- oben- herab- Attitüde“ straft. Dies stört die Dame jedoch keineswegs. Auch ist da ihr Gesichtsausdruck von frischer, freundlicher Ausstrahlung. Man sieht ihr die Freude an selbst kreierter Mode an, ihr Empfinden ist noch nicht am Überfluss erstickt, sie hat noch Freude an jedem einzeln erworbenen Mode-Teil. Übrigens ist diese Freude auch eine Hommage an die kreativen Menschen, die sich immer wieder geschmackvolle, vielleicht ausgefallene oder gar verrückte Formen und Farben einfallen lassen.

Leider kommt von all dem bei den Überdrüssigen nur selten etwas herüber. Damit sind wir bei der eigentlichen Frage angekommen. Wieso sind diese Privilegierten so wenig angetan von dem Erworbenen, worum sie von ach so vielen Geschlechtsgenossinnen beneidet werden? Ja, es ist der Überfluss, der das Außergewöhnliche zum Nebensächlichen degradiert. Das Immer-Wiederkehrende macht aus der Besonderheit nur noch Alltägliches, das vielleicht noch einen kurzen Reiz als Neues ausübt, aber schon unmittelbar nach Verlassen des Edel-Tempels keine Wirkung mehr verspüren lässt.

Essen Sie mal jeden Tag Kaviar zum Frühstück, wenn Sie ihn überhaupt mögen. Nach einigen Tagen lehnen Sie dankend ab, oder sie goutieren ihn als Alltagsprodukt.

So ist das mit allem im Leben. Deshalb plädieren weise Menschen dafür, dass weniger oft besser ist als mehr, soll heißen, zu viel des Guten ist dann auch nicht mehr gut.

Ich habe Personen erlebt, die Jahrzehnte lang dreimal im Jahr ein exquisites Fünf-Sterne- Hotel an der Cote d`Azur in der Nähe von Monte Carlo besuchten. Welch ein Privileg, dieses tun zu können. Leider hat diese landschaftlich traumhafte Gegend, geprägt durch die einmalige Lage an der Küste des Mittelmeeres mit dem erlebenswerten Hinterland, den berühmten Orten, wo Künstler, seien es Maler oder Schriftsteller, großartige Werke geschaffen haben, keinerlei Wirkung auf diese Personen ausgeübt. Vielleicht gerade einmal das Formel- 1-Rennen von Monaco, mit dem Jet-Set-Trubel und der Möglichkeit, alle Laibles auf engstem Raum zu durchpflügen, erregte Interesse.

Dabei gibt es doch so viel Außergewöhnliches zwischen Monte Carlo und Cannes. Erwähnt sei hier nur die Fondation Rothschild auf Cap Ferrat, natürlich auch die vielen Museen und privaten Villen von Künstlern wie Renoir in Cagnes sur Mer, das Picasso-Museum von Antibes, die Fondation Maeght in Saint Paul, das Museum von Leger in Biot und nicht zuletzt die größte Privatkunstsammlung Frankreichs im Hotel Colombe `d Or, ebenfalls in Saint Paul de Vence. Dort kann man übrigens inmitten der Kunst exquisit logieren. Ach ja, nicht zu vergessen die wunderschönen grünen Glasfenster, entworfen von Henry Matisse, in der Kapelle von Vence.

Deshalb meine ich, dass es so wichtig ist, ein Bewusstsein für die Dinge des Lebens zu schaffen, für die großen und die kleinen. Dabei ist doch das Wesentliche eigentlich die Freude, die man empfindet, wenn man Dinge unternimmt, beim Shoppen, beim Reisen, beim Essen, beim Arbeiten, beim Denken, beim Helfen und beim Lieben. Die Erfüllung durch das Tun ist erstrebenswert, nicht die Handlung an sich. Dabei ist wohl derjenige mehr zufrieden, der zum Erreichen einer Sache, mehr investieren muss als nur die Kreditkarte zu zücken.

Zum Abschluss möchte ich die vorgetragenen Gedanken aus aktuellem Anlass unbedingt noch in Verbindung zu den Geschehnissen am Horn von Afrika bringen. Die Vereinten Nationen sprechen von der größten Hungerkatastrophe der letzten 100 Jahre. 18 Millionen Menschen, unmittelbar vom Sterben bedroht, eine Tragödie unendlichen Ausmaßes und doch, welche Geduld und welcher Überlebenswille dieser Geschundenen. Haben diese gläubigen Menschen aber erst einmal das Flüchtlingslager Dadaab im Nordosten Kenias erreicht, das größte Lager seiner Art weltweit, mit über  400 000 Menschen hoffnungslos überfüllt, versuchen sie sich auf den gerade stattfindenden Ramadan, den heiligen Fastenmonat des Islams einzustellen, obgleich sie gerade einen Hungertreck hinter sich haben, auf dem bereits viele verhungert sind, besonders kleine Kinder und Säuglinge.

Diese Menschen kennen keinen Überfluss, sie kennen keine Blasiertheit, sie kennen auch keine Langeweile. Sie zeigen aber eine große Dankbarkeit, wenn sie von den Lebensmittelspenden etwas abbekommen haben. Dann strahlen ihre Gesichter und obwohl alles drum herum nur elendig ist, kommt bei ihnen große Freude auf. Ihr Blick offenbart dann eine unendliche Tiefe. Alles dieses mach doch sehr, sehr nachdenklich.

Peter J. König