Samstagskolumne Peter J. König, 30.7. 2011

Der Wandel der Gesellschaft schreitet unaufhaltsam fort. Damit stellt sich natürlich die Frage, wohin wird sie sich bewegen, diese Gesellschaft?

Welche Impulse sind ausschlaggebend für die Zielrichtung und wie wird dadurch ihr Zusammenhalt perforiert?

Interessant ist dabei zu beobachten, wie sich die Leitbilder in den letzten hundert Jahren in Deutschland verändert haben. War in der Kaiserzeit noch alles hierarchisch geordnet, der Hofstaat hatte die Vorbildfunktion, dem sich alles unterzuordnen hatte, so begann mit der Abdankung des Kaisers  und seinem holländischen Exil in Doorn, eine neue Epoche auch im Hinblick auf gesellschaftliche Impulse.

Die Gründung der Weimarer Republik, damit verbunden das Aufleben eines demokratischen Systems,  brachte ein erhebliches Maß an Freigeist und damit die Möglichkeit der persönlichen Entfaltung. Dies zeigte sich wohl am deutlichsten in der Wissenschaft und der Kunst.

Diejenigen Personen, die sich hier hervortaten, waren jetzt die Fixsterne der Gesellschaft. Politisch war die Zeit allerdings sehr schwierig. Der gesellschaftliche Wandel lastete schwer auf Deutschland. Die einzelnen Machtgruppen boykottierten sich gegenseitig. Somit konnte die Demokratie sich langfristig vorerst nicht etablieren. Die Repressalien der  Siegermächte aus dem 1. Weltkrieg taten ihr Übriges.

Das freie Denken und Handeln fand mit dem Sieg der Nazis bei den Wahlen Anfang 1933 ein jähes Ende. Jetzt wurden Leitbilder verordnet,  alle persönlichen Freiheiten dem „Volkswillen“ untergeordnet.

Die positiven Errungenschaften der Zivilisation wurden mit Füßen getreten. Damit sollten Toleranz, Individualität, Ethik, gegenseitige Achtung, also alle humanistischen Werte, ein für alle Mal  verschwinden, tausend Jahre und mehr. Das Ergebnis kennen wir. Damit müssen wir  alle noch heute  leben.

Dabei meine ich nicht nur die wirtschaftlichen Folgen, die Entbehrungen der Nachkriegszeit und das unendliche Leid durch Millionen von Toten in Europa. Nein, ich meine auch den Verlust an Vertrauen bei unseren europäischen Nachbarn, der Verlust von so vielen Geistesgrößen, all die Menschen jüdischen Glaubens, aber auch alle anderen Menschen, die aus religiösen, ethnischen, politischen  und  sonstigen Gründen dem Regime nicht opportun waren und in die KZs abtransportiert wurden, wenn sie es nicht geschafft hatten, irgendwie der Todesselektion zu entkommen. Das alles geschah unter dem Zerrbild des „arischen Herrenmenschen“.

Dies war das Leitbild jener Zeit. Übrigens leiden wir heute noch unter diesen Folgen, denn in manchen Köpfen will der Größenwahn nie aufhören. Bei einem gewissen Klientel dient es noch immer oder schon wieder dazu,  die leeren Hirnwindungen in ihren Köpfen mit Allmachtphantasien zu füllen.

Den meisten Menschen war Politik in der Nachkriegszeit äußerst suspekt. Es kamen andere Idole auf, natürlich Alphatiere aus der Wirtschaft, aber auch neue Showgrößen aus Film und Funk. Das politische Interesse war nicht besonders groß. Gleichwohl waren die älteren Herren des politischen Establishments durchweg Demokraten, und wenn sie noch  Verstand, Herz und Kultur besaßen,  ich möchte hier für alle überparteilich den SPD-Politiker Carlo Schmid, eine faszinierende Persönlichkeit,  nennen, waren sie auch schon Europäer mit Weitblick.

In den späten 1960er Jahren des letzten Jahrhunderts war es vorbei mit dem politischen Dornröschenschlaf. Alles war nun politisch, auch die Intimsphäre der jungen Frauen. Heute vermisse ich eigentlich das Engagement der  damals politisierten Generation, wobei ich sagen muss, es braucht nicht mehr des Schauspiels, das ich als Student während einer Juravorlesung an der Universität in Freiburg erlebt habe, als plötzlich die Türen des Hörsaals aufgerissen wurden, eine große Anzahl von jungen Menschen hereinstürmte und den akademischen Lehrer mit rohen Eiern bewarfen.

Zu handgreiflichen  Auseinandersetzungen zwischen Lernwilligen und Randalierenden kam es außerdem noch. Wie ich feststellen konnte, waren es übrigens nicht nur Studierende, die die Universität lahmlegen wollten, auch  Schüler, Lehrlinge und sonstige selbsternannte Revoluzzer haben mitgemischt.

Dies ist mittlerweile schon wieder lange vorbei. Jetzt ist es an der Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, was heutzutage „en vogue“ ist. Wie vor einigen Tagen im Fernsehen zu sehen war, ist  der neueste Trend, die Abiturfeier im Stile einer Oscar-Verleihung "a la Hollywood"  zu gestalten. Junge Damen in Abendrobe und junge Herren im Smoking  bekommen in der glamourösen Atmosphäre eines Ballsaales im Fünf-Sterne-Hotel ihr Abiturzeugnis überreicht, „um in das Leben“ entlassen zu werden.

Dazu passt das Ergebnis  einer neuerlichen Umfrage, welchen Beruf junge Mädchen jeden Bildungsstandes gerne erreichen würden. Die meist genannte Antwort war: Modell bzw. Supermodell.

Dabei kommen mir die Bilder von unterbezahlten, dienstzeitüberlasteten Krankenschwestern und Assistenzärztinnen  in den Sinn, und  ich stelle mir die Frage nach den Vorbildern unserer Zeit. Ob diese jungen Frauen, die sich in erster Linie für das Gemeinwohl und natürlich auch für diese höchst anspruchsvollen Berufe entschieden haben, sich damit automatisch gegen die auffälligen, roten Schuhsohlen des Schuhdesigners Christian Louboutin entschieden haben? Geschmacklich vermutlich nicht, aber  die Vergütung  ihrer Arbeitsleistung lässt die Erfüllung dieses vermeintlichen Frauenwunsches wohl nicht zu.

Leitbilder sind dem Zeitgeist unterworfen. Momentan  stehen rote Ledersohlen ganz oben. Dabei ist doch eigentlich Wissen Macht. Doch vielleicht ist der Wille nach Macht bei jungen Menschen noch nicht  so angesagt. Ich bin sicher, mit fortschreitendem Alter, wird sich das bei den meisten ändern. Dann spielt Macht wieder eine bedeutendere Rolle und wenn diese dann noch aus fundiertem Wissen gespeist wird, haben auch Toleranz, Ethik und all die anderen humanistischen Werte wieder eine Bedeutung. Nur dann wird es hoffentlich bei kommenden Generationen auf der Suche nach Vorbildern keinerlei staatlich verordnete Leitbilder mehr geben.
Peter J.  König




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